Von Ekaterina Quehl
Dass es schwer ist, vom Berliner Flughafen über die Luft wegzukommen, mussten vor kurzem viele Gäste erfahren. Dass es aber genauso schwer ist, über die Straße den BER zu verlassen, ist eine neue Erfahrung, die ich vor ein paar Tagen selbst machen musste.
Nicht selten benutze ich Carsharing, wenn ich am Berliner Flughafen lande. Auf einem speziellen Parkplatz kann man dort in der Regel unzählige Fahrzeuge von vielen gängigen Anbietern finden. Doch am Abend meiner Landung waren sie alle wie vom Winde verweht. Also entschied ich mich für ein Taxi.
Als ich gerade auf dem Weg zum Taxi-Stand war, kam ein junger Mann auf mich zu und fragte: „Brauchen Sie vielleicht ein Taxi?“
Als russischer Mensch, der in den 90er Jahren aufgewachsen ist und Schwarzgeschäfte nicht nur vom Hörensagen kennt, war ich sofort etwas misstrauisch. Am St. Petersburger Flughafen Pulkovo werden Gäste immer noch von verschiedensten Taxi-Anbietern angesprochen. Häufig arbeiten sie schwarz und man kann ganz schnell in eine Kosten-Falle tappen.
Ich fragte den jungen Mann höflich: „Ja, gern! Aber was ist der Unterschied zwischen Ihnen und den Taxis da drüben?“ Ich zeigte auf den Taxi-Stand rechts vor dem Ausgang.
Was ich dann hörte, hat mich dermaßen ins Staunen gebracht, dass ich endgültig die Hoffnung verlor, am BER würde jemals etwas vernünftig ablaufen.
„Das sind Brandenburger Taxis und wir sind Berliner Taxis. Wir dürfen keine Fahrgäste hier aufnehmen und auch nicht am offiziellen Taxi-Stand stehen.“
Das klang nach einem Witz. „Wie bitte? Wieso dürfen Sie keine Fahrgäste aufnehmen?“
„Weil der Flughafen sich nicht im Land Berlin befindet und wir Berliner Taxis sind.“
Aber auch dann verstand ich die Erklärung nicht.
„Kennen Sie das nicht? Taxianbieter dürfen nur in einem bestimmten Bereich fahren. Wenn ich Sie von Berlin nach Hamburg fahre, darf ich als Berliner Taxi keinen Fahrgast mitnehmen, wenn ich zurück nach nach Berlin fahre. So ist es hier auch. Ich darf sie zum Flughafen fahren, darf aber keinen Fahrgast vom Flughafen aufnehmen.“
„Aber es sind doch bestimmt neunzig Prozent Gäste, die nach Berlin fahren möchten“, sagte ich.
„Ja, natürlich!“, erwiderte der Taxifahrer.
„Aber es macht doch keinen Sinn!“, staunte ich weiter.
„Da es aber viel zu wenig Brandenburger Taxis gibt, nehmen wir trotzdem Fahrgäste vom Flughafen auf. Es ist eigentlich illegal, die Flughafen-Administration weiß es aber und die Brandenburger Taxis wissen es. Wir dürfen auch nicht am offiziellen Taxi-Stand stehen, nur am mittleren Streifen. Deshalb gehen wir immer auf unsere Fahrgäste selbst zu. Danke, dass Sie mit mir fahren.“
Ich begann langsam, das Problem zu verstehen.
„Kennen Sie den Skandal nicht? Den gibt es schon seit Schönefeld-Zeiten. Aber damals hat man ausgehandelt, dass Berliner Taxis neben den Taxis aus dem Kreis Dahme-Spreewald auch eine Ladeberechtigung bekommen“, fuhr der Taxifahrer fort. „Als dann der BER eröffnet wurde, ging das Ganze von vorne los. Wir sind sogar auf die Straße gegangen, aber es hat nichts gebracht.“
Ich nahm mein Handy und suchte nach „Berliner Taxi BER“. Google gab mir dann unzählige Schlagzeilen raus.
„Taxi-Zulassung am Flughafen BER muss neu geregelt werden“, schreibt rbb24 im Dezember 2020.
„Flughafen BER lohnt sich für Berlins Taxis kaum“, schreibt die Berliner Morgenpost im Juni 2021.
„Taxi-Notstand am Flughafen BER: Wie sich Berlin und Brandenburg blamieren“, schreibt die Berliner Zeitung im Juli 2021.
„GDL-Streik: Sonderregelung für Berliner Taxis am BER“, schreibt die Berliner Morgenpost im September 2021.
Ich las, dass es deshalb so wenige Taxis gibt, weil der Landkreis Dahme-Spreewald, auf dessen Gebiet der BER liegt, und das Land Berlin eine Vereinbarung getroffen haben. Jeweils bis zu 300 Taxis sollen am BER Fahrgäste aufnehmen dürfen. Eine weitere begrenzte Anzahl durfte nur mit einer vorübergehenden Ausnahmegenehmigung Gäste aufnehmen.
„Unfassbar! Als Fahrgast macht man sich keine Gedanken, mit welchem Taxi man fährt. Und hier kämpfen Berliner Taxifahrer um jeden Gast. Und das auch noch illegal“, sage ich dem Taxifahrer.
„Genau!“, sagt er. „Es ist ein Irrsinn, wenn man einen Fahrgast zum Flughafen bringt, eine 200 Meter lange Warteschlange sieht und man trotzdem als Berliner Taxi keinen Fahrgast aufnehmen darf.“
Diese Absurdität hat alles übertroffen, was ich bisher am BER erlebt habe. Berliner Taxis dürfen am Berliner Flughafen keine Gäste aufnehmen, weil sich der Berliner Flughafen nicht in Berlin befindet. Sie nehmen aber Gäste illegal auf, weil die Taxis, die es legal dürfen, es nicht schaffen, weil es zu wenige sind.
Wer sich diese Regel ausgedacht hat, muss sich im Klaren darüber sein, dass es sich hier um eine Millionen-Metropole handelt, um Berlin, die Hauptstadt eines entwickelten europäischen Landes, in der täglich über den Luftweg zehntausende Gäste ankommen. Man fragt sich, wie dieses Land dann der selbst gestellten Aufgabe gewachsen sein kann, in vielen Bereichen Vorreiter und Weltretter zu werden, wenn es seit über einem Jahr nicht mal in der Lage ist, genügend Taxis den Gästen seiner Hauptstadt zur Verfügung zu stellen.
Das erinnert mich an den Film Idiocracy aus dem Jahr 2005. Die Handlung erzählt von einer Gesellschaft, in der der Bildung und Intelligenz keine Bedeutung mehr zugeschrieben wird, was zur Folge hat, dass die Welt sich in wenigen Jahrhunderten in eine Ruine verwandelt. Selbst rudimentäre Infrastrukturen wie die Müllabfuhr brechen zusammen und sämtliche Felder werden mit Limonade „bewässert“.
Vielleicht ist an der Filmthese tatsächlich etwas Wahres dran und man sollte sich von den Werten der Vernunft abwenden. Damit die Erwartungen an eine grüne und smarte Zukunft nicht von einer Lawine von Enttäuschungen überrollt werden.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge von anderen Autoren geben immer deren Meinung wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 16 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de und studiert nebenberuflich Design und Journalismus.
Bild: ShutterstockText: eq