Eine Rezension von Josef Kraus
Aktuell kommen immer mehr Bücher auf den Markt, in denen Lehrer (es sind bislang bezeichnenderweise immer Lehrerinnen) die zum Teil katastrophalen Umstände an Deutschlands (und Österreichs) Schulen mit 80 und 90 Prozent Migrantenanteil beschreiben. Das ist gut so. Gut ist nicht, dass die Verhältnisse so sind, sondern dass es Lehrerinnen gibt, die den Mut aufbringen, Klartext zu schreiben. Denn was in diesen Büchern authentisch geschildert wird, ist echte Empirie, wie sie sich in keinen schlauen Studien, statistischen Schaubildern, keinem PISA-Ergebnisband, keinen bildungspolitischen Berichten und keinen Gefälligkeitsgutachten der Bertelsmann Stiftung finden. Nämlich – kurz und bündig: Multikulti-Schule geht nicht. Schule kann nicht auffangen, was eine völlig naive Zuwanderungspolitik inszeniert. Das sind die Worte des Rezensenten, im Kern ist das der Grundtenor dieser Bücher.
Nach den Titeln „Kulturkampf im Klassenzimmer“ (Susanne Wiesinger 2018), „Eine Lehrerin sieht Rot“ (Doris Unzeitig 2019) und „Schule vor dem Kollaps“ (Ingrid König 2019) hat nun eine junge Berliner Lehrerin unter dem Pseudonym „Katha Strofe“ (wohlgemerkt nicht: Kata-Strophe) mit einem weiteren Titel nachgelegt: „Leaks aus dem Lehrerzimmer. Mein Jahr als Lehrerin an der Grundschule des Grauens“. Pseudonym? Klar, eine Lehrerin am Beginn ihrer Laufbahn kann sich nicht persönlich outen. Sie schreibt denn auch wörtlich: “Die Geheimhaltungsklausel in meinem Arbeitsvertrag sagt, ich darf dieses Buch nicht schreiben. Mein Gewissen sagt, ich muss dieses Buch schreiben.“
Lesen wir Katha Strofes Buch von der letzten Seite hinten her. Es endet mit folgendem Abschnitt: „…Lehrer brauchen Respekt. Schüler brauchen kleinere Klassen und individuellere Förderung. Alle brauchen … weniger Heterogenität in den Lerngruppen. Eltern brauchen Vertrauen in die Schule. Schule braucht Anerkennung.“
So schreibt eine junge Lehrerin, Anfang 30, die nach ihrer Ausbildung als Gymnasiallehrerin aus Gründen des dortigen Lehrerbedarfs ein Jahr an einer Berliner Grundschule unterrichtete, ehe sie diese Schule fluchtartig verließ, um eine Stelle an einem Gymnasium anzutreten, wo noch (?) halbwegs ordentliches Unterrichten möglich ist.
Was Katha Strofe an der Grundschule erlebt hat, ist das Gegenteil von dem, was halbwegs gute Schule ausmacht: dass Lehrer Respekt genießen, dass Klassen keine multikulturellen Ansammlungen sein können und dass Schule von Politik und Eltern Anerkennung braucht.
Alles von der Autorin – glaubhaft – Geschilderte ist anonymisiert. Der erfundene Name „Kaspar-Hauser-Grundschule“ ist wohl beabsichtigte Diagnose. An regulären Unterricht ist kaum zu denken. 30 bis 40 Prozent der Lehrer sind regelmäßig krankgemeldet, Vertretungsstunden in allen Fächern querbeet drängen den Regelunterricht an den Rand. Manche Stunden müssen mit dem Ausmalen von Mandalas überbrückt werden, weil der Laden sonst gänzlich auseinanderfällt. Noch ein „Willkommenskind“ und noch ein „Inklusionskind“ wird in die Klasse gesteckt. Sanktionsmöglichkeiten für rabiate Schüler, die schon auch mal in Begleitung von drei starken Brüdern auftreten, gibt es nicht. Unterricht in den 5. Klassen (Berlin hat 6 Jahre Grundschule) findet zum Teil auf dem Niveau einer 2. Klasse statt. Klar, die wenigen motivierten und begabten Schüler fallen hinten runter, auch weil sie gemobbt werden. Unter den Lehrern, darunter wegen des Lehrermangels immer mehr Quereinsteiger ohne Ausbildung, breitet sich eine Mischung aus Hilflosigkeit und Wut aus. Manche Lehrer sind in die innere Emigration gegangen, andere halten nach wie vor ihr pädagogisches Ethos hoch. Wie lange noch?
Heldenhafter Sisyphos
Das Buch ist ehrlich und humorvoll zugleich geschrieben. Humor an dieser Stelle? Ja, es ist oft die letzte Möglichkeit, mit Kontingenzen, also mit den Unzulänglichkeiten und Unwägbarkeiten des eigenen Berufslebens fertig zu werden. Die Gefahr freilich ist, dass Humor in Zynismus umschlägt. Auch das wäre verständlich, wenngleich Zynismus gerade im Umgang mit Kindern nichts zu suchen hat. Allerdings hat auch nicht jeder Lehrer das Zeug zum heldenhaften Sisyphos, der im Sinne von Albert Camus‘ „Der Mythos des Sisyphos“ sogar als Sisyphos glücklich sein kann.
Ob die politisch Allgewaltigen Katha Strofes Buch lesen werden? Nein, sie werden es vermutlich als „nicht hilfreich“ abtun oder nonchalant sagen: „Nun sind sie halt mal da.“ Den Schulen vor Ort hilft es nichts. Denn sie müssen ohne jede Erfolgsaussicht aufnehmen, was Deutschlands ungesteuerte Migrationspolitik ihnen beschert.
Alles in allem: Katha Strofes Buch ist hilfreich, weil es ehrlich ist. Dass der Titel „Leaks aus dem Lehrerzimmer“ etwas falsche Erwartungen wecken könnte, es geht ja in erster Linie um die Lage in den Klassenzimmern, und dass die eine oder andere politisch korrekte Bemerkung gegen Rechts unnötig ist, übergehen wir mal. Vermutlich ist letzteres immunisierend-präventiv dem mittlerweile allgegenwärtigen „Rassismus“-Rundumschlag geschuldet.
Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist; Buchtitel u.a. „Helikoptereltern“ (2013, auf der Spiegel-Bestsellerliste), „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (2017), „Sternstunden deutscher Sprache“ (2018; herausgegeben zusammen mit Walter Krämer), „50 Jahre Umerziehung – Die 68 und ihre Hinterlassenschaften“ (2018), „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (2019, zusammen mit Richard Drexl)
Text: Gast