Sehen Sie hier mein Video zur heutigen Bundespressekonferenz mit Horst Seehofer.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten in Deutschland wäre um 45 Prozent gestiegen, auf 1.526. Sie hätte damit deutlich die Zahl der linksextremen Gewalttaten überholt – die um „nur“ rund 10 Prozent auf 1.092 gestiegen wäre. Das wäre ein Wachstum rechtsextremer Gewalttaten, viereinhalb mal so hoch wie das von linksextremen. Und jetzt Hand aufs Herz: Was glauben Sie, wie in einem solchen Fall das Medienecho ausgesehen hätte? Wetten, dazu wäre sehr, sehr viel geschrieben worden, es hätte viele Schlagzeilen gegeben, allerdings solche: Dramatischer Anstieg von rechtsextremen Gewalttaten!
Jetzt aber zurück vom Szenario zur Realität. Da sind exakt die oben genannten Zahlen heute auf der Bundespressekonferenz verkündet worden. Nur eben genau umgekehrt. Sehen Sie es selbst auf diesem Ausschnitt aus der Statistik, die Bundesinnenminister Horst Seehofer heute unter den Journalisten verteilen ließ:
Ohne jedes Wenn und Aber muss gelten: Rechtsextremismus und rechtsextreme Gewalt sind ein großes Problem in Deutschland. Und sie müssen mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bekämpft werden. Punkt.
Dennoch bin ich der festen Überzeugung: Aktuell wird der „Kampf gegen Rechts“ zu politischen Zwecken missbraucht. Und die Bekämpfung von Extremismus in Deutschland erfolgt sehr einseitig. Dabei werden auch rhetorische Tricks benutzt – ich habe sie in meinem Video von der heutigen Bundespressekonferenz analysiert. Dazu gibt es andere verzerrende Elemente: So etwa das Ungleichgewicht bei sogenannten „Propaganda-Delikten“, die maßgeblich nur bei Rechtsextremen anfallen. Wenn jemand etwa Dutzende Hakenkreuze an Wände schmiert, sind das Dutzende rechter Propagandadelikte. Egal, wer schmierte. Auch antisemitische Straftaten werden, solange nichts Gegenläufiges bekannt ist, erst einmal dem Rechtsextremismus zugeschrieben – obwohl sie ja etwa auch religiös motiviert sein können. Kritiker sehen deshalb eine Verzerrung in der Statistik. Und im Kampf gegen Extremismus.
Nachdem Seehofer einem ausländischen Kollegen sehr ausweichend auf seine Frage nach Linksextremismus geantwortet hatte und in der Antwort mehr vom Kampf gegen Rechts sprach als von dem gegen Links, hakte ich noch einmal nach. Die Antwort Seehofers ist sehr interessant – Sie finden Sie in meinem Video oder hier im Stenogramm:
Reitschuster: Herr Seehofer, Sie haben gerade auf die Frage nach dem Linksextremismus vor allem mit Rechtsextremismus geantwortet. Herr Münch hat gesagt, die Mehrzahl kommt von rechts. Wenn ich jetzt reinschaue, sind politisch motivierte Gewalttaten von links deutlich mehr, der Zuwachs 3-1/2-fach so hoch wie bei den rechtsextremen Gewalttaten. Haben Sie nicht Angst, dass dadurch, dass man immer gegen Rechts die Gesetze auch so nennt, dass da links unter dem Radar etwas vorbeifliegt? Wie kommt es zu der Entwicklung und was kann man machen? Danke.
Seehofer: Diese Gefahr sehe ich, solange ich da bin, gar …
Zwischenruf Reitschuster: Sie sind aber nicht mehr lange da!
Seehofer: Bei mir gibt es nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“. Und das habe ich ja deutlich gemacht. Habe die Zahlen auch genannt. Auch diese besorgniserregenden Zuwächse. Und der größte Fehler wäre, der ist in der Geschichte der Deutschen immer wieder gemacht worden, sich jetzt aufgrund einer politischen Einstellung einer Richtung mehr zuzuwenden als der anderen Richtung. Das halte ich aber für brandgefährlich. Wir haben die Aufgabe, unsere Bevölkerung, unser freiheitliches System zu schützen, und dazu gehören alle Facetten, die ich heute zum wiederholten Male hier vorgetragen habe. Und ich habe ja meine Zufriedenheit zum Ausdruck gebracht über das, was jetzt noch in der Endphase der Legislatur doch noch geschieht, weil ich nicht mehr daran geglaubt habe. Wir hatten ja alles erledigt in der Regierung. Wir haben im Oktober des letzten Jahres das Bundesverfassungsschutzgesetz, den Entwurf, beschlossen. Im Oktober! Jetzt wird er zum ersten Mal gelesen. Und ich bin deshalb so glücklich, weil Gott sei Dank dieses Denken „Das kommt jetzt mehr von einem rechten Politiker und das kommt mehr von einem linksorientierten Politiker“ nicht stattgefunden hat. Das ist nämlich in der Extremismusbekämpfung das Gefährlichste. Weil ich politisch „rechts“ stehe, es gibt ja demokratische Rechte, kann es nicht dazu führen, dass ich dort blind bin. Und das erwarte ich umgekehrt genauso. Und deshalb bin ich jetzt froh, dass wir dieses gesammelte Paket, das wir nach Lemke, Hanau und Halle mit den Ländern beschlossen haben, wo wir uns in der Regierung auch sehr, sehr einig waren, ohne jede Kontroverse, dass dieses Paket wohl nächste Woche am Mittwoch im Kabinett zum Abschluss gebracht wird. 89 Maßnahmen! Wann hat es das in der Geschichte der Republik schon mal gegeben gegen Rassismus und Rechtsextremismus? Und es gab noch keine Regierung, die den Fokus auf diese Felder politische Kriminalität, politisch motivierte Kriminalität gesetzt hat, wie diese.
Nachfrage Reitschuster: Jetzt haben Sie aber wieder wie vorhin mit Rechtsextremismus geantwortet. Und die Frage war ja: Wie erklären Sie den massiven Anstieg linksextremer Gewalt?
Seehofer: Ja, wir haben generelle Verrohungstendenzen. Wir haben Polarisierungen in unserer Gesellschaft. Eine Demonstration von da löst eine Gegendemonstration von dort aus. Wir haben verschiedene Schwerpunkte. Wenn ich an Leipzig denke, wenn ich an Hamburg denke für den Linksextremismus. Und wir sind immer besorgt, wenn Großveranstaltungen stattfinden, weil dann all diese heterogenen Kräfte aufeinandertreffen. Und das ist nur mit massivster Polizeipräsenz zu bewerkstelligen. So, war das jetzt ausreichend? Ich weiß nicht, wie Sie Zweifel haben können, dass wir links nicht so stark einschätzen oder so gefährlich einschätzen wie andere Bewegungen. Aber innerhalb der hohen Bedrohungslage ist ohne Zweifel der Rechtsextremismus nochmal von besonderer Bedeutung, auch was den Antisemitismus angeht. Ja. Ja, Sie müssen doch anschauen, wo sind Tötungsdelikte, wo kommen Menschen ums Leben. Das muss man schon, nicht nur die nackte Zahl betrachten, sondern auch, was war die Wirkung dieses Tuns. Und da spreche ich von einer Blutspur in Deutschland. Und zwar einer kontinuierlichen über viele Jahre hinweg. Die Gewaltaffinität, das haben wir auch hier schon mehrfach gesagt, ist bei den Linken … hat deutlich zugenommen. Das kann man überhaupt nicht bestreiten. Die Strategien sind verändert worden, also mehr auf Einzelpersonen, kleine Gruppen bezogen und nicht mehr auf Massenveranstaltungen, obwohl sie dort auch vorkommt. Siehe den Gipfel da in Hamburg. Also, dass ich im Verdacht stehe, jedenfalls durch ihren Beitrag … ich könnte das unterschätzen, ist mitnichten der Fall.
Bild:
Text: br
[themoneytizer id=“57085-1″]