Nein, eine Schwalbe macht noch keinen Frühling, und es ist alles andere als ein Durchbruch. Aber es ist erfreulich, dass heute ein Kollege auf der Bundespressekonferenz nachhakte zu dem Thema, das ich vergangene Woche groß gebracht habe – den falschen Zahlen des Robert Koch-Instituts zur Impf-Effektivität. Leider bekam ich heute selbst auf der Bundespressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Chef Lothar Wieler nicht das Wort. Auch in der folgenden Regierungssprecher-Bundespressekonferenz wurden meine Fragen zum Thema Corona ignoriert. Dafür bringe ich Ihnen heute die Frage des Kollegen Hans Jessen, der früher bei den öffentlich-rechtlichen Sendern war und heute mit Tilo Jung von Jung & Naiv zusammenarbeitet. Den Fehler des RKI findet er zwar offenbar aus diametral entgegengesetzten Gründen ärgerlich. Aber das ändert nichts daran, dass er Wieler heute auf den Zahn fühlte und dieser sich zuerst mit Nebelkerzen und Irreführung retten wollte – und dann auf eine treffende Nachfrage nichts mehr zu sagen hatte. Lesen Sie hier den Dialog, den mein Team für mich transkribiert hat.
FRAGE JESSEN: „Herr Wieler, haben Sie sich in den letzten Tagen eigentlich mal gefragt, ob Sie nicht unfreiwillig durch eigenartige oder eigenwillige Berechnungsmethoden des RKI Impf-Skeptikern oder Gegnern Munition geliefert haben? Die haben ja die Angaben zur Impf-Effizienz, also wie wirksam schützt Impfung, von zum Teil über 95 Prozent um 6 Prozent-Punkte gesenkt. Hintergrund ist, dass sie in der Vergangenheit bei den Berechnungsgrundlagen so getan hatten, als seien alle Symptomatisch-Erkrankten, wo der Impfstatus unklar war, als seien die alle ungeimpft. Das ist ne Verzerrung der Grundlage, führt zu ner Verzerrung des Ergebnisses und das ist doch Munition für diejenigen, die jetzt sagen, die ganzen offiziellen Zahlen sind nicht belastbar, warum machen Sie sowas?“
ANTWORT WIELER: „Ja, eine gute Frage, Herr Jessen. Wir fragen uns übrigens nicht erst seit einer Woche, wie unsere Daten dokumentiert werden, sondern vom ersten Tag an, denn tatsächlich ist das auch alles nicht so trivial. Der entscheidende Punkt hier ist folgender: Normalerweise berechnet man die Effektivität eines Impfstoffes nach der Saison, z.B. bei Influenza, wenn man eine feste Datenbasis hat, wenn man viele Verzerrungen hat rausrechnen können, und wenn man wirklich viele Unwägbarkeiten rausrechnet. Wir haben den Weg gewählt, dass wir eine Methode, die wir immer wieder auch kritisch hinterfragt haben, oder kritisch diskutiert haben. Ähm.. *Wieler schaut in die Ferne* … Es gibt auch andere Gefahren außer Corona.“
VORSITZENDE BUSCHOW: „Also, solange ich sehe, Sie sehen noch sehr entspannt aus: Kann damit jetzt jemand umgehen? Okay, ich glaub wir müssen hier an der Stelle einfach aus Sicherheitsgründen mal unterbrechen. Ich stelle mal, wir haben ja ein … es qualmt dort hinten ein bisschen.“
SPAHN: „Hat gerade aufgehört.“
WIELER: „Also, um das kurz zu Ende zu bringen, wir haben uns entschieden, eine Schätzung durchzuführen. Eine Schätzung, die hat eine Reihe von Unsicherheiten, die wir auch kontinuierlich wirklich besprochen haben und immer wieder auch dargestellt haben. Und das ist eine grobe Schätzung. Das heißt bei dieser Schätzung geht es eben nicht um ein paar Prozent hoch oder runter, sondern es geht eine prinzipielle Schätzung. Und diese Schätzung haben wir insofern korrigiert, als, wir haben ja schon zum zweiten Mal etwas nachkorrigiert, und das heißt nicht, das ist keine Korrektur, sondern eine Verbesserung der Methodik, weil sie eben mit Unwägbarkeiten verbunden ist. Insofern ist das ein ganz normaler Prozess und ich denke, es ist deutlich wichtiger, dass man konservativ diese Schätzung durchführt, als dass man eine Überschätzung der Impfwirkung hat, denn das wäre tatsächlich für Kritiker noch schwieriger.
Aber wie gesagt, es ist eine grobe Schätzung, es ist eben keine mathematisch wirklich 100%-ige Effektivitätsberechnung, die werden wir liefern können, so wie das in allen anderen Ländern auch der Fall sein wird, wenn wir eine Impfsaison wirklich durchhaben.“
NACHFRAGE JESSEN: „Ja Entschuldigung, aber grad was Sie sagen: „konservativ berechnet“, das haben Sie in der ersten Stufe, die Sie jetzt korrigiert haben, eben nicht gemacht. Und wenn Sie sagen: grobe Schätzung, und gleichzeitig bei der Annahme der Schätzung davon ausgehen, dass alle Menschen, bei denen der Impf-Status unklar ist, Ungeimpfte seien, das ist doch ein Fehler, das ist ne Fehlkalkulation mit Ansage, das muss Ihnen doch bewusst gewesen sein.“
VORSITZENDE BUSCHOW: „Herr Jessen, Herr Jessen… stellen Sie noch ne Nachfrage? Für eine Diskussion haben wir nicht mehr die Zeit.“
JESSEN: „Das war die, ja. Die Frage ist: Warum haben Sie das, warum, warum haben Sie diesen Fehler, von dem Sie wissen mussten, die Annahme ist falsch, warum haben Sie sie trotzdem zugrunde gelegt?“
WIELER: „Es ist keine falsche Annahme, sondern es sind Dinge, die sich ergeben, wenn man das Meldewesen über Impfungen in Deutschland einführt und die Fallstricke dieser Meldungen versteht. Das sind Vorgänge, die eben kontinuierlich überprüft werden, wir haben hier keine falsche Annahme durchgeführt, sondern wir haben diese Annahme so gehalten anhand der Daten, die uns zur Verfügung standen.“
Bild: Boris Reitschuster (Archiv)
Text: br