Von Kai Rebmann
Es war eigentlich ein völlig unpolitischer Vorgang. Ein geschiedener deutscher Mann reiferen Alters hatte im Jahr 2019 beruflich auf Kuba zu tun und lernte dabei die Tochter seines kubanischen Kollegen kennen. Sie kamen sich näher und wollten im Juli 2020 auf Kuba heiraten. Wegen der geschlossenen Grenzen (Corona) musste das Fest aber abgeblasen werden. Die Verlobte kümmerte sich um die nötigen Papiere für eine Hochzeit in Deutschland, was wegen der Unterbrechung des Fernverkehrs auf Kuba und der zeitweisen Schließung der Deutschen Botschaft ebenfalls schwierig war. Im Dezember 2020 konnte der Mann die Eheschließung bei einem deutschen Standesamt anmelden. Es sollte aber noch bis Mai 2021 dauern, ehe alle Forderungen der deutschen Behörden erfüllt waren und die Kubanerin das Heiratsvisum beantragen konnte.
Nach Paragraf 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels (hier: Heiratsvisum) voraus, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist. Paragraf 99 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG enthält eine Verordnungsermächtigung, wonach eine Visaerteilung von der Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde abhängig gemacht werden kann. Dies wird ergänzend in Paragraf 31 AufenthV geregelt. Die zuständige Ausländerbehörde brauchte dann bis Ende August, um dem Mann ein dickes Paket mit auszufüllenden Formularen und eine lange Liste mit beizufügenden Nachweisen zu schicken. Der erklärte seine Bereitschaft, bis zur Hochzeit für den Unterhalt seiner Verlobten aufzukommen, was mit der Anmeldung der Eheschließung aber ohnehin klar sein sollte. Er wies ein monatliches Nettoeinkommen von rund 5.300 € nach. Nötig wären unter Berücksichtigung seiner drei Kinder nur 2.350 € gewesen. In Bezug auf die weiteren Formulare berief er sich auf Paragraf 47 Abs. 3 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), wonach die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten „dem Verarbeitungszweck entsprechen, für das Erreichen des Verarbeitungszwecks erforderlich sein und ihre Verarbeitung nicht außer Verhältnis zu diesem Zweck stehen (darf)“. Der Deutsche argumentierte, Paragraf 31 AufenthV regele nicht konkret, welche Formulare ausgefüllt und welche Nachweise der Behörde für ihre Entscheidung vorgelegt werden müssen. Die Zustimmung der Behörde habe sich deshalb allein am Paragrafen 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu orientieren, wobei die Anforderungen an den Nachweis nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen seien. Sofern schon nach einer summarischen Prüfung keine ernsthaften Zweifel an der Sicherung des Lebensunterhalts bestehen, hätten weitere Nachforschungen nach Paragraf 47 Abs. 3 BDSG und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterbleiben.
Visum trotz nachgewiesenem Lebensunterhalt abgelehnt
Die Behörden aber hatten kein Verständnis für einen Bürger, der sich auf geltende Gesetze beruft. Was wäre, wenn das jeder täte? Wo kämen wir da hin? Die Ausländerbehörde lehnte die Zustimmung zur Visaerteilung nach Paragraf 31 AufenthV ab, weil der Mann nicht mitgewirkt und die Sicherung des Lebensunterhalts nicht nachgewiesen haben soll. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Oberbürgermeister blieb ergebnislos; dieser hielt die Verfahrensweise des Ausländeramts für rechtens. Auch eine Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht versuchte ein Richter zunächst mit dem Hinweis abzuwimmeln, die Verweigerung dieser Zustimmung sei kein Verwaltungsakt. Erst nach Verweigerung des Visums sei eine Klage zulässig.
Diese Auffassung hielt der Bräutigam in spe, vorsichtig ausgedrückt, für unlogisch. Nach Paragraf 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art offen, soweit diese nicht durch Bundesgesetz ausdrücklich einem anderen Gericht zugewiesen sind, einem Finanzgericht zum Beispiel. Diese Vorschrift konkretisiert Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, wonach jemandem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offensteht. Der Mann sah sich durch das Ausländeramt in seinem Menschenrecht auf Heirat nach Art. 12 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) verletzt. Von der Ablehnung des Visumsantrags der Botschaft sei der Mann aber nicht unmittelbar betroffen. Es handele sich bei der Forderung des Ausländeramts nach der Offenlegung personenbezogener Daten durch den Mann um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art über die Schutzwirkung des BDSG. Er sah auch einen verfassungswidrigen Zustand, wenn er sich mangels Aktivlegitimation nicht gegen die begangene Menschenrechtsverletzung wehren könne, was mit einer verfassungskonformen Auslegung zu vermeiden wäre. Sollte das Gericht diese Möglichkeit nicht sehen, so müsste es § 31 AufenthV wegen der darin angelegten Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für verfassungswidrig und damit für nichtig halten.
Im November 2021 lehnte die Botschaft den Visumsantrag schließlich ab. Hiergegen remonstrierte die Verlobte beim Auswärtigen Amt und wies ausdrücklich auf Art. 12 EMRK hin. Der ablehnende Remonstrationsbescheid enthielt u. a. folgende zwei Sätze: „Sofern jedoch die Ehe auch im Ausland geschlossen werden kann, ist die Einreise zur Eheschließung nicht erforderlich, um eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen zu können. Vorliegend ist nichts ersichtlich, was der Eheschließung in Ihrem Heimatland entgegensteht.“ Mit anderen Worten also: Deutsche, die ein Menschenrecht wahrnehmen wollen, können das im Ausland tun!
Das Auswärtige Amt und die Menschenrechte
Welche Reaktion würde aus dem Auswärtigen Amt wohl kommen, wenn etwa der Präsident von Belarus verkünden würde, sein Land verletze keine Menschenrechte, denn wenn ein Bürger seines Landes gegen ihn demonstrieren wolle, könne er dafür ja ins Ausland fahren? Kein Unterzeichnerstaat der EMRK, auch nicht die Bundesrepublik Deutschland, kann von seinen Bürgern verlangen, zur Wahrnehmung eines von ihm garantierten Menschenrechts ins Ausland fahren zu müssen. Es ist dabei völlig irrelevant, ob die Bedingungen auf Kuba für die Einreise von Ausländern nach der Einschätzung der Beklagten zumutbar sind oder nicht. Schon die überflüssigen Reisekosten für eine dort stattfindende Hochzeit wären ein triftiger Grund, die Ehe in Deutschland zu schließen.
Der Begriff „Auswärtiges Amt“ geht auf die gleichnamige Institution des Norddeutschen Bundes aus dem Jahr 1870 und des Deutschen Reiches von 1871 zurück. Es stellt sich die Frage, ob sich dieses Haus angesichts dieser Geschichte eher der obrigkeitlichen Tradition des Kaiserreichs verpflichtet fühlt als der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Zumindest ist die Deutsche Botschaft auf Kuba mit keinem Wort auf die Argumentation der Klägerin mit Art. 12 EMRK eingegangen, was auf eine geringe Wertschätzung der Menschenrechte und der EMRK schließen lasse, wie es das verhinderte Ehepaar in seiner Klageschrift formulierte.
Auf diese Klageschrift antwortete das Ministerium der Annalena Baerbock am 9. März 2022 nur mit drei Sätzen: „Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung wird vollumfänglich auf den Remonstrationsbescheid vom 06.01.2022 verwiesen. Sollte die Anmeldung der begehrten Eheschließung noch erfolgen, dürfte der Erteilung des begehrten Visums nichts mehr entgegenstehen.“ Und wieder gab es keine Aussage zur Frage der Menschenrechte, die im Ausland ständig angesprochen werden. Das Haus von Außenministerin Baerbock stellt sich damit hinter die Aussage der Deutschen Botschaft auf Kuba: „Wer ein Menschenrecht wahrnehmen will, kann dafür ins Ausland reisen!“ Eine Reaktion auf den Vorwurf der geringen Wertschätzung des Auswärtigen Amtes für die Menschenrechte und die EMRK hielt man offenbar für überflüssig. Wer schweigt, stimmt zu!
Fall könnte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen
Wenn im Fall einer nochmaligen Anmeldung der Eheschließung einer Erteilung des Visums nichts entgegensteht, dann stellt sich die Frage, was ihr zum Zeitpunkt der Antragstellung oder des Erlasses des Remonstrationsbescheides, als die Anmeldung noch gültig war, entgegengestanden haben soll. Weder hatte das Ausländeramt seine Zustimmung nach Paragraf 31 AufenthV damals erteilt noch zu einem späteren Zeitpunkt. Der Mann hatte sich seinerzeit auf seine Rechte berufen, die sich aus dem BDSG ergeben, und er macht es noch immer. Wenn die zusätzlichen Angaben und Belege jetzt entbehrlich sind, dann stellt sich die Frage, warum diese sechs Monate zuvor zwingend erforderlich gewesen sein sollen.
Aus dem letzten Satz des Schreibens des Auswärtigen Amtes vom 9. März 2022 ergibt sich, dass es Paragraf 31 AufenthV im vorliegenden Fall für nicht anwendbar hält. Dann ist aber festzustellen, dass dies auch sechs Monate zuvor gegolten haben muss und die Zurückweisung des Antrags auf das Heiratsvisum sowie der Remonstrationsbescheid damit rechtswidrig waren. Wie ist es aber dann zu erklären, dass die Abweisung der Klage beantragt wird und sich das Haus Baerbock der Begründung des Remonstrationsbescheides vom 6. Januar 2022, der das Gegenteil des letzten Satzes des Schriftsatzes vom 9. März 2022 aussagt, vollumfänglich anschließen will?
Zur Abkürzung des Verfahrens haben die Verlobten im März 2022 auf Kuba geheiratet, jetzt geht es noch um das Visum zur Familienzusammenführung. Die beiden Verwaltungsgerichtsverfahren werden als Fortsetzungsfeststellungsklagen aber weiter betrieben. Dabei wird es vor allem um die Frage gehen, ob die Bundesrepublik Deutschland Menschenrechte verletzt hat. Das ist kein Streit um des Kaisers Bart, denn den Eheleuten ist wegen ihrer verspäteten Heirat ein erheblicher Schaden entstanden, schon wegen des entgangenen Steuervorteils für das Jahr 2021 aus dem Splittingtarif.
Der politische Schaden könnte aber größer sein. Will Frau Baerbock, die gern als Missionarin um die Welt reist und überall die Einhaltung der Menschenrechte predigt, bei der Aussage bleiben: „Wer ein Menschenrecht wahrnehmen will, kann dafür ins Ausland reisen!“? Der internationale Spott, insbesondere aus Belarus, Russland, China, Myanmar, Iran, Venezuela und nicht zuletzt aus Kuba wäre ihr sicher. Gustav Heinemann sagte als Justizminister einst in einer Fernsehansprache zum Attentat auf Rudi Dutschke: „Wer auf andere mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeigt, der deutet mit drei Fingern seiner Hand auf sich selbst“. Hat die Außenministerin noch Zeit, um zurückzurudern und alles als bedauerliches Missverständnis hinzustellen, oder hat Annalena es mal wieder verbaerbockt?
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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