Von Daniel Weinmann
Wie kam es zu den fragwürdigen Entscheidungen der Regierung während der Coronakrise? Wie stark beeinflussten welche Experten die Politik? Und auf welcher wissenschaftlichen Grundlage basierten die Maßnahmen? Eine unrühmliche Rolle in der „Pandemie“-Agenda der Ampelkoalition spielte der sogenannte Corona-Expertenrat, der am 14. Dezember 2021 erstmals zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkam. In insgesamt zwölf veröffentlichten Stellungnahmen und 33 Sitzungen prägte das Gremium bis April dieses Jahres die Gesundheitspolitik.
Der Rat sollte laut Bundeskanzler für „Akzeptanz und Transparenz“ sorgen. Doch die Regierung verschleierte, was das 19-köpfige Gremium genau tat. Dazu passt, dass die Beratungen hinter verschlossenen Türen stattfanden. Die Auswahl der Fachleute war extrem einseitig: Gegen die erdrückende Mehrheit von Hardlinern um Christian Drosten, Melanie Brinkmann, Viola Priesemann und Lothar Wieler stand der Virologe Hendrik Streeck, der nicht gebetsmühlenartig die Apokalypse an die Wand malte.
Der Frankfurter Allgemeinmediziner Christian Haffner erstritt vor Gericht die Freigabe der Dokumente – gegen den Willen des Bundeskanzleramtes und des Expertenrates. Bezeichnend für den Regierungsstil des Kabinetts Scholz: Die Protokolle wurden nur mit Schwärzungen einzelner Passagen herausgegeben. Ganz offensichtlich sind die Experten von Scholzens Gnaden kaum bereit, Verantwortung für ihre eigene Rolle zu übernehmen.
»Dass die Protokolle geheim gehalten wurden, halte ich für einen Skandal«
„Es wurden Grundrechte eingeschränkt und das Leben von Millionen Menschen auf links gedreht“, begründet Haffner seine Transparenz-Offensive im „Nord-Kurier“, „da sollte man das Recht haben zu erfahren, auf welcher Grundlage all das geschah“. Er hält es für “überaus bedenklich“, dass dafür erst geklagt werden musste. „Allein schon, dass die Protokolle geheim gehalten wurden und nicht von Anfang an oder spätestens nach den jeweiligen Beschlüssen öffentlich zugänglich waren, halte ich für einen Skandal.“
Im Zuge der Klage hat Haffner 25 von 33 Ergebnisprotokollen bis Juli 2022 mit Schwärzungen an teilweise entscheidenden Stellen erhalten. Die Begründungen dafür seien hanebüchen. So heiße es etwa, dass die Namen des jeweiligen Urhebers von Sitzungsbeiträgen im Rat deshalb geschwärzt wurden, weil „dieser für seine/ihre Einschätzung zu Corona-relevanten Themen von der Öffentlichkeit haftbar gemacht werden“ könnte.
„Die Mitglieder des Corona-Expertenrates müssen für ihre Aussagen geradestehen“, verlangt Haffner. Insofern sei das, was er und seine Unterstützer bisher erreicht haben, zwar ein mutmachender Anfang. Aber sie wollen weitermachen. Sein Ziel: „Wir wollen alle Protokolle. Und zwar alle ungeschwärzt. Und wir wollen die Wortprotokolle, nicht nur die Ergebnisprotokolle.“
»Medien sollen keine Hofberichterstatter einer Regierung sein«
Seiner Ansicht nach ist den Mitgliedern des Corona-Expertenrats „durchaus bewusst, dass vieles, was im Rat besprochen und beschlossen wurde, auf tönernen Füßen stand, oder in einzelnen Punkten sogar falsch war“. So sei bekannt gewesen, dass die als „Deltakron“ bezeichnete kombinierte Variante von Omikron und Delta wohl ein Laborartefakt war und somit gar nicht existierte. „Dennoch nutzte Lauterbach „Deltakron“, um der Bevölkerung Angst einzujagen und damit weitere Maßnahmen zu begründen“, so der Mediziner.
„Nun fürchten sowohl die Rats-Mitglieder als auch viele Politiker, die sich auf das Gremium beriefen, einen Machtverlust oder auch den Verlust ihrer Reputation, wenn der Öffentlichkeit klar wird, wie der Rat tatsächlich gearbeitet hat. Und dass er an vielen Stellen falsch lag.“ Aufklärung muss die Maxime sein, lautet das Credo des 51-Jährigen. Kanzler Scholz und seine Mitstreiter scheinen dies jedoch gänzlich anders zu sehen. Sinnvolle Rückmeldungen aus der Politik hat Haffner trotz mehrfacher Anfragen „so gut wie nie“ bekommen.
Enttäuscht zeigt er sich auch von den meisten Medien. Wegen der „völlig unkritischen Berichterstattung und der Diffamierung“ namhafter Wissenschaftler wie Hendrik Streeck oder Jonas Schmidt-Chanasit hat er sein Abo des „Spiegel“ mittlerweile gekündigt. „Medien sollen keine Hofberichterstatter einer Regierung sein“, fordert der Allgemeinmediziner, „und Medien sollten kein Geld einer Regierung oder von Stiftungen erhalten, wie das mehrfach passiert ist“.
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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Juergen Nowak/Shutterstock