Von Daniel Weinmann
Immer mehr Analysen zeigen: Die Zahl psychischer Erkrankungen hat durch die Corona-Pandemie weltweit enorm zugenommen. Die jüngste Erhebung stammt von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), deren Zahlen besonders erschrecken, weil die Gesundheitswächter bislang eher versuchten, die Folgen der Viruskrise herunterzuspielen. Ihr aktueller Befund: Das erste Corona-Jahr 2020 hat weltweit zu 25 Prozent mehr Angststörungen und Depressionen geführt.
Diese Daten sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs, mahnt WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus: „Dies ist ein Weckruf an alle Länder, der psychischen Gesundheit mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die psychische Gesundheit ihrer Bevölkerung besser zu unterstützen.“
Zu den Hauptgründen zählt die WHO den „nie dagewesenen Stress“, der durch die soziale Isolation infolge der Pandemie verursacht worden sei. Damit verbunden waren Einschränkungen beim Arbeiten, beim Suchen von Unterstützung durch Angehörige und beim Wirken im persönlichen Umfeld.
Keine angemessene Versorgung
Als weitere Belastungsfaktoren, die zu Angst und Depression führen, nennt die WHO Einsamkeit sowie die Angst vor Ansteckung, Leid und Tod für sich selbst und für Angehörige. Trauer nach einem Todesfall und finanzielle Sorgen wurden ebenfalls als Stressoren genannt. Bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen wiederum ist Erschöpfung ein wichtiger Auslöser für Selbstmordgedanken.
Das Positionspapier, das Schätzungen aus der jüngsten globalen Burden-of-Disease-Studie enthält, zeigt, dass junge Menschen besonders stark von Selbstmordgedanken und selbstzerstörerischem Verhalten bedroht sind. Erschwerend hinzu kamen große Versorgungslücken für diejenigen, die besonders dringend Hilfe benötigten. Über weite Strecken der Pandemie waren die Betreuungseinrichtungen für psychische und neurologische Erkrankungen von allen am stärksten beeinträchtigt.
Viele Länder meldeten auch erhebliche Einschränkungen bei lebensrettenden Diensten für psychische Gesundheit, einschließlich der Suizidprävention. Bis Ende 2021 habe sich die Situation zwar etwas verbessert, schreibt die WHO. Doch immer noch seien zu viele Menschen nicht in der Lage, eine angemessene Versorgung und Unterstützung zu erhalten.
Frauen sind besonders stark betroffen
Bestätigt werden die beängstigenden Daten der WHO von einer Analyse der DAK-Gesundheit. Danach erreichte der Arbeitsausfall wegen psychischer Probleme im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand.
Mit 276 Fehltagen je 100 Versicherte stieg die Zahl der Fälle um 41 Prozent gegenüber 2011. Im Schnitt waren die Arbeitnehmer 39,2 Tage krankgeschrieben – so lange wie nie zuvor. Besonders betroffen sind Frauen. So fehlten DAK-versicherte Arbeitnehmerinnen 2020 im Schnitt an 3,4 Tagen wegen einer psychischen Erkrankung, 2019 waren es noch 3,3 Tage. Männer kamen in beiden Jahren auf durchschnittlich 2,0 Tage.
Einen überdurchschnittlichen Anstieg verzeichnete die drittgrößte gesetzliche Krankenkasse Deutschlands wegen der Pandemie auch bei Angststörungen. Sie verursachten im vergangenen Jahr 21 Ausfalltage je 100 Versicherte – 77 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.
„Unser Report zeigt, dass viele Menschen mit psychischen Erkrankungen extrem unter den anhaltenden Belastungen der Pandemie leiden“, zog Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit, Bilanz. Besonders prekär: „Die Betroffenen finden aktuell auch schwerer wieder in ihren Berufsalltag zurück.“
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Bits and Splits/ShutterstockText: dw