Zwanzig Jahre 9/11 „Excuse me, I am not convinced“

Von Alexander Wallasch

Heute erstaunt mich, dass der Einsturz der Türme in New York schon zwanzig Jahre her sein soll. Das mag daran liegen, dass mir der Tag noch so präsent ist.

Wir leben im Zeitalter der Bildmedien: Rund um den Erdball sahen Milliarden Menschen live dabei zu, wie ein weiteres Flugzeug in das World Trade Center (WTC) gelenkt wurde und dieser Turm etwas später noch vor dem zuerst getroffenen in sich zusammenfiel – ich meine mich jedenfalls an diese Reihenfolge des Zusammenbruchs zu erinnern.

Meine Frau und ich schauten verstört auf den Fernseher, welcher der Kinder wegen im Schlafzimmer stand. Unsere drei waren noch klein, der vierte und jüngste war noch nicht einmal geboren. Jedenfalls tobten die Kinder auf dem Elternbett, als wäre nichts gewesen – wir Eltern saßen einfach nur geschockt da.

Mir hat sich dieser Tag deshalb so eingeprägt, weil in unserer bundesdeutschen Nachkriegswelt zu dem Zeitpunkt noch nichts wirklich Furchtbares passiert war – das Grauen war aber schon in der Welt.

Ich erinnere es genau: Ich dachte im ersten Moment der Erkenntnis eines Terroranschlages an meine Eltern und Großeltern und daran, dass dieses dumpfe bedrohliche Gefühl im Magen wohl ähnlich gewesen sein muss, als sie erfuhren, dass der Krieg ausgebrochen war, dass bald Schlimmes bevorstehen würde.

Zu dem Zeitpunkt konnten wir nicht wissen, wieviele weitere Attentate noch passieren würden und wo überall auf der Welt. Auf dem Bett vor dem Röhrengerät sitzend dachte ich entsetzt: Ich werde die Kinder und die Frau nicht mehr beschützen können – diese Düsternis, die jetzt heraufzieht, dagegen bin ich wehrlos.

Ich meine mich auch zu erinnern, dass nach dem Einsturz einige Nachrichtensender zunächst über bis zu 50.000 Tote spekulierten. Es waren dann doch deutlich weniger. Aber wie sich Jahre später herausstellen sollte, hatte sich mit dem Einsturz der Türme eine giftige Wolke über New York gelegt, die Zahl der Folgeopfer sollte die der unmittelbaren Terroranschläge sogar noch übersteigen.

Vergeltung, Gegenschlag, Auge um Auge, Kampf gegen den Terror – viel ist in den letzten Jahren darüber debattiert worden, wie diesem Terror zu begegnen gewesen wäre und wie nicht. Der damalige grüne Außenminister hat darüber sogar ein Buch geschrieben, das im Titel ein Zitat von ihm selbst trägt, welches die deutsche Rolle in dieser Vergeltungsschlacht zusammenfasst: „I am not convinced“ – sein Buch veröffentlichte Fischer zehn Jahre nach dem Einsturz der Türme.

Klaus Dieter Frankenberger hat die diesem Fischerzitat zugehörige Szene für die Frankfurter Allgemeine Zeitung so aufgeschrieben:

„Das war großes Kino damals, vor acht Jahren, im Saal des Bayerischen Hofs in München, als der deutsche Außenminister, theatralisch leicht vor Erregung bebend, dem amerikanischen Verteidigungsminister auf Englisch zurief: „Excuse me, I am not convinced.“ Es war natürlich kein Kino, die Szene mit Fischer und Rumsfeld war nicht gestellt, sie war real: Ein Publikum, dem der Atem stockte, erlebte auf dramatische Weise das Schisma des Westens, gewissermaßen personalisiert. Die Regierung Bush suchte den Krieg gegen den Irak, die rot-grüne Bundesregierung hielt ein solches Vorgehen für einen großen strategischen Fehler.“

Ich weiß es nicht hinreichend zu belegen, aber ich kann mich bis heute nicht von der Annahme frei machen, dass das Schicksal unseres Landes – insbesondere, was die Massenzuwanderung ab 2015 betrifft – elementar darauf zurückzuführen ist, dass Rot-Grün den USA damals in einer Schlüsselentscheidung die Gefolgschaft verweigerte – unabhängig davon, ob und wie moralisch notwendig und berechtigt diese Entscheidung auch gewesen sein mag.

Auch eine deutsche Teilnahme am Afghanistan-Einsatz konnte diese Verweigerung nicht vergessen machen. Die USA schauten für mein Dafürhalten von da anders auf Europa. Auch Schröders verfrühter Abgang und seine spätere enge Bindung zum „lupenreinen“ Demokraten Putin sind für mich in diesem Kontext Teil des Nachdenkens.

Aber zurück zum traurigen Anlass dieses Tages: Am 11. September 2001 erstarrte die westliche Welt. Etwas später gingen Filmaufnahmen der Terroristen um Osama Bin Laden um die Welt, als der sich mit Gleichgesinnten traf, die ihm zum Terroranschlag ihre Glückwünsche überbrachten.

Noch einmal mehr Aufmerksamkeit weltweit bekamen zehn Jahre später jene Aufnahmen, die den US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama im engsten Kreis zeigen, als man der Hinrichtung des Terroristenführers quasi direkt über die Helmkameras der Terroristenjäger beiwohnte – „Justice has been done.“

Obama teilte der Welt im Mai 2011 mit:

„In Afghanistan, we removed the Taliban government, which had given bin Laden and al-Qaida safe haven and support.“

(In Afghanistan haben wir die Taliban-Regierung abgesetzt, die bin Laden und al-Qaida sicheren Zufluchtsort und Unterstützung gewährt hatte.)

Noch einmal zehn Jahre später verhandelten die Präsidenten Donald Trump und später Joe Biden mit den Taliban und gemeinsam wurde beschlossen, dass die Taliban wieder die afghanische Regierung bilden.

Deutschland spendierte den Taliban einhundert Millionen Euro, um das Reich der Taliban wieder aufzubauen. Heute ist aber niemand da, der Kanzlerin Merkel und ihrem sozialdemokratischen Außenminister – so wie Fischer zu Rumsfeld – sagen würde: „Excuse me, I am not convinced“.

Am 11. September 2001 starben während der Terroranschläge gegen die westliche Welt und ihre Werte fast 3.000 unschuldige Männer, Frauen und Kinder aus 92 Ländern. Ein Datum als Zäsur auch für den Zusammenhalt der westlichen Welt. Der damalige Verteidigungsminister der USA, Donald Rumsfeld, bezeichnet Deutschland und Frankreich als nicht an der Seite der USA kämpfend und als „altes Europa“ – parallel belog US-Außenminister Colin Powell die Welt vor dem UN-Sicherheitsrat. Hunderttausende Zivilisten, Frauen und Kinder starben in Folge der Kriegshandlungen der USA und ihrer Verbündeter.

Heute am 11. September 2021 gedenkt die freie Welt der Terroropfer von New York zum zwanzigsten Mal. Die Erinnerung an die Ermordeten ist untrennbar verbunden mit dem Schock von Hunderten von Millionen Menschen, die damals live dabei waren, als der islamistische Terror die Welt erschütterte.

Hier finden sich die Namen der Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001.

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Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“. Dieser Artikel erschien zuerst auf seiner Seite  alexander-wallasch.de

Bild: Shutterstock 
Text: wal

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