Das Versagen in einem verzweifelten Satz: „We are highly stressed“ Tweet an die Deutsche Botschaft heute früh: „Niemand antwortet auf meine E-Mail“

Von Alexander Wallasch

Der Twitter-Account der Deutschen Botschaft in Afghanistan („Welcome to the official twitter account of the German Embassy Kabul.“) hat fast 100.000 überwiegend afghanische Follower. Vor etwas mehr als einer Stunde twitterte jemand vom gestern bereits zum Flughafen evakuierten Botschaftspersonal diesen Followern, sie sollen nicht zum Flughafen kommen. Parallel verbreiten sich Handy-Aufnahmen einer aufgebrachten Menge ziviler Afghanen auf dem Flugfeld.

“Evacuation flights for (hier: Symbol deutsche Flagge) citizens & local staff are under way. We will inform you when your flight is due. We do not recommend to approach the airport unless we have called you. Doing so may be risky & you will not be admitted to the airport unless you are on a flight manifest.”

Übersetzung:

„Die Evakuierungsflüge für deutsche Bürger und das lokale Personal sind auf dem Weg. Wir werden Sie informieren, wenn Ihr Flug ansteht. Wir empfehlen Ihnen nicht, sich dem Flughafen zu nähern, solange wir Sie nicht angerufen haben. Dies kann riskant sein und Sie werden nicht zum Flughafen gelassen, es sei denn, Sie stehen auf einer Flugliste.“

Beinahe schüchtern klingend trotz einer mutmaßlichen Verzweiflung antwortet ein User vor wenigen Minuten: „Bedenkt die Wahrscheinlichkeit des zeitweisen Netzkollaps.“

Ein weiterer schreibt auf Deutsch: „2 Personen warten, bitte bescheid geben wir sind 5 km von Flughafen entfernt. Danke“

Mutmaßlich ein Deutscher irgendeiner NGO, sein Hintergrundbild ist eine Blumenwiese, seine Selbstbeschreibung geht so:

„Internationaler Handel, Faire Wirtschaft, Armutsbekämpfung, Erhöhung der Selbstversorgung und Good Governance ist mein Anspruch.“

Mittlerweile gelöscht wurde folgende Antwort auf den Tweet der Botschaft:

„Atleast call those or email them that they should prepare themselves…. even i have closely with GIZ on capacity building programs as well pass tge exam amd medical test and interview for NATO camp marmol… but no one is replying my email… we are highly stressed“

Übersetzung:

„Rufen Sie die Leute wenigstens an oder schreiben Sie ihnen eine E-Mail, dass sie sich vorbereiten sollen… auch ich habe in enger Zusammenarbeit mit der GIZ an Programmen zum Kapazitätsaufbau mitgewirkt und die Prüfung sowie den medizinischen Test und das Vorstellungsgespräch für das NATO-Camp Marmol bestanden… aber niemand antwortet auf meine E-Mail… wir sind sehr gestresst.“

Gegen 8:40 Uhr deutscher Zeit fragt ein Hadi Sharifi: „How can your citizens register???“ Wie können sich ihre Bürger registrieren?

Ein weiterer Afghane antwortet auf den Tweet der Botschaft:

„Damn world and curse on the world. Humanity has fled, nothing left. The world is watching, they enjoy recording the painful scenes. Afghanistan is Hell now BUT we will stand one day and we will ask all those who destroyed us. Thank u the so called world for destroying us.“

Twitter- Übersetzer:

„Verdammte Welt und Fluch über die Welt. Die Menschlichkeit ist weg, nichts mehr übrig davon. Die Welt schaut zu, sie genießt die schmerzhaften Szenen. Afghanistan ist jetzt die Hölle, ABER wir werden eines Tages aufstehen und wir werden bei all jenen nachfragen, die uns zerstört haben. Dank an die sogenannte Welt, dass sie uns zerstört hat.“

Dann wird vor wenigen Minuten ein kurzes Video mit diesem Kommentar geteilt:

„Please stay away from airport #Kabul #Afganistan”

Übersetzung: “Bitte halten Sie sich vom Flughafen Kabul fern”

Das Video zeigt mehrere tote Zivilisten, offensichtlich erschossen.

Besagtes Video wurde von einem anderen Account geteilt, dort heißt es:

“American forces have shot dead some stranded passengers in Kabul airport. It’s a catastrophic disaster. Americans shall ensure the safety of stranded passengers.”

Übersetzung:

Amerikanische Streitkräfte haben am Flughafen von Kabul einige gestrandete Passagiere erschossen…

9:47 Uhr deutscher Zeit: Heiko Maas ist immer noch nicht zurückgetreten. Der Twitter-Account des Vielschreibers Maas ist verwaist. Sein letzter Eintrag: 13 Stunden alt. Maas hat einen Tweet des Auswärtigen Amtes geteilt, der etwas von oberster Priorität erzählt, welche die Sicherheit “unserer Staatsangehörigen” hätte. Flugzeuge der Bundeswehr wären gerade nach Kabul aufgebrochen.

PS 1: Es folgt ein weiterer Warnhinweis für Afghanen nicht zum Flughafen zu kommen ohne Flugschein.

PS 2: Ein Dr. Ghazi Afghan schreibt vor einer Minute: „My dad worked for almost five years with German troops with the ISAF but today Germany is leaving him behind because he worked from 2003-2007! Does the Taliban care for which years anyone work with foreign troops? NO they don’t! My parents are facing death threats.“

Twitter-Übersetzer:
„Mein Vater hat fast fünf Jahre mit deutschen Truppen bei der ISAF gearbeitet, aber heute lässt ihn Deutschland zurück, weil er von 2003-2007 gearbeitet hat! Interessiert es die Taliban, in welchen Jahren jemand mit ausländischen Truppen arbeitet? NEIN tun sie nicht! Meine Eltern sind mit Morddrohungen konfrontiert.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Screenshot Tagesschau 16.8.2021
Text: wal
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