Ein Gastbeitrag von Thomas Paulwitz
Facebook behindert derzeit mit den Mitteln der Zensur massiv die Berichterstattung der „Deutschen Sprachwelt“ und untergräbt so die Pressefreiheit. Das US-amerikanische Unternehmen bewertet journalistische Beiträge, die über den gesellschaftlichen Umgang mit Tabuwörtern wie „Zigeuner“ und „Neger“ berichten, als „Hassrede“ und löscht sie ohne Vorwarnung. Als Berichterstatter wurde ich selbst erst verwarnt, dann für 24 Stunden gesperrt, und jetzt für drei Tage. Außerdem droht der milliardenschwere Konzern nun sogar damit, die seit dem 16. Februar 2009 bestehende Facebook-Seite unserer Zeitschrift mit 178.000 Beziehern ganz zu schließen.
Wir berichten auf unseren Kanälen (Facebook, Telegram, Twitter) regelmäßig auch über Sprachtabus. Dabei ist es unmöglich, beanstandete Wörter wie zum Beispiel „Mohrenkopf“ oder „Zigeunersoße“ zu vermeiden. Die Verfolgung durch Facebook beginnt am 12. Juli, ausgerechnet während ich an dem Leitartikel über Zensur-Unkultur arbeite, der in der Sommer-Ausgabe der »Sprachwelt« erscheinen soll. Vor mir liegen die Bücher »Cancel Culture – Demokratie in Gefahr« von Kolja Zydatiss, »Die Selbstgerechten« von Sahra Wagenknecht und »Generation beleidigt – Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei« von Caroline Fourest. Doch plötzlich werden diese Bücher lebendig, und ich spiele selbst eine Rolle in dem Trauerspiel, von dem sie erzählen.
Unvermittelt meldet sich der Große Bruder
„Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Ich fühle mich wie die Figur in einem Kafka-Roman. Als ich in Facebook nach den Aussagen Boris Palmers zum Sprachjakobinismus suche, poppt auf meinem Bildschirm plötzlich ein Fenster auf. Neben einem gelben Warndreieck mit weißem Ausrufezeichen erscheint in respektloser Du-Form die Anklage: „Dein Beitrag verstößt gegen unsere Gemeinschaftsstandards zu Hassrede und Beleidigungen.“
Facebook wolle, so lese ich weiter, Nutzer „vor Äußerungen schützen, die häufig als Beleidigungen für bestimmte Personengruppen verwendet werden.“ Daher ist ein Beitrag entfernt worden. Als Beweismittel für die Anklage der Haßrede zeigt mir Facebook einen Eintrag an, den ich am 9. Juli auf die Facebook-Seite der Deutschen Sprachwelt gestellt habe. Darin heißt es: „RTL-Moderatorin Katja Burkard bittet bei Zigeunern für das unbedachte Verwenden des Wortes ‚Zigeunerleben‘ um Entschuldigung.“ Es wird nicht ausdrücklich gesagt, aber die vermeintliche Haßrede besteht vermutlich aus dem Wort „Zigeuner“.
Was allerdings an diesem Wort beleidigend sein soll, erklärt Facebook nicht. Doch haben wir vor einem Jahr anläßlich der Zigeunersoßendiskussion bei der Sinti-Allianz Deutschland nachgefragt. Diese bescheinigte uns damals schriftlich: „Eine Zensur oder Ächtung des Begriffs Zigeuner, durch wen auch immer, sollte und darf es nicht geben.“ Diese Meldung ging vor genau einem Jahr durch die Presse. Also widersprechen wir dieser Zensur. Doch nur vier Minuten nach unserer Beschwerde entscheidet Facebook, bei der Löschung zu bleiben und meldet: „Wir haben deinen Beitrag noch einmal geprüft, und er entspricht nicht unseren Gemeinschaftsstandards.“ Wie das jemand in nicht einmal vier Minuten gewissenhaft prüfen kann?
Facebook empfiehlt vor der Löschung eines Beitrags dessen Bewerbung
Tags darauf unterrichten wir auf Facebook unsere Leser über die Verwarnung: „Facebook hat uns für das Wort ‚Zigeuner‘ verwarnt. Bei Wiederholung droht die Schließung dieser Seite. Bitte wechseln Sie daher schon jetzt auf unsere anderen Kanäle auf Telegram und Twitter.“ Außerdem fügen wir das Zitat der Sinti-Allianz an, daß es weder eine Zensur noch eine Ächtung des Wortes „Zigeuner“ geben dürfe.
Jetzt wird es wieder kafkaesk: Am 14. Juli empfiehlt uns Facebook, diesen Beitrag zu bewerben, am 29. Juli sperrt mich Facebook 24 Stunden lang für ebenjenen Beitrag. Die „Hassrede“, die der Beitrag enthalten soll, vermag ich nicht zu erkennen, eher schon eine Diskriminierung der Sinti durch Facebook, das deren Aussage zensiert. Wer jedoch erst ermuntert „Erreiche mit diesem Beitrag mehr Menschen“, um diesen dann zu löschen, kann wohl nicht mehr als völlig zurechnungsfähig angesehen werden. Offenbar sind hier keine vernunftbegabten Menschen mehr tätig, sondern nur noch Automaten, die sich selbst widersprechen.
Möglicherweise ist es kein Zufall, dass die Sperre am selben Tag erfolgt, an dem bekannt wird, dass der Bundesgerichtshof (BGH) die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook zur Löschung von Beiträgen und zur Sperrung von Nutzern für unwirksam erklärt hat. Demzufolge muss es zwingend eine Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Diese Möglichkeit ist mir jedoch nicht eingeräumt worden.
Das US-amerikanische Unternehmen will offenbar beweisen, dass es mächtiger ist als der deutsche Rechtsstaat. Die »Deutsche Sprachwelt« ist dabei nicht das einzige Presseorgan, dessen Pressefreiheit dadurch beschnitten wird. Einen Tag später wird der Herausgeber des Magazins »The GermanZ« für 24 Stunden gesperrt. Klaus Kelles Vergehen besteht darin, für die Beibehaltung des Wortes „Zigeunerschnitzel“ eingetreten zu sein. Für Facebook ist das wiederum „Hassrede“.
„Sitzredakteur“ gesucht
Diese bedenkliche Entwicklung veranlasst uns, scherzhaft die Stelle eines „Sitzredakteurs“ auszuschreiben. Die Bezeichnung stammt noch aus dem Kaiserreich, als in den Impressen als Verantwortliche oft Mitarbeiter genannt wurden, auf welche die Zeitungen auch einmal verzichten konnten. Wenn der Sitzredakteur dann wegen Majestätsbeleidigung inhaftiert war, konnte die eigentliche Redaktion weiterarbeiten. Da Facebook die Sperren zu diesem Zeitpunkt nur gegen den textenden Redakteur ausspricht, erscheint uns das noch als möglicher Weg.
Doch bevor wir den Sitzredakteur gefunden haben, ereilt mich nach einem Tag Freiheit schon wieder die nächste Sperre, und auch diese ist an kafkaesker Kuriosität kaum zu überbieten. Diesmal geht es wahrscheinlich um das Wort „Neger“ – wahrscheinlich, denn Facebook teilt wieder nicht mit, was genau es in dem Beitrag für anstößig hält. Vielleicht ist es auch das Wort „Jude“?
Was Twitter zuläßt, wird bei Facebook zensiert
Doch der Reihe nach: Am 25. Juli berichten wir auf unserem Twitter-Kanal über eine Erklärung der grünen Spitzenpolitikerin Annalena Baerbock. Wir schreiben dazu: „Kanzlerkandidatin #Baerbock hat #Neger gesagt. Das Wort fiel in einem Gespräch mit dem Zentralrat der Juden. Nach der Aufzeichnung wollten die #Grünen das Gespräch an dieser Stelle zensieren.“ Daraufhin meldet ein besorgter Bürger diesen Beitrag. Twitter berichtet uns darüber am 26. Juli: „Wir haben den gemeldeten Inhalt untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass er im Rahmen der Twitter Regeln […] oder deutscher Gesetze nicht der Entfernung unterliegt.“ (Hervorhebungen durch mich)
Es geht also auch anders! Voller Freude über diese Entscheidung von Twitter berichten wir am 26. Juli auf Facebook: „Twitter weist Zensurforderung zurück. #Neger“. Daran könnte sich doch Facebook ein Beispiel nehmen! Doch die Freude währt nur kurz. Facebook sperrt mich am 1. August für drei Tage. Die Veröffentlichung der Twitterentscheidung sei „Hassrede“.
Doch damit nicht genug: Aufgrund der bisherigen Strafmaßnahmen erscheint jetzt im internen Bereich der Sprachwelt-Seite die Drohung, sie zu schließen oder die Reichweite einzuschränken: „Deine Seite wird aufgrund wiederholter Verstöße gegen unsere Gemeinschaftsstandards möglicherweise nicht mehr veröffentlicht. Außerdem erreicht sie weniger Personen und es gelten weitere Einschränkungen für sie.“ Die nächste Stufe zur Abschaffung der Pressefreiheit ist damit erreicht.
Am 4. August läuft meine Sperre ab. Nach den bisherigen Erfahrungen mit Facebook muß ich damit rechnen, dass es nicht die letzte gewesen ist. Denn Facebook verhöhnt uns schon wieder, indem es vorschlägt, den Hinweis auf die bevorstehende Schließung der Seite zu bewerben. Wenn es nicht so traurig wäre, müßte man lachen.
[themoneytizer id=“57085-3″]
Außerdem ist er Vorstandsvorsitzender der in Düsseldorf ansässigen Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache sowie Vorstandsmitglied und Mitbegründer der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen/Anhalt. 2006 erhielt er den Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten „in Anerkennung seiner herausragenden Verdienste für einen engagierten unabhängigen Journalismus“. Die Sprachpflegezeitschrift DEUTSCHE SPRACHWELT erscheint vierteljährlich in gedruckter Form und dient den Bürgern, die sich um die deutsche Sprache sorgen, als Sprachrohr. Der Bezug der spendenfinanzierten Zeitschrift ist kostenlos: Postfach 1449, 91004 Erlangen, [email protected]
Text: Gast