Wie wird das Leben nach Corona? Welche Folgen wird die Traumatisierung weiter Teile unserer Gesellschaft haben?

Von Alexander Meschnig

Der große Vorteil, keine Hoffnung zu haben, besteht darin, nicht enttäuscht werden zu können. Lassen Sie mich zu Beginn dennoch etwas optimistisch sein: Die Haltungsmedien geraten in der Causa Corona zunehmend in eine schwierige Situation. Meldungen über steigende Inzidenzzahlen – bei inzwischen etwa 70 bis 80 Prozent Geimpften in Deutschland (so genau weiß das niemand) – stehen offensichtlich im Widerspruch zur täglichen Impfpropaganda. Dass nun höhere Zahlen ausgerufen werden als zum selben Zeitpunkt im letzten Jahr, damals bei 0 Prozent Geimpften, könnte Fragen nach dem Sinn des Ganzen provozieren.

Ich habe auch den Eindruck, dass eine dritte Impfung oder ständige Auffrischungsimpfungen bei immer weniger Menschen auf Zustimmung stoßen. Andere Länder, die inzwischen alle Maßnahmen abgeschafft und einen Freedom Day ausgerufen haben, endeten nicht, wie von Apokalyptikern à la Lauterbach angekündigt, in einer nationalen Katastrophe. Eine Legitimation für weitere restriktive Maßnahmen wird also zunehmend schwieriger. Vielleicht müssen wir also nur noch etwas durchhalten, bis die sogenannte epidemische Notlage endlich beendet wird. Der Kassenärztechef Gassen plädierte ja schon für eine Rückkehr in die Normalität.

Vielleicht wird aber auch alles noch schlimmer, und dazu gibt es ebenfalls genügend Indizien. In Hessen kann 2G in Supermärkten angewandt werden, wenn die Betreiber das für richtig halten. Der moralische Druck bis hin zur Denunzierung und Kriminalisierung von Ungeimpften nimmt weiter zu (siehe aktuell der Fall Joshua Kimmich). Der sogenannte Pieks für Kinder wird von fast allen Medien praktisch kritiklos begrüßt, die Booster-Impfung als notwendig für alle über 70 Jahren propagiert.

Vielleicht gibt es auch, wie in meinem Heimatland Österreich als Drohkulisse eingeführt, einen weiteren Lockdown, dann aber nur und ausschließlich für Ungeimpfte. Sollen sie die Konsequenzen ihrer Starrköpfigkeit buchstäblich am eigenen Leib spüren. Es ist derzeit einfach nicht vorherzusagen, wohin die Richtung gehen wird, erste Verschiebungen der Hysterie- und Panikmeldungen stärker hin zum Klimathema sind aber bereits deutlich zu beobachten. Hier drohen die nächsten Restriktionen beziehungsweise der nächste Lockdown, um das für unser Überleben bedrohliche CO2 einzusparen. Es könnte aber auch zu einem unfreiwilligen Stillstand aufgrund fehlender Energieversorgung kommen.

Traumatisierung weiter Teile der deutschen Gesellschaft

Es lässt sich also gegenwärtig nur eines mit Sicherheit vorhersagen: Corona wird irgendwann – auch wenn der genaue Zeitpunkt aktuell nicht abzusehen ist – beendet sein. Was aber wird davon bleiben und welche Folgen werden unser Leben weiter tangieren? Für mich ist es vor allem die erschreckende Grunderfahrung, in einer Gesellschaft zu leben, in der von heute auf morgen alle Grund- und Freiheitsrechte per staatlicher Order mithilfe willfähriger Medien abgeschafft werden können und ein großer Teil der Bevölkerung das nicht nur stillschweigend hinnimmt, sondern dazu auch noch applaudiert.

Zu wissen, mit Millionen von Mitmenschen zusammenzuleben, die harte Repressionen gegen Andersdenkende (Maßnahmenkritiker, Ungeimpfte, „Querdenker“) befürworten und jederzeit bereit sind, Abweichende vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen, hat das Vertrauen in eine demokratische Ordnung weitgehend zerstört. Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes durch Corona eine historische Lektion bekommen, denn das, was sich gegenwärtig in vielen Mitmenschen an Hass, Aggression und verdrängten Wünschen offenbart, war wohl in gewisser Weise immer schon virulent vorhanden und konnte mühelos in einer Ausnahmesituation reaktiviert werden. Vertrauen, das wichtigste Gut in jeder Gesellschaft, ist so einem ständigen Misstrauen gewichen, das es zunehmend schwerer macht, Anderen unvoreingenommen zu begegnen. Corona hat – und ich halte den Begriff für angemessen – zu einer Traumatisierung weiter Teile der deutschen Gesellschaft geführt, indem eine radikale Spaltung die Sprachlosigkeit quer durch Familien und Freundschaften verfestigt hat.

Umgekehrt machen viele von uns die Erfahrung – und das ist nicht nur mir ein Trost in diesen Zeiten – dass neue Freundschaften entstanden sind, Freundschaften, die schneller, als früher üblich, Nähe und Vertrautheit beinhalten, da man sich als eine Art „Verschwörergruppe“ sieht und sich an kleinsten Gesten und Handlungen gegenseitig erkennt. Menschen, die man sozusagen illegal, auch während der verordneten Lockdowns regelmäßig heimlich getroffen hat, sind im besten Sinne eine wichtige psychologische Unterstützung, da man hier weder eine gedankliche Zensur vornehmen noch sein übliches Verhalten ändern musste. Ein Stück weit Normalität in einer Welt, in der fast alle Dystopien der sogenannten Verschwörungstheoretiker wahr geworden sind.

Fundamentales Misstrauen bei Begegnungen

Jeder der Leser hier auf der Achse hat wohl in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass langjährige Freundschaften und familiäre Bindungen zerbrochen sind. War es 2015 die Migrationsfrage, danach die Klimadebatte, so hat Corona die Spaltung in ungeahnter Weise nochmals verschärft. Unterschiedliche Ansichten, etwa zu den Maßnahmen der Regierung, ließen und lassen eine Diskussion gar nicht mehr zu, da sie als Bedrohung empfunden werden, die das eigene Selbstbild infrage stellen (siehe dazu mein Essay: „Corona als Massenpsychose“). Für viele von uns stellen sich nun plötzlich Fragen, die essenzielle Themen berühren: Wie gehe ich in Zukunft damit um, dass alte Freunde sich für strikte Regelungen für Ungeimpfte aussprechen, mich wahrscheinlich als uneinsichtig einordnen, aber eine Auseinandersetzung darüber vermeiden? Sich an den wichtigen Themen vorbeizuschlängeln, macht auf Dauer Freundschaftstreffen zu Veranstaltungen, die den Sinn der Beziehung infrage stellen.

Allgemein lässt sich sagen, dass der grundsätzliche Hinweis auf das Risiko von Sozialkontakten – bis hin zum Verbot derselben bei den verordneten Lockdowns – zu einem fundamentalen Misstrauen bei zwischenmenschlichen Begegnungen führt, was die Grundlagen eines funktionierenden Gemeinwesens unterminiert. Man kann sich an dieser Stelle auch fragen, was der faktische Impfzwang über die konkrete Situation hinaus für Folgen für uns alle haben wird. Wird eine KITA-Erzieherin oder eine Krankenschwester, die zu einer Impfung durch Vorgesetzte oder ihre Institution genötigt wird, obschon sie gute und persönliche Gründe hat, den „Pieks“ abzulehnen, diese Demütigung – und es handelt sich genau darum – vergessen können?

Höchstwahrscheinlich nicht. Das Gefühl, dass die eigene Entscheidung nicht respektiert, sondern durch moralischen Druck und Zwang fremdbestimmt erfolgte, trifft den Kern der Persönlichkeit und wirkt wie ein „Stachel“ (Elias Canetti), der seelisch nur sehr langsam und vielleicht nie vollständig abgebaut werden kann. Zudem kommt psychologisch ein weiteres Merkmal der gegenwärtigen Situation hinzu: Menschen, die die Erfahrung machen, einem Unrecht oder Zwang ausgesetzt zu sein, empfinden sich von denjenigen getrennt, die dieses verantworten, befürworten oder ein solches Handeln stillschweigend akzeptieren. Das macht eine spätere Annäherung nach dem Ende der Ausnahmesituation unendlich schwer.

Wird man Freunden, denen man etwa über die Schikanen, die man als Ungeimpfter täglich erfährt, berichtet und die stillschweigend über die realen Diskriminierungen hinweggehen, noch vertrauen können? Was, wenn es einmal wirklich hart auf hart kommt? Wer wird sich dann mit mir solidarisieren? Wer wird sich von mir distanzieren? Wir können nur hoffen, dass eine Entscheidungssituation „Dafür oder Dagegen“ niemals eintreten wird, denn sie kennzeichnet exakt die Übergangssituation in ein totalitäres System. Ein Kennzeichen eines totalitären Regimes, nämlich das Öffentlichmachen privater Entscheidungen (wie etwa das Impfen) als falsch und verantwortungslos ist ja bereits Realität geworden. Demokratische Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass individuelles Handeln akzeptiert wird. Davon sind wir bereits heute weit entfernt, wie derzeit im Falle des Bayern-Spielers Kimmich zu sehen ist, der nur sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wahrnimmt.

Kein gemeinsamer Boden mehr

Prinzipiell werden nach Corona Menschen weiter miteinander leben müssen, die einander als von Unrecht Betroffene und als Befürworter aller Einschränkungen diametral gegenüberstanden. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn sprach im April 2021 in diesem Zusammenhang einmal einen richtigen Satz: „Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen“. Ich weiß nicht, wie er den Satz genau gemeint hat, vielleicht war er auch nur der Versuch, sich und die Regierung später von allen Vorwürfen freizusprechen, vielleicht war es aber auch die Vorahnung, dass die Folgen der Coronapolitik über die Zukunft hinaus tief in das gesellschaftliche Leben eingegriffen haben, mit unabsehbaren Konsequenzen, quasi den Kollateralschäden einer pandemischen Politik.

Wird es also Wahrheits- und Versöhnungskommissionen in Deutschland wie in Südafrika nach Ende der Apartheid geben? Schwer vorstellbar. Denn Versöhnung und Vergebung sind nicht einklagbar wie moralische oder rechtliche Pflichten. Zudem gibt es gar keinen gemeinsamen Boden mehr, der für gemeinsames Handeln Voraussetzung ist. Wir erleben bei Corona dieselben Mechanismen wie bereits zuvor bei den Themen Migration und Klima. Eine medial inszenierte Vormacht bestimmter Interessen und „Fakten“, der andere entgegenstehen, die in der veröffentlichten Meinung verschwiegen oder mit allen Mitteln bekämpft werden. Sie gelten als Falschmeldungen, im schlimmsten Fall als Hetze.

Die deutsch-jüdische Philosophin Hannah Arendt hat unter dem Begriff der Weltlosigkeit den Verlust einer gemeinsamen Welt verstanden, eines verlässlichen Bezugssystems, über dessen Deutung man (politisch) streiten kann, dessen Faktizität aber nicht infrage gestellt wird. Seit einigen Jahren sehen wir nun das Verschwinden einer gemeinsamen Welt, auf die wir uns alle beziehen können, wobei die jeweils eine Seite der anderen Realitätsferne und Wirklichkeitsverlust vorwirft. Das mag auch der Digitalisierung von Informationen, die alle Lebensbereiche umfasst, geschuldet sein, die es ermöglicht, Bedeutungen zu vermitteln, zu verbinden und zu verändern. So entstehen voneinander separierte Welten, in denen aber ein eklatantes Machtungleichgewicht herrscht. Menschen werden dazu gezwungen, offensichtliche Widersprüche der herrschenden, insbesondere von den Haltungsmedien vorgegebenen Meinungen, anzuerkennen und sie öffentlich zu akklamieren, was das Selbstwertgefühl und das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen angreift.

Schon werden wir von Psychologen und Zukunftsforschern darauf vorbereitet, dass Masken und Abstand die neue Normalität sein werden. Wir werden in Zukunft nach dem Ende der sogenannten Pandemie viele Leute sehen, die an den Maßnahmen festhalten werden, selbst wenn es keine Verpflichtung dazu mehr geben wird. Lokale, Bars, Restaurants, kulturelle Einrichtungen werden vielleicht freiwillig von 3G auf 2G wechseln, selbst wenn Ende November die epidemische Notlage aufgehoben wird (was ich eigentlich nicht glaube). Aber vielleicht ist es inzwischen auch egal geworden, wie die Politik entscheidet. Denn dramatischer sind neben den ökonomischen Verwerfungen die gesellschaftlichen und psychischen Folgen der Coronapolitik, die das Vertrauen der Menschen ineinander fundamental zerstört hat. Nach Corona ist nun „alles“ möglich, und wir werden in der Klimafrage oder dem derzeit ubiquitären Rassismusvorwurf eine weitere Stufe der Moralisierung politischer Entscheidungen bei Ausschluss von Andersdenkenden bekommen. Eine weitere Spaltung ist wohl gewollt.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf der „Achse des Guten“. Ich bin den Kollegen und vor allem dem Autor sehr dankbar für die freundliche Zustimmung zur Veröffentlichung auf meiner Seite – die mir sehr am Herzen lag, da mir der Artikel außerordentlich gefiel. An dieser Stelle generell ein großes Dankeschön an die „Achse“, die in diesen Zeiten eine seltene Eigenschaft vorbildlich zeigt: Solidarität und Zusammenhalt. 
 

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Dr. Alexander Meschnig, geboren 1965 in Dornbirn (Österreich), studierte Psychologie und Pädagogik in Innsbruck. 1992 Umzug nach Berlin und Promotion in Politikwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Neben kulturwissenschaftlichen Veröffentlichungen arbeitet er vor allem zu den Themen Nationalsozialismus, Militär- und Kriegsgeschichte. Veröffentlichungen (Auswahl): „Arbeit als Lebensstil“ (Hrsg., 2003), „Der Wille zur Bewegung. Militärischer Traum und totalitäres Programm“ (2008), „Uns kriegt ihr nicht. Jüdische Überlebende erzählen“ (mit T. Hüttl, 2013), Siegen oder vom Verlust der Selbstbehauptung (mit P. Amoghli, 2018), Deutscher Herbst 2015. Essays zur politischen Entgrenzung (2019).
Als ständiger Autor der „Achse“ analysiert er unter mentalitätsgeschichtlicher und psychologischer Perspektive die politische und gesellschaftliche Situation in Deutschland. Er lebt mit Ehefrau und Siam-Kater in Berlin-Moabit.

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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