Auch bei der Ausübung seines Berufes ist man immer Emotionen ausgesetzt. Die manchmal hochkochen. Diese Zeilen schreibe ich aus der Bundespressekonferenz, wo gerade ein paar Meter von mir entfernt Merkels Sprecher Steffen Seibert und die Sprecher der Bundesministerien die Neuregelungen erklären, die künftig für Geimpfte und Genesene sogenannte „Privilegien“ bringen sollen.
Und meine Emotionen sind eindeutig: Für mich hat das Ganze etwas Gespenstisches. Ganz spontan habe ich mir hier folgende kurze Sätze notiert:
Artikel 1 Grundgesetz, Neufassung:Die Würde der Geimpften ist unantastbar.Ausnahmen definiert die Bundesregierung.
Ich weiß, das ist böse. Sarkastisch (nicht zynisch – das wird ja leider allzu oft verwechselt hierzulande).
Ich weiß auch: Befürworter der Neuregelung machen geltend, Grundrechte dürften nicht mehr eingeschränkt werden für Menschen, bei denen das nicht zwingend erforderlich ist.
Mich überzeugt das nicht.
Grundrechte sind unveräußerlich.
So steht das im Grundgesetz.
Und nur so machen Grundrechte Sinn.
Sie einfach auszuhebeln bei Bedarf, führt sie ad absurdum. Umso mehr unter Hinweis auf eine Gefahr, deren Schwere durchaus umstritten ist. Wohin das führt, sehen wir gerade: Schon jetzt erklärte das Bundesverfassungsgericht, geführt von einem treuen Merkel-Parteigänger, den sie persönlich installiert hat, auch für den Klimaschutz könnten Grundrechte eingeschränkt werden.
Damit ist die Verfassung faktisch nicht mehr viel mehr wert als teures Altpapier.
Man kann nach dieser Logik unter Hinweis auf so ziemlich jede Gefahr so ziemlich jedes Grundrecht außer Kraft setzen.
Und diese Grundrechte dann bei wohlgefälligem Verhalten zurückgeben. Vielleicht heißt es dann künftig: „Die Würde der Radfahrer ist unantastbar.“
Das wirft Fragen auf.
Etwa: Wie sollen die Privilegierten gekennzeichnet werden?
Mich gruselt.
Und ich höre an diesem Punkt auf.
Auch, weil ich gleich die nächste Frage auf der Bundespressekonferenz stellen will.
Es ist mir zutiefst unheimlich, was in diesem Land geschieht.
Das ist nicht mehr die Bundesrepublik, in der ich lange und gerne lebte.
Bild: Boris Reitschuster
Text: red
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