Nach 16 Jahren Russland ist man hart im Nehmen, was die Polizei angeht. Was ich heute im Herzen Berlins am S-Bahnhof Jannowitzbrücke auf dem Weg zum Schweigemarsch gegen die Corona-Maßnahmen erlebt habe, hat mich dennoch so erschüttert, dass jetzt noch meine Knie weich sind. Immer, wenn man denkt, es könne eigentlich kaum noch schlimmer kommen, wird man in diesen Tagen vom Gegenteil überzeugt. Was die Bundespolizei da mit mir machte, hätte ich noch heute Mittag für unmöglich gehalten. Berlins Polizei haut schon mal fest zu und langt auch öfter brutal hin. Doch bei all dem hielt sie sich in meiner Erfahrung bisher an das demokratische Mindestgebot, dass man dabei freie Berichterstattung zulässt. Beamte stellten sich mir schon mal in den Weg, damit ich sie bei brutalen Festnahmen nicht filmen konnte, oder schubsten und schoben mich weg. Aber nie gingen sie mich frontal an, rissen mir mit Fausteinsatz die Kamera aus der Hand, schüchterten mich massiv ein und setzten mich fest.
Heute mit der Bundespolizei war das ganz anders. Mein „Verbrechen“: Ich filmte ein Gespräch von Bundespolizisten mit einer Frau – eine Leserin meiner Seite, die gerade mit mir im Gespräch war, als sie die Polizei rabiat herausriss, weil sie keine Maske trug (sie hat ein Befreiungs-Attest). Ich hatte mich als Journalist ausgewiesen, explizit, und auch einen Presseausweis umhängen. Das hinderte einen der Beamten nicht, auf mich zuzugehen und mir schnurstracks mit Fausteinsatz das Telefon zu entreißen. Die Szene sehen Sie hier:
[videopress eUXGwsfA]Als ich mich beschwerte, schrie mich der Beamte im Beisein seiner Kollegen wiederholt an, und nahm mir Presseausweis und Personalausweis ab. Als ich daraufhin bemerkte, ich werde dieses Verhalten am Montag bei der Bundespressekonferenz thematisieren, weil es nicht angehe, dass Journalisten die Arbeit untersagt werde, schrie der Beamte, ich würde ihm drohen. Später sagte er, ich würde ihn nötigen. Mein Hinweis, eine Ankündigung, zu seinem Verhalten bei der Bundespressekonferenz eine Frage an seinen Dienstherren zu stellen, sei keine Nötigung, sondern ein Hinweis auf meine demokratischen Rechte als Journalist, brachte den Beamten noch mehr in Rage. Er schrie mich wiederholt weiter an, ließ mich nicht ausreden, ging in Drohpose, schüchterte mich auf eine Weise ein, die ich bei der Polizei in einem Rechtsstaat für unmöglich gehalten hätte. Und die mich bis jetzt massiv aufwühlt. Keiner der anderen Beamten machte Anstalten, ihn in seiner – in meinen Augen – völlig haltlosen Rage zu bremsen.
Eine Augenzeugin schrieb mir: „Wir haben heute gemeinsam die Situation im S-Bahnhof Jannowitzbrücke erlebt. Ich habe deutlich gesehen und gehört, wie er Sie quasi angesprungen ist und dabei gebrüllt hat, sie würden ihm drohen. Und das hat er brüllend mehrfach wiederholt und dabei auch Ihren Namen benutzt. Ich hatte Angst, er würde Sie gleich tätlich angreifen. Ob er auch von Nötigung gesprochen hat, als es etwas leiser wurde, kann ich nicht sagen, dafür stand ich zu weit weg, denn ich hatte kurz danach angefangen von etwas weiter weg ebenfalls zu filmen, woraufhin eben dieser brüllende Polizist auch zu mir kam und mich angegangen ist, während Sie schon den Livestream angefangen hatten. Allerdings war die krasse Situation bereits vorbei, so dass auf meinen Aufnahmen leider nichts zu sehen ist. Der Polizist hat mir gedroht, wenn ich ihm nicht meine Aufnahme zeige, würde er mir mein Handy abnehmen, woraufhin dieses für mehrere Monate weg wäre.“
Ich wurde sodann festgehalten und durfte mich nicht mehr bewegen. Nebenan wurde die Frau, deren Festhalten wegen fehlender Maske der Anlass für die ganze Szene war, weiter vernommen. Sie fing an zu weinen. Zu sehen ist die bizarre Szene im Beginn meines Livestreams hier:
Mein Vertrauen in den Rechtsstaat hat in den vergangenen Monaten enormen Schaden erlitten. Zugespitzt ausgedrückt ist es heute implodiert. Mein erster Gedanke war, dass ich lieber wieder nach Russland zurückkehre. Die Polizisten dort sind alles andere als Waisenknaben. Aber sie würden wohl kaum kontrollieren, wie lange Menschen Äpfel essen und ihren Kaffee trinken, wie das in Deutschland mittlerweile passiert (siehe hier). Dieses Ausführen und Übererfüllen von Befehlen bis zum Exzess hat für mich etwas zutiefst Beängstigendes. Bei meinen jüdischen Freunden hier in Deutschland weckt es teilweise Urängste – in Kombination mit einem Corona- und Impf-Hurra-Patriotismus, den sie noch vor kurzem in so fanatischer, totalitärer Form für unmöglich gehalten hätten. Hätte mir vor einem Jahr jemand vorausgesagt, dass ich auch nur mit dem Gedanken einer Rückkehr nach Russland spielen würde, dass dort weitaus mehr Freiheiten im Alltag herrschen als in Deutschland, ich hätte ihn für verrückt erklärt.
Wie die Polizei inzwischen hier in Deutschland auftritt, erinnert teilweise an autokratische Staaten bzw. Polizeistaaten. Eine gezielte Einschüchterung von friedlichen Bürgern und Journalisten hat in einer Demokratie keinen Platz. Sie ist heute aber fast Alltag. Und ganz offenbar von der politischen Führung gewollt – sonst müsste sie sie unterbinden. Die gleiche Polizei, die seit Jahren nichts gegen den Drogenhandel etwa im Görlitzer Park in Berlin unternehmen kann oder will, greift gegen Maskensünder rabiat durch und kontrolliert die Abstände bei der Ausgabe von Essen in Restaurants.
Seit Jahren schafft es Berlins Polizei nicht, den Drogenhandel etwa im Görlitzer Park unter Kontrolle zu bringen (oder sie darf es nicht). Dafür kontrolliert sie jetzt vor Restaurants, dass sich bei der Essensabgabe keine unerlaubten Gruppen bilden.#Prioritäten. pic.twitter.com/ud3F2cAlMZ
— Boris Reitschuster (@reitschuster) December 19, 2020
Auch auf dem Rückweg erlebte ich ein absichtlich bedrohliches, rabiates Auftreten der Bundespolizei etwa am Berliner Hauptbahnhof. In martialischer Stärke wurde dort in meinen Augen ganz gezielt versucht, die Menschen einzuschüchtern. So jedenfalls meine Beobachtung.
Das Verrückte an meinen Eindrücken heute: Nachdem meine Berichterstattung vom Schweigemarsch gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin (anzusehen hier) so schrecklich anfing, verlief der Marsch „gegen Diskriminierung und für Menschenrechte“ von der Holzmarktstraße in Berlin-Mitte bis zum Washingtonplatz am Hauptbahnhof überaus friedlich. Die Berliner Polizei, die ihn begleitete, verhielt sich im Gegensatz zur Bundespolizei am S-Bahnhof ausgesprochen zurückhaltend, kooperativ und korrekt. So, als hätte sie die Aufgabe bekommen, keine negativen Schlagzeilen zu erzeugen. Die laut Schätzung der Organisatoren rund 1000 Teilnehmer hielten sich im Wesentlichen an die sogenannten Hygienevorschriften. Auch nennenswerte Gegendemonstrationen waren, anders als etwa noch Ende November, nicht zu sehen. Selbst die sonst im Livestream obligatorischen Trolle fehlten.
Es wirkte so, als habe da irgend jemand einen Hebel umgelegt. Wenn es wirklich der Volkszorn wäre, wie in vielen Medien dargestellt, der Gegner der Corona-Demonstranten auf die Straße bringt – wieso war dann heute kaum eine Handvoll da, während sie sonst in erheblicher Anzahl die Querstraßen füllen und oft die Demonstranten rüde beschimpfen? Dass der plötzliche Schmusekurs der Polizei synchron erfolgt mit dem Fehlen von Gegendemonstranten ist zumindest merkwürdig.
Willkür bei Verboten?
Die Organisatoren bedankten sich am Ende ausdrücklich bei der Polizei. Und bemerkten, es sei Willkür und in einem Rechtsstaat nicht erklärbar, dass Schweigemärsche in einigen Fällen, wie heute in Berlin, erlaubt und in anderen, wie an diesem Wochenende in zahlreichen anderen Städten, verboten würden. Auch das gleichzeitige Verbot von Anti-Corona-Maßnahmen-Demos und das Gestatten von Gegendemos gegen diese sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.
Der Tagesspiegel hatte über die heutige Kundgebung berichtet mit der Überschrift: „Impfgegner protestieren mit „Schweigemarsch“ gegen Corona-Maßnahmen.“ Einer der Veranstalter bezeichnete das im Interview als Irreführung: Man habe nichts gegen Impfungen, nur gegen eine mögliche Impfpflicht. Weiter hieß es im Tagesspiegel, der selbst bei kleinen linken Demos schnell verbal zu hohen Teilnehmerzahlen greift: „In der Nähe der Berliner Jannowitzbrücke hatten sich am Sonntag mehrere Menschen zu einer Demonstration gegen die Einschränkungen in der Corona-Pandemie versammelt.“ Erst weiter unten erfährt der ausdauernde Leser, dass es sich bei den „mehreren Menschen“ selbst nach Polizei-Einschätzung um 600 bis 800 handelte. Hier werden eilige Leser mit sprachlichen Tricks in die Irre geführt.
Wer gewohnt ist, zwischen den Zeilen zu lesen, findet noch mehr Erstaunliches. Etwa im Vorspann des Tagesspiegels: „Impfgegner haben sich für Sonntag in Berlin zu einem „Schweigemarsch“ gegen die Corona-Politik vor dem Holzmarkt verabredet. Die Betreiber distanzieren sich.“ In Staaten mit funktionierender Demokratie und Meinungsfreiheit wird kaum ein Betreiber eines Marktes auf die Idee kommen, sich von Demonstranten zu distanzieren, nur weil die zufällig die Straße vor seinem Markt als Treffpunkt für einen Marsch wählen.
PS: Am 19. Dezember wurde in Berlin der Dramaturg Anselm Lenz, einer der Initiatoren der „Hygienedemos“, beim Joggen festgenommen (siehe hier).
Bild: Boris Reitschuster
Text: red
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