Berichte darüber, dass die Regierung heute Journalisten Empfehlungen gibt, was und worüber sie berichten sollen, werden von Politikern und den Medien in der Regel als böse Verschwörungstheorie und als absurd abgetan. Die Gewaltenteilung zwischen Regierung und „vierter Gewalt“ funktioniere, so beteuern viele Kollegen gebetsmühlenartig. Und jetzt das. Merkels Sprecher Steffen Seibert höchstpersönlich gab mir heute auf der Bundespressekonferenz eine „Empfehlung“, worüber ich berichten soll. Zitat: „Ich würde einfach empfehlen, vielleicht, dass Sie die User Ihres Blogs hinweisen auf die zahlreichen Informationen, die es vom Bundesgesundheitsministerium, vom Robert-Koch-Institut, auch von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über den Wert und Nutzen des Maskentragens genauso wie über die Gesundheitsverträglichkeit des Maskentragens gibt, da gibt es sehr, sehr gute Sachen.“ Ansehen können Sie sich die Stelle in der Phoenix-Live-Übertragung hier.
In meinen Augen ist es nicht die Aufgabe von kritischem Journalismus, auf Empfehlungen von regierungsamtlichen Stellen hinzuweisen. Sondern genau im Gegenteil, diese zu hinterfragen und kritisch zu beäugen. Umso erstaunlicher finde ich die Aussage von Seibert – davon abgesehen, dass es mich natürlich ehrt, dass er meinen Blog kennt und quasi auch für Sie, liebe Leserinnen und Leser, Empfehlungen abgibt. Ich halte das für ein absolutes Tabu, dass eine Regierung Journalisten sagt, worüber sie berichten sollen. Man könnte dies in einer gut funktionierenden Demokratie und Medienlandschaft abtun als eine flapsige Bemerkung. Aber wenn man eben täglich erlebt, wie sehr viele Medien zu Verlautbarungsorganen der Regierung verkommen sind, hat so eine „Empfehlung“ des Regierungssprechers eine besondere Brisanz.
Die große Frage ist: Gingen da bei Seibert für einen Moment, nach einem vorherigen Geplänkel mit mir (weiter unten mehr), die Nerven durch? Hat er für einen unbedachten Augenblick einen Einblick in seine Vorstellung von Journalismus erlaubt, den er lieber nicht hätte geben wollen und sollen? Leider wurden mir die vier Nachfragen, die mir auf der Zunge lagen, nicht gestattet:
1) Ob seine Aussage nicht im Widerspruch zu dem steht, was mir vergangene Woche das Gesundheitsministerium antwortete – dass es keine Studien gibt zur Auswirkung des Masken-Tragens auf Kinder (siehe hier).
2) Ob ich dann auch auf die Empfehlung des RKI vom Januar hinweisen dürfe, wo es hieß, normale Masken würden nicht helfen.
3) Ob mein Blog, wenn ich seiner Empfehlung folge, dann auch Aussichten auf einen Anteil an den vielen Millionen Steuergeldern habe, die andere Medien erhalten.
Bemerkenswert ist noch ein anderer Aspekt. Bereits heute berichten sehr, sehr viele großen Medien genau das, was die Regierung und ihre Institutionen vermelden. Im Sinne von Pluralismus und Demokratie kann es nicht die Aufgabe von kleinen Portalen wie meinem sein, das zu wiederholen, was ohnehin tagaus tagein Lesern, Zuhörern und Zuschauern vermittelt wird. Im Gegenteil: Ein Gegengewicht ist nötig. Und kein Nachplappern. Ein Setzen von Akzenten da, wo die großen Medien keine oder wenige setzen. Dass Seibert das nicht so sieht, dass er sich wünscht, dass auch ein kleines Medium nicht gegen den Strom schwimmt und in den großen Medienchor einstimmt, sagt viel über sein Verständnis von Journalismus aus.
Seiberts Antwort bezog sich auf meine Fragen, ob es zulässig sei, dass die Bahn Kunden mit Masken-Befreiungsattest aus ihren Zügen verweist (siehe hier), und wie die Bundesregierung nach Tests in der Schweiz, die sieben von acht Stoffmasken eine weitreichende Wirkungslosigkeit bescheinigten (siehe hier), sicherstellen will, dass Masken ausreichend getestet und die Bevölkerung damit hinreichend geschützt ist. Die Sprecherin des Gesundheitsministeriums hatte dazu keine wirkliche Antwort parat, und auch das Verkehrsministerium musste passen (siehe hier). Die Moderatorin und Leiterin der Pressekonferenz Angela Wefers aus dem Vorstand der Bundespressekonferenz legte mir nahe, ich solle doch bei der Bahn fragen. Das hatte ich ohnehin schon gemacht, allerdings ohne eine Antwort zu bekommen. Und warum sollte eine Frage bei der Bahn eine an die Regierung ersetzen?
Seibert sprach die „Empfehlung“ aus, nachdem das Bundesgesundheitsministerium passen musste auf meine Fragen nach falsch positiven Testen bei Fußball-Profis, wie hoch die Fehlerquote bei den Tests insgesamt ist, ob es korrekt ist, wie Seibert von „Neuinfizierten“ zu sprechen statt von „positiv Getesteten“, wie sie Kritik aus Labors werten, dass billige Tests oft falsche Ergebnisse liefern, und ob sich auch gewöhnlich Sterbliche ein zweites Mal oder noch öfter testen lassen können wie die Fußball-Profis (anzusehen hier).
Schon zuvor in der Pressekonferenz waren Seibert und ich aneinandergeraten. Zum einen hatte ich ihn gefragt, warum die Bundeskanzlerin ihren Podcast von letzter Woche einfach wiederholt habe, wenn er doch offensichtlich die gezielte Wirkung verfehlt und nicht verfangen habe. Zudem fragte ich ihn, ob die Bundeskanzlerin, die ja in Weißrussland sehr besorgt ist über Polizeigewalt, auch Sorgen habe wegen der Bilder aus Berlin etwa von den brutalen Festnahmen des Querdenker-Rechtsanwalts Markus Haintz und anderer Demonstranten am Sonntag (anzusehen hier). Dabei sagte ich ausdrücklich, dass es mir fern läge, die Zustände in Weißrussland und Deutschland gleichzusetzen.
Die Fragen waren massiv zugespitzt, aber ich finde, das gehört zu kritischer Pressearbeit dazu und sollte in einer Demokratie eigentlich selbstverständlich sein. Umso erstaunlicher war für mich, wie ausgesprochen gereizt Seibert antwortete. Ist man solche zugespitzten Fragen nicht mehr gewöhnt? Schon als mir das Wort erteilt wurde und ich anfing zu reden, schaute Seibert angespannt zur Seite statt auf mich (anzusehen hier). Nachdem ich ausgesprochen hatte, atmete Seibert tief und gut hörbar durch und stöhnte: „Das war ausführlich! Zwei verschiedene Themen“. Sodann fragte er in empörtem Duktus zurück: „Verstand ich Sie richtig, dass Sie ‘nicht verfangen‘ sagten? Waren das die Worte, die Sie gewählt haben“? Das klang so, als hätte ich mich einer Majestätsbeleidigung schuldig gemacht. Ich habe extra nochmal im Duden nachgesehen. Dort wird als einzige für den Kontext meiner Frage mögliche Bedeutung von „verfangen“ Folgendes aufgeführt: „die gewünschte Wirkung, Reaktion [bei jemandem] hervorrufen (meist verneint).“ Woran Herr Seibert beim Wort „verfangen“ dachte und warum er darauf so gereizt reagierte, darüber kann ich nur spekulieren. Weiter sagte er, meine Behauptung sei „einfach falsch“.
Zur Polizeigewalt sagte Merkels Sprecher: „Wenn es Ihnen fern liegt, Belarus mit Deutschland zu vergleichen, dann würde ich sagen, lassen Sie es einfach. Ich habe hier keine weiteren Einsatzbewertungen vom Wochenende vorzunehmen, ich habe dazu nichts zu sagen, lassen Sie einfach diese Vergleiche, mit denen Sie schon in der Frage heranpirschen.“
Seibert hat also meine Frage ignoriert und dafür die Art der Fragestellung kritisiert. Trotz dieses Nicht-Beantwortens der Frage untersagte mir die Moderatorin und Leiterin der Pressekonferenz, Angela Wefers aus dem Vorstand der Bundespressekonferenz, ein Nachhaken mit Hinweis auf die Regel, dass man entweder eine Frage stellen und nachfragen könne oder zwei Fragen und nicht nachhaken. Die wurde allerdings, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, bei den anderen beiden Bundespressekonferenzen, in denen ich anwesend war, seit meiner Aufnahme vergangene Woche, so nicht strikt eingehalten. Und sie macht auch wenig Sinn, da man sich ansonsten einfach mehrfach zu Wort melden würde.
Als ich später noch einmal darauf aufmerksam machte, dass mir in meinen Augen zu Unrecht die Möglichkeit verweigert wurde, mich nochmal zu äußern, ließ man das nicht gelten (siehe hier).
Lange behandelte Themen auf der Bundespressekonferenz waren Atomwaffen in Deutschland bzw. Manöver dazu und der Aufenthalt des thailändischen Königs in Deutschland. Hier wurde unter anderem gefragt, ob Reisebeschränkungen und Quarantäne auch für ihn gelte, weil er ja „potentiell auch eine Gefahrequelle“ sei und ob man den König ggf. ausweisen kann. Die Sprecherin des Gesundheitsministeriums antwortete, die Regeln gelten für alle und man habe keine Ausnahmen aufgestellt. Das verwunderte mich sehr, da ausländische Staatsoberhäupter als Souverän generell eine Staatenimmunität haben und an Vorschriften wie eine Quarantäne in einem Gastland nicht gebunden sind. Auf meine entsprechende Nachfrage (siehe hier) sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, er könne die Frage nicht beantworten, dafür seien die Länder zuständig. Ganz offen gestanden halte ich dieses Maß an Nicht-Wissen in der Regierung für beachtlich.
So aufwändig die Teilnahme an den Bundespressekonferenzen für mich ist – ich finde es wichtig, kritisch nachzuhaken. Und die Reaktionen bestätigen mich darin.
PS: Auf meine beiden noch offenen Fragen auf der letzten Bundespressekonferenz vom Freitag wurden übrigens die Antworten bis heute noch nicht nachgereicht (siehe hier). Ich hoffe, das Justizministerium und das Gesundheitsministerium werden das noch tun.
Bild: Screenshot Phoenix
Text: br