Von Daniel Weinmann
Die EU-Kommissionspräsidentin und vehemente Impfkampagnen-Verfechterin Ursula von der Leyen ist bestens in der Impfstoff-Industrie vernetzt. Nicht nur ist ihr Ehemann Heiko seit 2020 medizinischer Direktor bei der US-Biopharma-Firma Orgenesis, die im vergangenen Juli eine zellbasierte Impfstoff-Plattform ankündigte, die auf COVID-19 und andere existierende und aufkommende Viruskrankheiten abzielt.
Auch mit Albert Bourla pflegt sie ein sehr vertrauensvolles Verhältnis. Als Chef des US-Pharmariesen Pfizer gilt Bourla als einer der wichtigsten Protagonisten der internationalen Impfstoffszene. Gegenüber der „New York Times“ sprach er von einer „engen Verbindung“ mit der Kommissionspräsidentin, die sich durch Telefonate und Textnachrichten etabliert habe. Die beiden hätten „ein tiefes Vertrauen zueinander aufgebaut, weil wir tiefgreifende Diskussionen geführt haben“, so der Top-Manager, dessen Unternehmen allein im dritten Quartal des vergangenen Jahres 14,6 Milliarden Dollar mit seiner Impfsparte umsetzte.
35 Milliarden Euro, finanziert mit Steuergeldern
Die persönliche Diplomatie von der Leyens gipfelte im April vergangenen Jahres im Abschluss des größten Pharma-Vertrags in der Geschichte der EU: Die Gemeinschaft sicherte sich damit 1,8 Milliarden Impfdosen von Pfizer, mit denen jeder der knapp 450 Millionen EU-Einwohner vier Impfungen erhalten könnte. Das geschätzte Vertragsvolumen: 35 Milliarden Euro, finanziert mit Steuergeldern.
Der österreichische Journalist Alexander Fanta von netzpolitik.org wollte den Mega-Deal genauer hinterfragen und verlangte Einsicht in den Schriftwechsel zwischen von der Leyen und Bourla. Er berief sich dabei auf das Informationsfreiheitsgesetz der EU, das einen bedingungslosen Zugang zu amtlichen Informationen garantiert.
„Was Ursula von der Leyen in ihr Telefon tippt, ist, offen gesagt, keine Privatangelegenheit. Wir brauchen eine öffentliche Kontrolle der EU-Kurzmitteilungen, wenn sie dazu benutzt werden, milliardenschwere Impfstoffgeschäfte zu machen“, twitterte Fanta am vergangenen Freitag.
Die EU-Kommission zeigte sich indes zugeknöpft. Man besitze die Korrespondenz nicht, lautet die Antwort. Kurznachrichten wie SMS seien „von Natur aus“ kurzlebig und würden nicht unter die aus dem Jahr 2001 stammenden Transparenzregeln der EU fallen. Zudem würden formelle Entscheidungen oder verbindliche Zusagen nicht über Textnachrichten getroffen.
»Missstand in der Verwaltung«
Überhaupt gebe es – im Unterschied zu E-Mails – gar kein technisches System, das es erlaube, Kurznachrichten zu archivieren. Eine solche Dokumentenerfassung sei daher „prinzipiell ausgeschlossen“. Die Kommission erklärte sich lediglich bereit, dem Journalisten eine E-Mail, einen Brief und eine Pressemitteilung zu übermitteln.
Der Dialog zwischen der Präsidentin der Europäischen Kommission und dem Topmanager des Pharmaunternehmens wurde im Mai letzten Jahres durch einen Artikel in der „New York Times“ bekannt. Der Zeitung zufolge standen die beiden einen Monat lang über Textnachrichten und Telefongespräche in Kontakt, und „persönliche Diplomatie spielte eine wichtige Rolle“ bei einem neuen Kaufvertrag über 1,8 Milliarden Dosen des Corona-Impfstoffs.
Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly will sich damit nicht vertrösten lassen: „Wenn Textnachrichten mit EU-Politiken und -Entscheidungen in Zusammenhang stehen, sollten sie wie EU-Dokumente behandelt werden.“ O’Reilly bezeichnet von der Leyens Verschweigen der SMS als „Missstand in der Verwaltung“.
Brüssel könne sich nicht auf die altmodische Art und Weise hinter dem Wort „Dokument“ verstecken. O’Reilly: „Die EU muss mit der Zeit, in der wir leben, und mit den modernen Kommunikationsmitteln, die wir verwenden, Schritt halten.“
»Ungeheuerlicher Vorgang«
Die Ombudsfrau fordert die Kommission auf, nach dem verschwundenen Dialog zwischen der Kommissionschefin und dem Pfizer-Chef zu suchen. Sie gab der Kommission bis zum 26. April Zeit, um auf ihre Empfehlungen, die jedoch nicht bindend sind, zu reagieren. Sollte die Kommission mauern, hat der Journalist Fanta angekündigt, eine Klage gegen die Kommission vor dem Gericht der Europäischen Union zu prüfen. Die deutschen Grünen im EU-Parlament sprachen derweil von einem ungeheuerlichen Vorgang.
Für von der Leyen ist dies nicht der erste Fall von gelöschten Textnachrichten. Schon in ihrer Zeit als deutsche Verteidigungsministerin wurden 2019 Gesprächsprotokolle auf ihrem Diensthandy gelöscht. Das Ministerium hatte dies damals mit einem „Sicherheitsvorkommnis“ begründet.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
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