Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen
Es hat ganz den Anschein, als wollte die Union mit ihrem Druck auf die Ampel noch etwas anderes erreichen, als schnell eine allgemeine Impfpflicht durchzuboxen. Von Führungsversagen ist die Rede. Die Adresse ist Olaf Scholz, der die Entscheidung an den Bundestag geben will, und zwar ohne Fraktionszwang. Die Hoffnung ist offensichtlich, dass die erwarteten Gruppenanträge für und gegen die allgemeine Impfpflicht zu einer Debatte führen, die repräsentativ für unser Land ist und nicht nur für eine Gruppe von Scharfmachern.
Scholz hat aber noch ein anderes Kalkül, auf welches die Union mit ihren Angriffen zielt. Er will den bürgerrechtlich orientierten Flügel der FDP, zu dem neben Wolfgang Kubicki auch die brandenburgische Vorsitzende Linda Teuteberg gehört, nicht brüskieren. Scholz könnte die Impfpflicht mit einem eigenen Antrag locker im Bundestag durchbringen. Allein die Stimmen der Union würden das hergeben. Aber mit wem soll er hinterher weiterregieren?
Das sagt sich wohl auch der Generalsekretär der CDU, der von einem „unwürdigen Lavieren“ spricht. Die Regierung würde ihrer Aufgabe nicht gerecht, dem Bundestag Vorschläge zu unterbreiten. Die Union wäre wohl auch bereit, auf die Karnevalspause des Bundestages zu verzichten, um das Verfahren zu beschleunigen. Nach derzeitigen Schätzungen dürfte die Impfpflicht, wenn sie beschlossen wird, jedenfalls nicht im März kommen. Der Zeitplan, in dem auch der Bundesrat eine Rolle spielt, gibt das nicht her.
Worum geht es also der Union, die in der Regierung noch vor wenigen Monaten eine generelle Impfpflicht abgelehnt hat? Warum soll jetzt auf die Tube gedrückt werden, wo bereits über siebzig Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft sind?
Ganz sicher geht es nicht darum, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, wie Söder behauptet. Das unterstellt ja, dass man alle zwangsweise durch die Mangel drehen muss, damit sie am Ende wieder friedlich sind. Wer so etwas behauptet, hat einen deutlich verstellten demokratischen Kompass. Da zeigt der Norden wohl nach Süden?
Viel wahrscheinlich ist, dass die Union erkannt hat, dass „Opposition Mist ist“ und wieder in die Regierung will. Dafür muss sie nur die FDP aus der Ampel abspalten. Denn dann bleibt nur noch die Union als neuer Regierungspartner. Es ist tatsächlich ein schwerer Angriff auf die Ampel, der hier gefahren wird und es geht um nichts anderes als die Macht.
Scholz weiß das, dürfte aber trotzdem in Schwierigkeiten kommen. Denn die Mainstreammedien sind im Merkel-Deutschland machtverwöhnt. Sie sind es gewohnt, Forderungen an das Kanzleramt erfüllt zu bekommen. Das Gleiche gilt für die Ministerpräsidenten der Bundesländer. Wenn Scholz es gelingt, diesen Druck auszuhalten und eine halbwegs faire Debatte im Bundestag zu ermöglichen, ist das, bei aller Kritik, ein Achtungserfolg für den Bundeskanzler.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“. Hier finden Sie seine Fortsetzungsgeschichte „Angriff auf die Welt“ – der „wahre“ Bond.
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