Ein Gastbeitrag von Alexander Wallasch
Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock war tagelang untergetaucht, aus der Schusslinie genommen worden. Ihr Co-Parteichef Robert Habeck musste bei Markus Lanz stellvertretend für ihr falsches Buch Abbitte leisten (Lesen Sie hier), zu riskant wäre für die Grünen jetzt ein weiterer desaströser Auftritt ihrer Kandidatin gewesen – die Medien hatten sich eingeschossen auf die Abgeschossene.
Die Schummeleien der Kanzlerkandidatin als Autorin wiesen Annalena Baerbock den Weg tief hinab ins Tal der Tränen, an jenen düsteren Ort, wo 2017 ein Martin Schulz als Kanzlerkandidat für die Sozialdemokraten das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit einfuhr – auch er war mit besonders guten Umfragewerten seiner Partei gestartet, eine SPD bei 30 Prozent mag für die Genossen heute klingen wie aus dem Märchenbuch vorgelesen.
Aber lange nicht jeder Komet verglüht so schnell wie Martin Schulz. Auch sollte man das Prinzip Zufall nicht außen vor lassen: Die grüne Hannoveranerin ist erst gescheitert, wenn die letzte Stimme ausgezählt ist. Allerdings gehörte bis gestern schon mehr als eine Schippe Optimismus dazu, noch Wetten auf die Vierzigjährige zu platzieren.
Dann kam die sintflutartige Katastrophe über Westdeutschland und riss in wenigen Stunden ganze Ortschaften mit sich. Über einhundert Menschen fanden bisher bestätigt den Tod, Hunderte werden noch vermisst. Wer in diesen Zeiten Freunde im Ausland hat, die keine echten geografischen Kenntnisse von Deutschland in Europa haben, der bekommt schwer besorgte Anrufe, der ist gerührt von der Anteilnahme auch dann noch, wenn er hunderte Kilometer entfernt von der eigentlichen Katastrophe wohnt.
Trauer und Entsetzen sind die eine Seite – Journalisten haben noch eine andere, sie müssen einer Aufgabe gerecht werden: Dinge in einen Zusammenhang bringen und die politische Bedeutung auch im Hinblick auf so eine Katastrophe mitbedenken. Die „Welt“ nutzt den Kunstgriff, zu schauen, was das Ausland dazu schreibt, dann ist man selbst etwas aus der Schusslinie, erscheint nicht pietätlos oder gar so, als ginge man zu schnell zur Tagesordnung über.
Also wird von der Welt das Ausland angerufen und neben weiteren Zeitungen die italienische „Corriere della Sera“ bemüht, die sich jetzt überraschenderweise noch über die Alpen hinweg daran erinnert, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2002 in Gummistiefeln im Elbhochwasser Rettungsaktionen begleitete und in der Folge seine durchaus schlechten Umfragewerte noch drehen konnte.
Neu ist das freilich nicht, die legendären wie erfolgreichen Rettungsaktionen während der Sturmflut über Hamburg begründeten nachhaltig den Ruf des späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt als herausragender Krisenmanager.
Die Welt lässt also lieber die italienische Zeitung für sich sprechen und die bringt es aus der Entfernung eiskalt auf den Punkt:
„Es ist ein Drehbuch, das sich in diesen Stunden wiederholt, auch wenn alle versuchen, nicht den Eindruck zu erwecken, auf Stimmenfang zu sein. (…). Es bleibt abzuwarten, ob es dann die Grünen sind, die von der neuen deutschen Angst profitieren. Sehr gut gestartet und dann wegen Ausrutschern und Fehlern von Annalena Baerbock zurückgefallen, haben die Umweltschützer viel aufzuholen.“
Unter dem Eindruck der erschütternden Bilder, wo ganze Dörfer in der gurgelnd-schlammigen Versenkung verschwunden sind und Menschen auf furchtbare Weise in den Tod gerissen werden – da mag man nicht gerne diese italienische Perspektive mit Blick auf den Wahlkampf einnehmen. Nichtsdestotrotz nehmen die Wahlkampfzentralen der Parteien die Bedeutung der Ereignisse ganz genau wahr – es ist sogar ihre originäre Aufgabe.
Die schwer angeschlagene Kanzlerkandidatin der Grünen war im Urlaub entschwunden – das war zunächst erstaunlich. Aber fast noch erstaunlicher ist jetzt, was Baerbock und ihr Wahlkampfteam beschlossen haben – und hier wurde nämlich zweifellos ausführlich beraten, wie sich die grüne Kandidatin am besten verhält. Und das Erstaunliche passiert:
Annalena Baerbock bricht ihren Urlaub ab. Eine Politikerin ohne Amt und Würden eilt trotzdem ins Überschwemmungsgebiet. Aber um was dort zu leisten? Diese Reise kann ja nur so verstanden werden, dass da jemand zeigen will, was das Land im Falle einer Wahl zur Bundeskanzlerin von ihr zu erwarten hätte, ansonsten müssten doch sämtliche politischen Funktionäre aller Parteien in die Gummistiefel springen, passiert aber nicht. Annalena Baerbock löst nur ein Ticket hin zur menschengemachten Klimakatastrophe. Und um im nächsten Buch nicht wieder die Vorort-Erlebnisse des Deutschlandfunks stibitzen zu müssen?
Der Spiegel berichtet: „Die Kanzlerkandidatin der Grünen hat ihren Urlaub abgebrochen und fährt in die überfluteten Regionen in Westdeutschland. Ein großes Statement und Pressetermine soll es aber nicht geben.“ Die Kandidatin, so drückt es eine Sprecherin der Grünen aus, „wird sich in der Region in Gesprächen über die Lage informieren und sich ein Bild machen.“ Wozu aber das? Um was später mit diesem Bild anzufangen? Nochmal: Welche Aufgabe glaubt eigentlich die Spitzenkandidatin einer grünen Partei zu haben, die noch dazu 2017 mit 8,9 Prozent als kleinste Fraktion in den Bundestag eingezogen ist?
Nein, Baerbock hat keinerlei Aufgaben, die irgendeinen Medienrummel am Ort der Tragödie rechtfertigen würden. Eine verdammte Zwickmühle ist das für die Kandidatin, denn ganz wegbleiben hieße dann wieder, den anderen das Terrain zu überlassen. Also verzichten die Grünen auf Gerhard-Schröder-Bilder von Baerbock, sicher auch ahnend, welchen Sprengstoff so eine Szenerie der Grünen in Gummistiefeln mit Sandsack im Arm bergen könnte.
Armin Laschet hingegen ist amtierender Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen – also dort unmittelbar verantwortlich und zuständig, wo die Wassermassen Straßen, Häuser und Menschen wie Papierschiffe hinweggerissen haben.
Laschet stehen unbequeme Tage bevor
Wer jetzt aber meint, das Wahlkampfteam hinter dem Unions-Kandidaten spekuliere schon auf den Schröder- oder Schmidt-Effekt, der verkennt die Fallstricke: Für Armin Laschet als Kanzlerkandidaten werden die nächsten Tage äußerst unbequem werden. Katastrophenmanagement ist nämlich alles andere als ein leichtes Geschäft. Und alles andere als ein Selbstläufer.
Hier geht es nicht mehr darum, alles richtigzumachen, sondern in der Rückschau möglichst wenig ganz falsch gemacht zu haben: Katastrophen offenbaren schonungslos die Versäumnisse der Vergangenheit und Laschet ist bereits seit 2017 Ministerpräsident von NRW. Vieles lag und liegt noch unmittelbar in seiner Verantwortung. Alles, was schiefgeht in der Krisenbewältigung, lenkt den Blick unvermeidlich auf die politischen Entscheider in NRW und Armin Laschet an der Spitze.
Seit dem späten Vormittag ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor Ort bei Armin Laschet. Und der grüne Co-Parteichef Robert Habeck hat sich bereits dahingehend zur Überschwemmungskatastrophe geäußert, dass jetzt die Zeit der Retter wäre und nicht der Politiker.
Und während diese Gedanken über Baerbock, Laschet und Co aufgeschrieben werden, passiert schon der erste kleine GAU für Laschet: Ausgerechnet während der Bundespräsident zu den Verzweifelten spricht und seine Anteilnahme ausdrückt, drückt ein Fotograf ab und im Hintergrund dieses Bildes sieht man einen breit grinsenden Ministerpräsidenten Laschet, als hätte ihm einer der Feuerwehrleute einen Witz aus der Herrenkantine erzählt.
Die Bild schreibt später: Armin Laschet albere herum, „als sei der NRW-Regierungschef im Karneval und nicht in der Todeszone der Flut.“
Die Entschuldigung folgt prompt per Twitter: „Ich danke dem Bundespräsidenten für seinen Besuch. Uns liegt das Schicksal der Betroffenen am Herzen, von dem wir in vielen Gesprächen gehört haben. Umso mehr bedauere ich den Eindruck, der durch eine Gesprächssituation entstanden ist. Dies war unpassend und es tut mir leid.“
Auch Annalena Baerbock hat ihre Rolle hier noch nicht gefunden. Ab wann darf man denn diese schreckliche Katastrophe als ursächlich auf das menschengemachte Klima zurückführen, also Wahlkampf machen? Jeder im grünen Lager weiß um die vollkommen unerwartete Chance, die dieser tödlichen Naturgewalt erwachsen ist, aber noch traut sich keiner so richtig aus der Deckung.
Grün macht keine Gefangenen
Politik ist zwar ein mieses Geschäft, das wissen die Grünen besonders gut, Grün macht keine Gefangenen, wer nicht für uns ist, ist böse. Aber auch der durch die sozialen Medien sensibilisierte Wähler reagiert viel schneller, viel aufgebrachter, wo nur der leiseste Verdacht einer Vorteilsnahme aus der Katastrophe erwachsen könnte. Die nächste Zwickmühle für Annalena Baerbock steht also schon.
Und wo die Baerbock-Medien ihre grüne Heldin erst zur Kanzlerin der Herzen machten, sich nach den Plagiatsvorwürfen beschämt von ihrer grünen Heldenfigur abwandten – die taz bat gar um Rücktritt – sehen die ersten schon wieder die große Chance einer Baerbock-Phönix aus der Asche.
Der Spiegel diktiert ganz vorne weg die neue Marschrichtung mit der Klischee-Schlagzeile: „Abqualifiziert, kleingemacht, gedemütigt“ – Frau Baerbock als Opfer alter weißer Männer. Weiter wird die Plagiatsaffäre auf ein paar Schrammen am Heiligenbild der Baerbock reduziert: „Schrammen (zu) unheilbaren Wunden zu machen – das hat in der deutschen Politik eine lange Tradition.“
Aber was erwartet uns jetzt nach einer mit scharrenden Zehen aus den Gummistiefeln der Baerbock heraus ertragenen Schweigeminute für die Opfer der Katastrophe?
Der außerparlamentarische Arm der Grünen hat übernommen und längst in die Kameras der Welt hinausgebrüllt, wer Schuld ist am Weltuntergang. Allen voran die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die in diesen Stunden einen Furor entwickelt irgendwo zwischen „How-dare-you?“, dem Gesichtsausdruck des italienischen Torwarts Donnarumma nach dem gehaltenen Elfmeter und so etwas wie einer Überdosis Rauschmittel.
Die grüne Party auf den Köpfen der Opfer wird unvermeidlich stattfinden, schließlich ist Wahlkampf. Die Frage wird nur sein, wann die grüne Führung den rasch übergeworfenen Trauerflor abwirft, die Knarre durchlädt und ihr ideologisches Moralschrot tief hinein in den politischen Gegner ballert.
[themoneytizer id=“57085-3″]
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Peeradontax/Shutterstock (Hochwasser Februar 2021 in Düsseldorf/Symbolbild)Text: Gast