Warum Schalten Sie mich stumm, Kollegin?

Sehr geehrte Frau Diekmann,

ich kannte Sie neben Ihrer Tätigkeit als Korrespondentin im ZDF-Hauptstadt-Studio bisher vor allem aufgrund eines tweets von Ihnen, der breite Wellen schlug: „Nazis raus“, schrieben Sie am Neujahrstag 2019. Und auf die Frage, wer denn Nazis seien, antworteten Sie: „Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt.“ Daraufhin wurden Sie laut „Welt“ mit Hassnachrichten und Beleidigungen überschüttet. Das tut mir sehr leid, denn ich kenne das selbst leider nur zu gut.

Nichtsdestotrotz haben mich Ihre Aussagen damals entsetzt. Auch wenn Sie sie – zumindest im Nachhinein – für Satire erklärten. Für mich war das nicht sehr überzeugend, aber sei´s drum. Ich finde allein schon die Aussage „Nazis raus“ in dem Kontext, in dem Sie sie gebraucht haben – angewendet auf Menschen, deren politische Meinung sie ablehnen, eine Instrumentalisierung und damit auch Verharmlosung der unsäglichen Verbrechen der Nationalsozialisten.

Auch Ihren Tweet zu den Bauernprotesten in Berlin fand ich bemerkenswert:

Heute habe ich als Reaktion auf Ihren tweet, dass sie in der Jury des Otto-Brenner-Preises sitzen, diesen satirisch aufs Korn genommen – weil Sie ja selbst nach eigenen Angaben gerne Satire einsetzen: „Was machen die jetzt nur, wo man doch Relotius nicht mehr küren kann? Und warum schreiben sie nicht wenigstens ehrlich: Preis für gegenüber Regierungskritikern kritischen Journalist*Innen aus dem linksgrünen Milieu? So wirkt das auf mich wie Satire bzw. Selbstbeweihräucherung.“

Darauf veröffentlichten Sie auf twitter diese Antwort: „Lieber Herr Reitschuster, lassen Sie uns kurz über Ihre Rolle bei den „Hygienedemos“ sprechen. Soweit ich das gelernt habe auf der Journalistenschule, ist berichten UND GLEICHZEITIG demonstrieren ganz, ganz unsauber. Wo haben Sie denn das Gegenteil gelernt? Liebe Grüße!“

Ja, Frau Diekmann, darüber können wir gerne sprechen. Ich habe mich ja zuerst gefragt, ob Sie mit solchen Aussagen gezielt Kollegen, die nicht gebührenfinanziert sind und kritisch berichten, diffamieren wollen.

Aber ich war da wohl zu argwöhnisch. Denn inzwischen scheint mir, dass Sie einfach öffentlich-rechtlicher Berufsblindheit unterliegen und so ein kolossales Eigentor geschossen haben: Sie werfen einem Kollegen vor, dass er bei Ereignissen, über die er berichtet, selbst dabei ist. Ich habe es in meiner Journalistenausbildung noch so gelernt, dass dies Pflicht ist. Sie machen es mir zum Vorwurf.

Mir war aufgefallen, dass ich bei den Demonstrationen, die Sie als „Hygienedemo“ bezeichnen, etwa diesen Samstag wenig bis gar keine öffentlich-rechtlichen Kollegen gesehen habe. Mein Video von der brutalen Festnahme von Attila Hildmann wollten ausländische Sender kaufen. Von den öffentlich-rechtlichen Sendern dagegen keiner, obwohl ich es öffentlich via twitter angeboten habe. Warum?

Wäre es nicht Ihre Pflicht als gebührenfinanzierter Sender, über solche Demonstrationen aus erster Hand zu berichten? In der ZDF-heute-Sendung am Samstagabend etwa wurden sie ganz verschwiegen (während die Tagesschau berichtete). Dafür wurde dort über Demos in Spanien berichtet.

Dank Ihres tweets, Frau Diekmann, sehe ich Ihr Fernbleiben jetzt mit ganz anderen Augen: Wenn Sie Recherche vor Ort, um sich ein eigenes Bild zu machen, als „Teilnahme“ werten, ist mir klar, warum sie nicht da sind. Umso erstaunlicher ist es, wie die Berichterstattung auch im ZDF dennoch oft den Eindruck vermittelt, da seien vorwiegend Verrückte und Irre.

Als ich einer TV-Kollegin von Ihrer Reaktion erzählte, erläuterte diese mir die Hintergründe, die mich fassungslos machten. Sie erzählte, viele Kollegen in den Redaktionen könnten sich kaum noch vorstellen, selbst zu Demos zu gehen, sie säßen nur in der Redaktion und berichteten anhand von „Feeds“, also Aufnahmen von vor Ort – die aber zwangsläufig verzerren. „Die Kameraleute suchen natürlich die schillerndsten, schrägsten Figuren, und so entsteht dann in den Redaktionen ein völlig falsches Bild, auch Ironie wird nicht übertragen, manchmal haben ja Demonstranten einen Aluhut, um sich über die Vorwürfe, sie seien Verschwörungstheoretiker, lustig zu machen, das wird dann ernst genommen und die Kollegen glauben, das seien wirklich Aluhut-Träger“, beklagt die Kollegin. Motto: Nie vor Ort sein, nicht mit eigenen Augen gesehen haben, aber eine feste Meinung, was dort geschieht.

Mit Ihrem tweet offenbaren Sie, dass Sie offenbar Fernberichterstattung für die Norm halten. Also genau das, was die Kollegin beschreibt.

Sie fragen mich nach meiner Journalistenschule. Ich habe keine dieser heute großteils sehr linken Kaderanstalten durchlaufen, sondern eine klassische Journalistenausbildung bei der Augsburger Allgemeinen, wo man das Handwerk von der Pike auf lernt. Ich weiß nicht, ob Ihnen Ihre Journalistenschule etwas anderes beigebracht hat. Aber uns lehrte man als heilige Regel: Wenn man berichten will über etwas, muss man hin. Am besten mittendrin sein. Also bei einer Demonstration oder Kundgebung: Mitlaufen, mit den Menschen reden, O-Töne und Eindrücke sammeln. Auf den Gedanken, dass man dadurch zum Teilnehmer würde, kann man in meinen Augen nur kommen, wenn man sich sehr weit von den journalistischen Grundsätzen entfernt hat.

Wenn Sie in Ihrer Arbeit alle, die in Ihren Augen nicht die richtige „Haltung“ haben und auf der falschen Seite sind, nur noch aus der Ferne beobachten, nur noch über sie schreiben, statt sie sich anzusehen und mit ihnen zu reden, landen Sie zwangsläufig in einer Blase. Wie der Kollege vom Focus, der über die Demos schrieb: „Wenige Blicke in die Menge“ reichten, „um zu erkennen, dass hier besonders Wutbürger, Extremisten und Verschwörungstheoretiker den Ton angeben.“ Auf meine Frage, auf wie vielen Demos er denn selbst war, um das zu erkennen, gab er mir nie eine Antwort.

Ich bin Ihnen aufrichtig dankbar für Ihren Angriff auf mich, weil Sie damit tiefe Einblicke in Ihr Berufsverständnis liefern und viele meiner Vorwürfe bestätigen.

Noch zwei kleine Ratschläge:

  • Erstens ist es immer sinnvoll, zu recherchieren, bevor man konkrete Vorwürfe erhebt. In meinen Beiträgen zu den Demos hätten Sie feststellen können, das ich explizit auf Abstand wert lege – physisch wie journalistisch. Aber wenn ich als Journalist Zeuge von einem brutalen und umstrittenem Polizeieinsatz werde, bei dem ein am Boden Liegender mit dem Bein getreten wird, dann berichte ich darüber, ganz egal, was ich von dem Festgenommenen halte.
  • Zweitens sehen viele Kollegen das mit dem Demonstrieren ganz anders als ich. In meinen Augen darf ein Journalist nicht mit demonstrieren. Punkt. Aber geben Sie mal bei google „Journalisten demonstrieren gegen AfD“ ein. Was da alles zu lesen ist, finde ich höchst bedenklich.

Bevor ich diesen Brief fertig geschrieben habe, fand ich folgenden neuen tweet von Ihnen: „Liebe Fraggles, ich hab die Unterhaltung mit Herrn Reitschuster stummgeschaltet. Wem es beim „linksgrünversiffter Staatsfunk“-Jaulen nur um Energieabbau geht: nur zu. Aber ich kriege nix davon mit. Nicht, dass sich hinterher wer beschwert. (Wobei: Krieg ich ja auch nicht mit ;).“

Das macht mich sprachlos, und da bin ich baff. Zuerst schreiben Sie öffentlich: „Lieber Herr Reitschuster, lassen Sie uns kurz über Ihre Rolle bei den „Hygienedemos“ sprechen“ und fragen: „Wo haben Sie denn das Gegenteil gelernt?“ Und dann schalten Sie die Unterhaltung stumm, bevor der Dialog startet. Das beißt sich.

Und ist schade. Ich finde, Dialog im Sinne von Streitgespräch ist immer wichtig. Vor allem mit Menschen, die eine andere Meinung haben. Sonst ist er ja kein Streitgespräch.

Wundern Sie sich wirklich nach solchen Aussagen, nachdem Sie mich zum Dialog auffordern und mich dann einfach „stummschalten“, dass Ihnen und Ihren Kollegen so viele Ihrer Gebührenzahler vorwerfen, dass Sie sich von der Realität abschotten und in einem Elfenbeinturm befinden? Etwa auch, weil Sie Kritiker systematisch vom Bildschirm fern halten – obwohl das die wunderbare Grundidee des öffentlich-rechtlichen Fernsehens geradezu pervertiert? Wovor haben Sie Angst?

Ich lade Sie gerne zu einem Dialog ein.

Mit freundlichen Grüßen

Boris Reitschuster

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Bild: Zappner /re:publica/Wikicommons

Text: br

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