Gesundheitsamtschef strafversetzt Kritische Töne zu Corona unerwünscht

Während des Rennens wechselt man die Pferde nicht, besagt ein altes Sprichwort. Mitten in einer Krise wechselt man auch nicht das Führungspersonal. Sollte man zumindest annehmen. Aber offenbar gilt das bei Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) nur, solange man ihn nicht kritisiert. Der Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, ist nach seiner Kritik an der Corona-Politik der bayerischen Staatsregierung strafversetzt worden.
Pürner nahm die Bestrafung gelassen. Auf Twitter schrieb er: „Nach Kant hat entweder alles einen Preis oder eine Würde. Ich wähle die Würde! Den Preis zahle ich gerne. Ärzte dürfen nicht schweigen. Niemals!“
Der Facharzt und Epidemiologe hatte den Kurs Söders und vor allem auch die in Bayern besonders strenge Maskenpflicht an Schulen hinterfragt (reitschuster.de berichtete). Er wird nun am Montag, 9.11., an das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) „abgeordnet“. Pürner war nach seinen Aussagen zum Rapport bei der zuständigen Bezirksregierung gerufen worden. Über das Gespräch wurde Stillschweigen vereinbart, wie der Münchner Merkur (MM) noch am 27. Oktober berichtete – unter der Überschrift: „Gesundheitsamts-Chef Pürner soll seine Stelle behalten.“ In dem Text hieß es: „Klar ist aber: Pürner bleibt im Amt – ob das mit Auflagen verbunden ist, war gestern unklar. Anzunehmen ist, dass er an das Mäßigungsgebot für Beamte erinnert worden ist.“
Die „Klarheit“ war offenbar ein Irrtum: Nun wurde der Behördenleiter strafversetzt. Dem MM sagte er: „Ich weiß nicht, was man gegen mich in der Hand hat. Man hat nicht mit mir darüber gesprochen.“ Ein Gespräch kürzlich im Gesundheitsministerium sei nur pro forma gewesen, so der Arzt: „Meine Versetzung war längst vorbereitet.“ Noch dazu sei es „erstaunlich, während der Hoch-Corona-Pandemie einen Gesundheitsamtsleiter zu versetzen“. Das bringe doch nur noch mehr „Unsicherheit und Unruhe rein“, so der Arzt gegenüber dem MM. Aber er sei mit sich im Reinen: „Mir geht es gut, ich weiß, was ich tue und was mich meine Karriere kosten kann.“

Auf Twitter hatte der Behördenleiter Klartext gesprochen und damit bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt.

Etwa mit Tweets wie diesem vom 3. Oktober: „Mehrheit unterstützt angeblich noch #Coronamassnahmen. Warum macht dennoch ein nicht unerheblicher Teil in Restaurants falsche Angaben? Warum sollte Bayern sonst das Bußgeld für Falschnamen auf Corona-Listen auf 250 Euro erhöhen?“ Oder mit diesem Tweet: „Mund-Nasen-Schutz im Freien nicht nötig. Gebührender Abstand (ohne Maßband) ist auch in Innenstadt möglich. Ansteckungsgefahr im Freien ist deutlich geringer als im geschlossenen Raum. Aufklärung statt Verbote!“ Auch Gesundheitsminister Jens Spahn dürfte sich nicht freuen über den kritischen Mediziner aus der Amtsstube:

 

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Kritik übt der Aichacher Gesundheitsamtschef auch an der in Bayern besonders strengen Maskenpflicht für Kinder in der Schule. „Gerade nach der Urlaubszeit war es wichtig, mit der Maske im Unterricht das Risiko fundamental zu reduzieren, damit nicht viele Schulen wieder geschlossen werden“, hatte Söder noch vergangene Woche beim virtuellen Parteitag seiner Partei gesagt. Pürner hatte offenbar das Ungemach geahnt, war bereits vor Wochen in Vorwärtsverteidigung gegangen. Er betonte im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk, er sei weder Impfgegner, noch rechtsradikal: Er wolle nur seine fachliche Meinung äußern, auch als bayerischer Beamter. Intern kritisiere er einzelne Maßnahmen, die er fachlich unbegründet findet. Negative Konsequenzen fürchtete Pürner trotz seines Muts und seiner Aktivitäten auf Twitter damals noch nicht. Er glaube an „Meinungsfreiheit und Demokratie“, sagte er dem BR. „Bleibt nur zu hoffen, dass er sich da nicht irrt!“ – mit diesen Worten beendete ich meinen Artikel über ihn vom 5. Oktober 2020. Jetzt ist klar: Leider hat er sich geirrt. 

Klaus Holetschek

Der Staatssekretär im Bayerischen Gesundheitsministerium Klaus Holetschek (CSU) antwortete im Bayerischen Rundfunk auf die Frage, ob die Versetzung des Arztes mit den kritischen Tweets zu tun habe: „Ich will mich auf diese Diskussion gar nicht einlassen.“ Das neue Sachgebiet sei „ein Wichtiges“, und „das zeigt doch gerade, dass wir auch kritische Geister mitnehmen.“ Er sei sich sicher, dass Pürner am LGL einen guten Beitrag leisten werde, um den öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken, so der CSU-Politiker. So viel Zynismus ist man eigentlich eher aus undemokratischen Systemen gewöhnt.

Die Causa Pürner wirft die Frage auf: Wie unsicher müssen sich die Verfechter einer harten Corona-Politik wie Söder sein, wenn sie nicht einmal fachliche und sachliche Kritik an ihrer Linie ertragen? Wenn sie Beamte, die ihren Kurs hinterfragen, sofort strafversetzen? Das Vorgehen der bayerischen Staatsregierung gegen den Behördenchef ist undemokratisch. Es spricht genau dem Hohn, worauf wir in Deutschland einmal gesetzt haben: Der Idee vom kritischen Staatsdiener, der statt auf blinden Gehorsam auf Verantwortung und Hinterfragen setzt. Söder entpuppt sich einmal mehr als Politiker mit autokratischen Tendenzen. Genau davor hatte Focus-Gründungschefredakteur Helmut Markwort erst kürzlich im Interview mit reitschuster.de gewarnt.

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Bild: Twitter / Thomas Mirtsch/Wikicommons/CC BY-SA 4.0
Text: red
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