Verfassungsschutz auf Abwegen: Andersdenkende als „Delegitimierer“ im Visier Immer mehr Menschen werden wegen Kritik am Staat unter Beobachtung gestellt

Von reitschuster.de

Demokratie lebt von Meinungsvielfalt und der Freiheit, den Staat und seine Vertreter zu kritisieren. Auch hart und polemisch, mit Spott und Hohn. Doch wie passt diese Freiheit zu einer Liste des Inlandsgeheimdienstes, auf der 1600 Bürger Deutschlands als potenzielle “Delegitimierer des Staates” stehen? Diese fragwürdige Kategorie, eingeführt vom Verfassungsschutz, lässt tief blicken: Sie erinnert weniger an demokratische Grundwerte und Staaten als an autoritäre Methoden, bei denen jede abweichende Meinung sofort überwacht wird.

Was ist überhaupt eine „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“? Laut Definition des Verfassungsschutzes geht es um Personen, die demokratische Prozesse und Institutionen verächtlich machen. Doch diese schwammige Formulierung ist extrem dehnbar und gefährlich, wie Marcus Klöckner zu Recht in der „Weltwoche“ ausführt: Sie öffnet Tür und Tor für willkürliche Überwachung. Wie bereits die Journalistin Aya Velazquez feststellen musste, genügt es, in sozialen Netzwerken Kritik an der Corona-Politik zu äußern, um ins Visier des Geheimdienstes zu geraten. Dass sich diese Kritik im Nachhinein als völlig berechtigt herausstellte, spielt dabei offenbar keine Rolle.

Die Überwachung der „Delegitimierer“, den die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Jessica Tatti vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ zugegeben hat, wirft grundlegende Fragen über den Zustand unserer Demokratie auf. Wer entscheidet eigentlich, wann Kritik am Staat zur Delegitimierung wird? Und noch schlimmer: Wer wacht über die Wächter, wenn Geheimdienste wie der Verfassungsschutz ihre eigene Definition dessen, was „verfassungsfeindlich“ ist, nach Belieben auslegen?

Die Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter der Demokratie und jede Regierung muss diese Kritik aushalten – auch dann, wenn sie scharf und unbequem ist. Ein demokratischer Staat muss es auch aushalten, wenn ihn seine Kritiker verächtlich machen. Doch wenn Menschen plötzlich für den bloßen Ausdruck ihrer Meinung, wenn sie nicht der Regierungslinie entspricht, unter Generalverdacht gestellt werden, driftet der Staat in gefährliche Fahrwasser. Ausgerechnet die Institution, die eigentlich die Demokratie schützen soll, trägt nun zur Bedrohung derselben bei.

Sicherlich gibt es extremistische Gruppierungen, die den Staat wirklich zerstören wollen, doch die Kategorie „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung“ betrifft nicht nur jene extremen Ränder. Stattdessen werden auch Journalisten, Wissenschaftler und einfache Bürger überwacht, die schlicht mit den politischen Maßnahmen der Regierung nicht einverstanden sind. Dies ist der Versuch, kritische Stimmen zu kriminalisieren und aus der öffentlichen Debatte zu verbannen. Was man in autoritären Staaten als Normalität ansieht, wird hier plötzlich zur neuen Realität in der Bundesrepublik. Aber wehe, man kritisiert das – das ist dann wohl auch schon „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung“. Man kommt sich vor wie in einem Roman von Orwell oder Kafka.

Kritik ist keine Staatsfeindlichkeit

Kritik an den Corona-Maßnahmen, an der Energiepolitik oder am Umgang mit der Inflation – all das sind Meinungen, die in einer lebendigen Demokratie nicht nur legitim sein müssen – mehr noch, sie sind geradezu notwendig. Wenn der Staat diese Kritik nicht aushalten kann, ist es nicht die Demokratie, die schwach ist, sondern die Regierung selbst. Dass der Verfassungsschutz nun Bürger beobachtet, weil sie sich kritisch gegenüber dem Staat äußern, zeigt, wie brüchig die demokratische Fassade geworden ist.

Noch absurder wird die Lage, wenn man bedenkt, dass sich der Begriff „Delegitimierung des Staates“ so gut wie ausschließlich in den Publikationen des Verfassungsschutzes findet. Google liefert fast nur Treffer aus dem Geheimdienstapparat. Ein schillernder Begriff, erfunden, um Kritiker zu verfolgen, und zugleich so konturlos, dass er auf alles angewendet werden kann, was dem Staat nicht passt.

Die Frage, die sich aufdrängt: Was passiert, wenn die Definition der „Delegitimierung“ noch weiter ausgeweitet wird? Könnte bald jeder, der der Regierung widerspricht, zum Staatsfeind erklärt werden? Was heute noch gegen Kritiker der Corona-Politik angewendet wird, könnte morgen auf jede Form von Opposition übertragen werden. Die Parallelen zu autoritären Regimen sind erschreckend.

Dieser gefährliche Weg muss sofort gestoppt werden. Es kann nicht sein, dass der Verfassungsschutz auf diese Weise instrumentalisiert wird, um legitime Kritik zu ersticken. Wenn wir es zulassen, dass eine solch dehnbare Kategorie zur Normalität wird, steht die Demokratie auf dem Spiel. Der Verfassungsschutz hat in dieser Form seine Rolle verfehlt – er wird zum Werkzeug staatlicher Repression.

Es ist höchste Zeit, die Kategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ abzuschaffen. In einer Demokratie dürfen Kritiker nicht zu Verfassungsfeinden erklärt werden, nur weil sie den Staat und seine Institutionen hinterfragen. Der Verfassungsschutz ist auf einem gefährlichen Irrweg, der das Vertrauen in die Demokratie weiter erodiert. Wer Bürger überwacht, weil sie ihre Meinung äußern, der zerstört das, was er vorgibt zu schützen.

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