Von Kai Rebmann
Wenn es um mangelhafte Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative geht, werden hierzulande gerne die Justizreformen in Ländern wie Polen oder Israel als besonders schlechte Beispiele genannt. Aber: „Eine Hand wäscht die andere“, dieses Motto scheint gerade in Deutschland so allgegenwärtig zu sein wie kaum wo sonst. Verwundern kann das nicht, denn schon der Volksmund weiß: „Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst!“
Dabei sind es längst nicht mehr „nur“ die inzwischen fast schon traditionellen Abendessen, die vor besonders richtungsweisenden Entscheidungen zwischen Vertretern der Bundesregierung und den Verfassungsrichtern aus Karlsruhe stattfinden. So war es vor dem Urteil zur Bundesnotbremse und so war es auch im Vorfeld der historischen Entscheidung über die Haushaltstricks der Ampel.
Der einst tadellose Ruf des Bundesverfassungsgerichts hat seine ersten Kratzer wohl spätestens mit der Berufung des Merkel-Vertrauten Stephan Harbarth nach Karlsruhe (mit den Stimmen der damaligen Großen Koalition sowie der FDP) Ende 2018 bekommen. Im Juni 2020 ist das ehemalige Vorstandsmitglied der CDU schließlich zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts aufgestiegen.
Mehr noch: Harbarth wechselte vor gut fünf Jahren praktisch über Nacht die Seiten – frei nach dem Motto: „Gestern noch Fraktionsvize der Union im Bundestag, heute schon Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.“ Ein Schelm, der anmerkt, dass derartige Rochaden geradezu nach dem Verdacht von Interessenskonflikten schreien.
Gewaltenteilung nur auf dem Papier
Der interne Verhaltenskodex, den das Bundesverfassungsgericht sich selbst und den dort urteilenden Richtern im Jahr 2017 auferlegt hat, besagt: „Die Richter des Bundesverfassungsgerichts verhalten sich innerhalb und außerhalb ihres Amtes so, dass das Ansehen des Gerichts, die Würde des Amtes und das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Integrität nicht beeinträchtigt werden.“
Mit anderen Worten: Ein Verfassungsrichter ist in erster Linie immer ein Verfassungsrichter – und kann sich allenfalls in absoluten Ausnahmefällen darauf berufen, sich als Privatperson zu äußern oder zu handeln. Vor diesem Hintergrund sind Treffen und Telefonate zu bewerten, wie sie im politischen Berlin und juristischen Karlsruhe offenbar an der Tagesordnung sind.
So berichtete die „Welt“ zuletzt etwa von zwei Telefonaten zwischen Dr. Angelika Schlunck, Staatssekretärin von Justizminister Marco Buschmann (FDP), und Thomas Offenloch, damals noch Richter am Bundesgerichtshof. Die Gespräche sollen am 25. und 27. Januar 2022 stattgefunden haben, inhaltlich sei es um „berufliche Entwicklung“ gegangen. Noch im selben Jahr wurde Offenloch zum Bundesverfassungsrichter gewählt – auf Vorschlag der FDP.
Am 29. Juni 2023 habe es dann ein gemeinsames Mittagessen gegeben, bei dem wohl auch Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff, ebenfalls ein von der FDP nominierter Richter, mit am Tisch saß. Die beiden Neu-Verfassungshüter hätten Schlunck bei dieser Gelegenheit über „ihre ersten Erfahrungen“ im neuen Tätigkeitsfeld berichtet, „insbesondere über die Zusammenarbeit des Bundesverfassungsgerichts mit Verfassungsgerichten anderer Staaten“.
Seit wann müssen Verfassungsrichter im Justizministerium Rechenschaft über ihre Arbeit in Karlsruhe ablegen? So jedenfalls der Eindruck, der durch die Erklärung des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass der oben genannten Telefonate und Treffen entsteht.
Man kennt sich, man schätzt sich
Doch wie regelmäßig laufen sich Verfassungsrichter und diejenigen, die sie in Amt und Würden gebracht haben, eigentlich über den Weg? Laut WamS-Anfrage war das allein seit Amtsantritt der Ampel, also in den letzten gut zwei Jahren, bei rund 80 Gelegenheiten der Fall, rund alle zehn Tage also.
Im Sprachgebrauch des Bundesverfassungsgerichts und der angefragten Ministerien ist dann von „dienstlichen Anlässen“ die Rede. Dahinter können sich der Große Zapfenstreich für Altkanzlerin Merkel, Gedenkstunden im Bundestag, Abendessen mit Vertretern aus europäischen Königshäusern oder auch die Beisetzung des emeritierten Papstes Benedikt VXI. verbergen.
Das Gericht betont zwar, dass bei solchen Treffen niemals über „konkrete Verfahren“ gesprochen werde, räumte gleichzeitig aber ein, dass es durchaus immer mal wieder „kurze“ Gespräche zwischen Vertretern der Exekutive und der Judikative gebe.
Nur Small Talk am Rande zwischen alten Bekannten also? So richtig glauben kann man das leider nicht, zumal es in vielen Fällen längst nicht bei diesen offenbar rein dienstlich begründeten Treffen bleibt, bei denen sich die Wege scheinbar zwangsläufig kreuzen müssen.
Zumindest fraglich erscheint, ob unbedingt notwendig ist, dass Stephan Harbarth im Jahr 2022 als Gast auf den Sommerfesten der NRW-Landesvertretung oder der Bundestagsfraktion der Grünen auftaucht. Welche „dienstliche Gründe“ könnte es für diese Stippvisiten gegeben haben? Oder ging es dabei dann doch um die Pflege alter Bekannt- bzw. Seilschaften?
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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