Wie die ARD die Kriminalitätsstatistik zurecht biegt

Die Botschaft der Tagesschau war eindeutig: Rechtsextremismus ist ein riesiges Problem, Linksextremismus eher nicht. Man darf davon ausgehen, dass dies so bei den meisten der Millionen Zuschauer und Leser hängen geblieben ist. Doch es stimmt nicht. Wäre man böse und würde man zuspitzen, könnte man der ARD vorwerfen, dass sie Fake News verbreitet. Und der Bericht damit eigentlich ein Fall wäre für die hauseigenen Faktenfinder um Patrick Gensing: Doch der ist wohl zu sehr damit beschäftigt, Fakten zu framen und Journalisten, die auf seine merkwürdige Haltung zu Fakten hinweisen, zu verklagen (siehe hier).

Der Beitrag in der 20-Uhr-Tagesschau am 28.5. begann noch halbwegs korrekt mit dem Hinweis, dass die Zahl der politisch motivierten Straftaten von rechts wie links stieg (wobei der stärkere Anstieg links motivierter Straftaten verschwiegen wurde). Sodann kam Georg Maier zu Wort, der Vorsitzende der Innenministerkonferenz. Der Sozialdemokrat dient im Kabinett des „Linken“-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, von dessen Partei mehrere Gruppierungen vom Verfassungsschutz beobachtet werden und einen Systemwechsel anstreben – nach links.

Mit einer aufgesetzt bitteren Miene, so als sei er selbst unmittelbar und sofort von rechtsextremer Gewalt bedroht, sagte der überaus gepflegte Sozialdemokrat: „Es ist eine neue Dimension, was die Bedrohung unserer Demokratie anbelangt, und diese Gefahr kommt von rechts.“ Sodann sprach er von zehn Morden 2020 mit „rassistischem, rechtsextremen Hintergrund“. Er meinte damit wohl Hanau – wo aber explizit Zweifel an genau diesen Motiven herrschen und das Bundeskriminalamt seine Ermittlungen noch gar nicht abgeschlossen hat (Details siehe hier). Somit ist die Darstellung in der Tagesschau dreistes Framing und Entstellen von Fakten. Vor einem Millionenpublikum, das so offenbar in die richtige Denkrichtung geführt werden soll.

Statt Maiers Aussage korrekt einzuordnen und ihre Fakten-Ferne zu enthüllen, assistiert die Sprecherin des Tagesschau-Beitrags dem Sozialdemokraten wie folgt: „Die Sicherheitsbehörden stellen sich vermehrt auf diese Bedrohungslage ein, besprechen besondere Fälle im gemeinsamen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum.“ Somit war auch noch die Analogie „rechts“ und „Terrorismus“ hergestellt. Framing wie aus dem Handbuch.

Sodann war auf dem Bildschirm Holger Münch, Bundeskriminalamts-Präsident aus dem linken Bremen, zu sehen, der aussieht wie ein Clon von Maier (woher nehmen die nur so viele so gleich wirkende geschlechtslose, windkanalgeformte Parteisoldaten?). Er sprach von den Gefährder-Zahlen – nur denen von rechts („da sind wir bei 65“). Sodann war noch von der Hasskriminalität im Netz die Rede – auch die wurde aus dem Kontext heraus damit als per se rechts dargestellt. Gewalt von links? Die Antifa, die US-Präsident Trump zur Terrororganisation erklären will, und die bei uns Sympathien bis ganz oben genießt (siehe hier)? Alles kein Thema für die ARD.

Der Beitrag wirkt wie ein Musterbeispiel für Manipulation im Journalismus. Bis man den Artikel zum Thema auf tagesschau.de liest, der noch einen drauf setzt. Er erschien zu einem Zeitpunkt, als die neue Kriminalitätsstatistik nur in Auszügen bekannt war. „Das geplante Gesetz gegen Hass und Rechtsextremismus ist angesichts zunehmender judenfeindlicher Straftaten und rechtsextremer Hetze die richtige Antwort des Rechtsstaats“ – mit diesen Worten zitiert die ARD-Seite den Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes Sven Rebehn. Nach einem Interview, das dieser dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gegeben hat, das mehr als 50 Zeitungen mit Artikeln beliefert und teilweise im Besitz der SPD ist. Von Linksextremismus auch bei ihm keine Rede.

Bei 61,6 Prozent der Straftaten, die als politisch rechts motiviert erfasst sind, handelt es sich um so genannte Propagandadelikte, wie etwa Hakenkreuz-Schmierereien. Zu den Besonderheiten dieser Erfassungsform gehört auch, dass wenn etwa ein Verrückter 100 Schriftstücke verschickt, die Hitler loben, 100 mal eine politisch rechts motivierte Straftat registriert wird. Diese Zusammenhänge verschweigt die ARD. Weil sie nicht zum gewünschten Framing passen? Von den 22.270 Straftaten 2019 waren 13.362 Propaganda-Delikte – die nur Rechte begehen können. Somit verbleiben 8.908 rechte Straftaten, die mit den 9.792 linken Straftaten vergleichbar sind, wie das Magazin EF vorrechnet.

Weiter heißt es in dem ARD-Bericht, „Die Zahl der Gewaltdelikte ging aber insgesamt zurück.“ Diese Aussage wird durch keinerlei Zahlen untermauert, steht völlig im luftleeren Raum bzw. im Text. In den Vorjahren hatten Linksextremisten mehr Gewalttaten begangen als Rechtsextremisten, so EF.

„Stark angestiegen ist auch die antisemitisch motivierte Kriminalität. Die Behörden registrierten 2032 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund und einen Anstieg von 13 Prozent im Vergleich zu 2018“, heißt es in dem Bericht weiter: „Bei Beleidigungen und Übergriffen auf jüdische Mitbürger und jüdische Einrichtungen kamen die Täter fast ausschließlich aus der rechtsextremen Szene. Dies gilt auch für Taten, die als islamfeindlich eingestuft werden. Ihre Zahl stieg um 4,4 Prozent auf 950 Delikte.“

Es ist eine dreiste Mogelpackung, die die ARD hier ihren Gebührenzahlern auftischt. Bei einem Thema, das ein gewaltiges Tabu ist in Deutschland: Die Erfassung judenfeindlicher Straftaten zeige „ein vollkommen schiefes Bild“, beklagt der Fachsprecher Antisemitismus der Partei „Allianz liberaler und libertärer Europäer (ALLE)“, Jörg Lepkes: Dass in der Kriminalitätsstatistik von allen antisemitischen Delikten 93 Prozent sogenannten rechten Straftätern zugeordnet worden seien, stehe „im krassen Widerspruch zur erlebten Alltagswirklichkeit deutscher und europäischer Juden“, kritisiert Lepkes.

Vielmehr stammten die Täter in den weitaus meisten Fällen offenkundig aus einem islamischen Umfeld, so der Fachsprecher: „Umfragen aus den Vorjahren unter Juden in Deutschland, die Opfer von antisemitischen Taten wurden, haben ergeben, dass bei 62 Prozent der Beleidigungen und 81 Prozent der körperlichen Angriffe jeweils muslimische Personen als mutmaßliche Täter angegeben wurden.“

Dennoch seien etwa »Sieg Heil«-Rufe wie bei einer islamisch-antisemitischen Al-Kuds-Demonstration im Juli 2014 in Berlin in der Polizeistatistik als politisch motivierte Kriminalität mit rechtsextremen Motiven gewertet worden. Dies sei kriminalstatistisch „ein unhaltbarer Zustand“, sagt Lepkes. „Die statistische Erfassung judenfeindlicher Delikte muss endlich die Realität widerspiegeln und daher methodisch vom Kopf wieder auf die Füße gestellt werden.“

Lepkes fordert eine Neuordnung der Kriminalitätsstatistik. Unaufgeklärte Fälle müssen auch als solche einer Statistik zugeführt werden. Nur eine völlige Transparenz ermögliche zielgerichtetes Handeln gegen jede Form von politisch motivierter Kriminalität.“ Eine Bekämpfung von Antisemitismus könne nur erfolgreich sein, „wenn die Zielgruppe möglicher Maßnahmen benannt wird“, so Lepkes: „Dazu gehören alle Bereiche der Gesellschaft, linke und rechte Gruppierungen, die Mitte, aber eben auch, und das lässt Herr Seehofer weitgehend unerwähnt, die Muslime als Teil und Bestandteil unserer Gesellschaft.“

In der Tagesschau war zu all dem kein Wort zu hören. Die eigene Berichterstattung wäre damit ein Fall für die ARD-Faktenfinder. Wenn die wirklich an Fakten interessiert wären. Aber ihr Chef Patrick Gensing sagte ja selbst: „Ich bin ein großer Freund von Journalismus mit Haltung, weil ich mich daran viel besser abarbeiten kann. Ich glaube, dass man die Leute eher gewinnen kann, wenn im Journalismus eine Haltung vertreten wird, als wenn da irgendwie einfach nur Fakten angehäuft werden. Das ist in meinen Augen auch überhaupt nicht Journalismus. Einfach nur Fakten zu liefern und sagen, wir können das nicht beurteilen und wissen das nicht. Das zu beurteilen ist doch genau unser Job.“

Nachdem ich dieses Interview-Zitat Genings, auf einer Kachel mit seinem Porträt dargestellt, im Herbst auf twitter geteilt hatte, wurde ich von ihm juristisch attackiert und anschließend verklagt. Nicht wegen des Inhalts – der ist wasserdicht. Sondern weil er geltend macht, vom Fotografen seines Portraits, der für die ARD tätig ist, alle Nutzungsrechte erworben zu haben. Mündlich (Details hier). Die ARD – der Sender, wo Faktenchecker ganz offen erklären, dass im Journalismus nicht nur Fakten angehäuft werden sollen. Und dann juristisch aktiv werden, wenn man sie daran erinnert.


Bild: ARD/Tagesschau/Screenshot

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert