Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist Euch bewusst, wie sehr Ihr mit Schlagzeilen und einem Tenor wie in Eurem heutigen Artikel „Bildung, Alter, politische Einstellung – wer sind die 18 Millionen Ungeimpften?“ unsere Gesellschaft spaltet und diese vergiftet? Allein Euer Vorspann: „Wer sind die knapp 18 Millionen Ungeimpften in Deutschland? Studien zeigen, dass sie tendenziell jünger und aus Ostdeutschland sind. Zudem spielt auch die wirtschaftliche Situation eine Rolle – und die Mehrheit der Ungeimpften wählt Parteien aus dem rechten Spektrum.“ Das Vernichtungsurteil in Watte einer vermeintlich neutralen, nachrichtlichen Sprache gepackt.
Und dann diese Bauchlandung – Ihr schreibt: „Eine Umfrage des Forsa-Instituts zeigt, dass 50 Prozent der ungeimpften Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl im September für die AfD gestimmt haben.“ Moment! Weiter oben stand, es gibt 18 Millionen Ungeimpfte (was schon deshalb falsch ist, weil Ihr offenbar die Kinder nicht als Menschen betrachtet – mit denen wären es nämlich viel mehr Millionen. Aber mit der Zahl würde vielleicht das Framing zur „Minderheit“ nicht klappen). Aber zurück zur AfD. Selbst wenn Ihr bei den 18 Millionen noch nicht wahlberechtigte Jugendliche rausrechnet (zehn Prozent der Gesamtbevölkerung), und dann auch noch Ausländer (13,5 Prozent), wären das bei 76,6 Prozent Wahlbeteiligung immer noch 10,8 Millionen ungeimpfte Wähler. Laut Eurem Artikel hat die Hälfte davon AfD gewählt. Das wären 5,4 Millionen. Nun sehen wir uns das offizielle Wahlergebnis auf der Seite des Bundeswahlleiters an. Demnach hatte die AfD 4,8 Millionen Stimmen. Und ob die alle nur von Ungeimpften stammen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wollt Ihr die Leser aufs Glatteis führen? Oder seid Ihr nicht in der Lage, zu recherchieren? Was ja immer Sinn macht, aber ganz besonders, wenn eine Umfrage von einem SPD-nahen Institut kommt. Ich habe für diese Recherche ca. zehn Minuten gebraucht. Und ich habe keine Redaktion im Rücken wie Ihr. Gut, es gibt eine dritte Möglichkeit, dass ich mich verrechnet habe, die will ich nicht ausschließen. Aber ich vertraue auf meine wunderbaren Leser, die mir einen Fehler schnell melden werden. Also gehen wir mal davon aus, dass nicht ich mich irre, sondern Ihr Unsinn verbreitet. Die gesamte These, auf die Ihr Euren Artikel baut, die Ihr schon im Vorspann bringt („und die Mehrheit der Ungeimpften wählt Parteien aus dem rechten Spektrum“), ist damit schlicht absurd.
Den sprachlichen Fehler – man wählt nicht „für“ Parteien – will ich Euch dabei gar nicht vorhalten. Denn wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! Und ich mache selber leider viel zu viele sprachliche Fehler. Allerdings habe ich auch, wie schon gesagt, keine große Redaktion im Hintergrund, weswegen hoffentlich auf mich nicht ganz so strenge Maßstäbe anzulegen sind. Sei’s drum.
Ihr verwendet eine Sprache, die ausgrenzt und an Kriegszeiten erinnert. Von „unwillig“ zum Impfen ist die Rede. Als ob es keine freie Entscheidung wäre. Dann benutzt ihr das Wort „Impfverweigerer“. Wir haben keine Pflicht zum Impfen – zumindest offiziell nicht, eine indirekte Impfpflicht durch massiven Druck gibt es längst. Ohne Pflicht kann es auch keine Verweigerer geben.
Ihr macht mir Angst, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich war 16 Jahre beim Focus. Und ich habe immer gedacht, bei allen Meinungsverschiedenheiten eint uns eine ähnliche Grundauffassung vom Journalismus.
Dass das Schüren von Hass und Hetze ein absolutes Tabu ist, habe ich für einen Grundkonsens gehalten. Und schon dreimal, wenn es um Minderheiten geht. Ihr betont das ja auch sonst bei jeder Gelegenheit. Auch Eure Buntheit, Toleranz und Offenheit. Endet die da, wo jemand nicht das mit seinem eigenen Körper tut, was Ihr Euch wünscht? Ihr schreibt nun in dem Artikel, Ostdeutsche und Migranten seien seltener geimpft als der gemeine Westdeutsche. Ist es sinnvoll, das so zu schreiben? Selbstkritisch muss ich hier hinzufügen, dass ich selbst bei Gewaltverbrechen fordere, Tendenzen klar zu benennen, wenn eine bestimmte Gruppe hier besonders hervorsticht. Weil man nur so Probleme erkennen und etwas unternehmen kann. Das kritisieren aber die meisten von Euch, sagen, das sei Diskriminierung. Wenn Ihr bei Gewaltdelikten so eine Einstellung habt – warum macht Ihr das dann bei der Impfung genau umgekehrt?
Und wäre es nicht ein Gebot der Transparenz, bei Artikeln offenzulegen, dass der Ehemann des Gesundheitsministers, der massiv wie wenige andere für die Impfung wirbt, Leiter des Hauptstadtbüros des Konzerns ist, zu dem Ihr gehört? Offen gestanden finde ich da selbst keine Antwort, denn natürlich ist es Privatsache, wer mit wem verheiratet ist. Aber zumindest könntet Ihr Euch angesichts dieser Verbindung besonders darum bemühen, bei dem Thema eine gewisse Zurückhaltung zu üben.
Zum Schluss möchte ich mich selbstkritisch fragen, ob das, was ich Euch vorwerfe, nicht auch für mich gilt. Schließlich neigt der Mensch ja generell dazu, eigene Fehler auf andere zu „projizieren“. Schüre ich Hass und Ressentiments gegen Geimpfte? Nein. Ich habe tiefen Respekt vor der persönlichen Entscheidung jedes Einzelnen. Schüre ich Hass gegen Verantwortliche? Ich kritisiere sie scharf, und das ist nicht nur legitim, sondern auch notwendig in einer Demokratie. Verbreite ich Falschinformationen? Wie jeder Mensch machen mein Team und ich Fehler. Wir gehen damit offen um und berichtigen sie offen und transparent, sobald wir sie erkennen. Sogenannte Faktenchecker nutzen das für ihre manipulativen Diffamierungen (und erfinden zudem auch Fehler, die gar keine sind). Wetten, dass sie Euren Fehler nicht aufgreifen werden (aber vielleicht gibt es ja noch Wunder, und sie tun es, wenn sie diesen Beitrag hier gelesen haben)?
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich weiß aus erster Hand aus den Redaktionen, wie gefährlich es dort heute ist, eine abweichende Meinung zu haben. Sie kann den Job und damit auch die Existenz kosten. Ich kann noch nachvollziehen, dass deshalb viele schweigend zusehen. Aber auch dann hat man immer die Wahl – gießt man Öl ins Feuer oder tut man, im Notfall eben nur still und leise, das Gegenteil.
Ebenfalls weiß ich aus den Redaktionen, dass viele die Wahrheit auf ihrer Seite wähnen und völlig überzeugt sind von dem, was sie tun. Ja, einen geradezu missionarischen Eifer haben. Ich weiß, dass diese „Ideologen“ für Appelle eigentlich nicht mehr zugänglich sind. Aber dennoch meine Bitte an Euch: Überlegt Euch einmal, reflektiert, wie oft in der Geschichte sie Recht hatten, diejenigen, die die Wahrheit auf ihrer Seite wähnten und alle Gegner des „richtigen Weges“, von dem sie felsenfest überzeugt waren, ausgrenzten (und ihnen oft noch viel Schlimmeres zufügten, bis hin zur Ermordung). Mir fällt kein Fall ein, wo sie wirklich die „Guten“ waren, wie sie glaubten. Wie viel Unheil haben diese „Besitzer der Wahrheit“ in der Geschichte angerichtet! Ohne irgendeinen Vergleich oder gar eine Gleichstellung zu machen: Die Anhänger der blutigsten und grausamsten Regime in der Geschichte waren überzeugt, sie wollten doch nur das Gute und müssten diejenigen vernichten, die dem Guten im Wege standen.
Während viele von Euch heute versuchen, kritische Stimmen zu entmenschlichen, als Nazis darzustellen oder finstere Motive zu unterstellen, tue ich das umgekehrt explizit nicht.
Ich habe nur eine Bitte an Euch: Bitte überlegt Euch, wenn Ihr am Ende vielleicht doch nicht Recht habt, was Ihr Euren Kindern und Enkeln sagen werdet, die Euch in vielleicht gar nicht allzu ferner Zukunft fragen werden: Warum habt Ihr da mitgemacht?
Wenn Ihr die Regierung und den herrschenden Zeitgeist dagegen kritisch hinterfragt, ohne die Wahrheit für Euch in Anspruch zu nehmen, und explizit klarmacht, dass Ihr Euch irren könnt, statt Euch hinter der absurden Illusion von „wissenschaftlichem Konsens“ zu verstecken (die durch das Totschweigen kritischer Stimmen aus der Wissenschaft aufrechterhalten wird) – so wie ich es versuche –, dann werdet Ihr Euren Kindern und Enkeln – so Ihr welche habt – problemlos in die Augen sehen können.
Mit freundlichen Grüßen
Euer Ex-Kollege
PS: Ich hoffe, es ist mir gelungen, nicht zu pauschalisieren. Die Gefahr besteht immer. Es gibt Kollegen in den Redaktionen, vor denen ich hohe Achtung habe und die exzellent ihren Job machen. Medien wie etwa die „Welt“ oder die „Bild“ lassen auch andere Meinungen zu Wort kommen – und mehr wünsche ich mir ja auch nicht. Auch bei „Focus“ erscheinen jetzt öfter kritische Stimmen. Zumindest ist das schon einmal ein Schritt. Fair wäre es, auch Kritiker wie Bhakdi oder Wodarg zu Wort kommen zu lassen und ihr Angebot zum offenen verbalen Schlagabtausch mit den Protagonisten des aktuellen Corona-Kurses anzunehmen. Aber das fürchten die Politik und die großen Medien offenbar wie Angela Merkel den Rückzug von der Macht.
Bild: YouTube/screenshot/br24
Text: br
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