Wer nicht am Handgelenk gekennzeichnet ist, muss draußen bleiben Berliner Handelsverband führt 2G-Bändchen ein

Von Alexander Wallasch

Der Handelsverband Berlin und Brandenburg (HBB) will jetzt Bändchen einführen, die Geimpfte oder Genese erhalten, damit sie ungestört von Kontrollen vor jedem einzelnen Geschäft ihre Einkäufe erledigen können.

Hintergrund: Ein negatives Testergebnis reicht zum Einkaufen aktuell nicht mehr aus. Der Ungeimpfte darf nur noch in Supermärkten, Drogerien, Apotheken usw. Produkte zur Grundversorgung einkaufen. Laut Tagesspiegel gab ein Sprecher der Berliner Gesundheitsverwaltung für die Bändchen sein Okay: „Von unserer Seite gibt es keine Einwände. Die Berliner Verordnung lässt das zu.“

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete (bis 2021) Diether Dehm (Die Linke) kommentierte die Handgelenksmarkierung im Gespräch mit reitschuster.de so:

„Manche glauben, wir hätten auf deutschem Boden besonders gute Erfahrungen mit Kennzeichnungen. Ich hingegen gehöre zu denen, die da einen Schrecken bekommen.“

Aber Bändchen hin oder her: Auch hier müssten zunächst Impfausweis, App oder Genesenenzertifikat kontrolliert werden, um so ein Bändchen ums Handgelenk tragen zu dürfen. Der Vorteil läge aber darin, dass man es nur ein Mal machen müsste und nicht vor jedem Geschäft neu, sagte der Geschäftsführer des Verbandes: „Wir erhoffen uns davon, dass das die Mitarbeiter entlastet und etwas Druck rausnimmt.“

Besagter Verband vertritt die Interessen des Einzelhandels. Laut Selbstauskunft würden die ca. 2.000 Einzelhandelsunternehmen, die Mitglied im HBB sind, mehr als 85 Prozent der Marktanteile im Einzelhandel beider Bundesländer repräsentieren.

Einzelhandelsverband erteilt Ratschläge in Demokratie

Aber was macht so ein Verband, außer solche Bändchenideen zu entwickeln? Er beteiligt sich beispielsweise an Projekten wie „Berlin gegen Nazis – Wir sind viele!“ oder „Berliner Ratschlag für Demokratie“. Und wählt man auf der Webseite „News aktuell“ aus, findet sich an erster Stelle eine schon etwas vergilbte – die Wahlen sind ja gelaufen – Wahlkampfhilfe für die Grünen. Wenige Tage vor dem Urnengang hatte der Verband nämlich zu einer Podiumsdiskussion „Autofrei shoppen, geht das?“ eingeladen und hier zum Gespräch mit der Berliner Spitzenkandidatin der Grünen.

HBB-Geschäftsführer Nils Busch-Petersen sagte gegenüber der Berliner Morgenpost, dass die ersten Einkaufszentren die neuen 2G-Bändchen bereits angewandt hätten.

Es reicht dem Berliner Senat für die Erfassung von 2G übrigens nicht aus, nur den Impfausweis vorzulegen. Bevor der Verband im Einzelhandel seine Bändchen verteilt, müssen die Impf- und Genesenennachweise digital verifizierbar sein, heißt es. Und der Regierende Bürgermeister teilt auf Berlin.de mit, wie das geht: „Etwa über die Corona-Warn-App des Bundes oder die CovPass-App des Robert Koch-Instituts. Auch ausgedruckte QR-Codes sind digital verifizierbar.“

Die digitale Verifizierung ist demnach Bedingung, während es auf der Seite der Bundesregierung dazu weiter tapfer heißt: „Die App ist ein Angebot der Bundesregierung. Download und Nutzung der App sind vollkommen freiwillig.“

Und selbstverständlich wird niemand gezwungen, über das Lebensnotwendige hinaus einzukaufen, aber mit Freiwilligkeit hat, was Berlin jetzt einführt, nichts mehr zu tun.

Schrilles Konzert der 2G-Befürworter

Die Morgenpost schreibt einleitend, es würde sich hier um Bändchen handeln, wie man sie von Konzerten kennt. Das klingt fast schon verniedlichend, denn diese Konzert-Bändchen schließen ja niemanden aus, solange man den Eintritt bezahlt.

Und schaut man sich genauer an, was Geschäfte in Berlin am Eingang als Information für ihre Kunden anbieten, dann erinnert das an EU-Verordnungen für Legebatterien für Hühner: „Wir halten uns an die gesetzlichen Vorgaben: Eine Person pro 10 m². Das bedeutet für diesen Store 9 Personen insgesamt.“

Das Einkaufen in der Vorweihnachtszeit soll dank der Bändchen jetzt wieder attraktiver werden, berichtet RBB24. Das muss man sich vorstellen: Die Selektion von Menschen per Farbband am Handgelenk als Auftakt der Weihnachtszeit auf der Shoppingmeile. Gegenüber dem Sender erklärte der HBB-Chef, diese Bändchenregel wäre auch für Fußgängerzonen wie zum Beispiel die Wilmersdorfer Straße in Berlin oder die Brandenburger Straße in Potsdam denkbar.

Von der Kennzeichnung durch 2G-Bändchen für einen Verbund von Geschäften ist es demnach kein weiter Weg mehr hin zur Sperrung ganzer Straßenzüge für Ungeimpfte? Überhaupt ist hier schon die verniedlichende Bezeichnung „Bändchen“ für eine Markierung am Handgelenk per Band irreführend.

Wäre es nicht praktischer die Ungeimpften zu kennzeichnen?

Wann kommt als nächstes einer auf die Idee, einfach alle Ungeimpften zu markieren? Das sind viel weniger und so wäre der Geimpfte und Genese zukünftig von allem Unbill beim Einkaufen befreit – eine Dystopie oder berechtigte Sorge angesichts der Markierung von Menschen zum Zwecke der Erteilung einer Einkaufsberechtigung?

Die Arkaden an der Schönhauser Allee und das Rathaus-Center in Pankow haben die 2G-Bänder bereits eingeführt, weiß RBB24. Hier wäre es einmal interessant zu erfahren, ob das den Umsatz tatsächlich angekurbelt hat und wie sich das auch für die Bändchenträger anfühlt. Verbandschef Busch-Petersen hofft jedenfalls, wie schon zitiert, „dass wir das extrem schleppende Weihnachtsgeschäft beleben und Mitarbeiter der Geschäfte entlasten können.“

Viele Bürger fragen sich aktuell, ob solche Maßnahmen nicht ein Fall für die Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung sind. Und die vermelden tatsächlich ein deutlich erhöhtes Aufkommen von Meldungen. Zunächst informiert die Antidiskriminierungsstelle darüber, dass es bisher nur wenige Gerichtsentscheidungen gäbe und es sich insofern „um die unverbindliche Rechtsauffassung der Antidiskriminierungsstelle“ handeln würde.

Und die Rechtsauffassung der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung klingt dann so:

Der Diskriminierungsschutz nach dem AGG greift nur, wenn Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Der Impfstatus als solcher und die Tatsache geimpft, genesen oder getestet zu sein, ist keine nach dem AGG geschützte Eigenschaft bzw. kein gesetzlich verbotener Unterscheidungsgrund.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August 2021 ist Alexander Wallasch im „Team Reitschuster“.

 
Bild: Shutterstock  
Text: wal

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