Ein Gastbeitrag von Klaus Kelle
Ich gebe zu, ich tue mich mit dem russischen Fernsehsender RT schwer. Ich weiß natürlich, dass das kein unabhängiges Medium ist, dass da nicht seriöser Journalismus die Motivation dahinter ist, sondern Brunnenvergiftung in Deutschland. Aber einfach abschalten? So einfach ist es eben nicht.
Frei nach Rosa Luxemburg ist „Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden“, und sollte Rosa tatsächlich die Urheberin dieses Zitats sein, dann hat sie da einen sehr, sehr schlauen Satz gesagt. Leider sind die Zeiten vorbei, wo man im Westen zu Recht mit dem Finger aus Russland zeigen konnte, wenn es um Meinungsfreiheit geht. Mir hat vor einigen Monaten mal Boris Reitschuster am Telefon gesagt, er habe manchmal den Eindruck, dass er heutzutage in Russland freier argumentieren dürfe als hierzulande, wenn es um die Themen geht, die unerwünscht sind. Natürlich nicht, wenn er öffentlich zum Sturz Putins aufriefe. Aber wenn er Missstände kritisiere, dann schon.
Boris wurde kurz vor Weihnachten unter einem lächerlichen Vorwand aus der Bundespressekonferenz geworfen. Er hat Einspruch eingelegt, darf noch bis Abschluss des Verfahrens an Video-Pressekonferenzen teilnehmen, aber wenn er etwas sagt, wird sein Name – anders als bei allen anderen Teilnehmern – nicht mehr eingeblendet. Wenn sie es endgültig vollzogen haben, den Störenfried, der immer so beharrlich nachfragt, rauszuwerfen, wird er wahrscheinlich aus allen vergangenen Listen getilgt und sein Aufnahmeantrag rituell bei einer Vorstandssitzung unter Beschwörungsformeln von Karl Lauterbach verbrannt. Alles schon mal gelesen bei Herrn Orwell…
Unglaublich was hier in meinem, in unserem Land passiert seit Monaten. Und wenn Anti-Corona-Demo ist, dann ist ein Kamerateam von RT dabei und macht den Job, den unsere angeblichen Qualitätsmedien nicht mehr oder kaum noch machen, nämlich das ganze Bild zeigen. Alles Verschwörungstheoretiker und Nazis? Lächerlich, das glauben wahrscheinlich nicht einmal mehr die, die das unablässig behaupten.
Ich kenne Kameramänner von öffentlich-rechtlichen Sendern, die mir 2016 persönlich erzählt haben, dass ihre Redaktionsleitung vor dem Flüchtlingsdreh die Anweisung gegeben hat, besonders Familien mit Kindern und nicht die Massen an jungen Männern zu zeigen, die dann auf den Hauptbahnhöfen ankamen. Framing findet doch auch in Deutschland statt, es gibt viele Beispiele, ich selbst schreibe immer wieder darüber. Es ist ein Skandal, wie hier die öffentliche Meinung von Medien manipuliert wird, die vorgeben, seriösen Qualitätsjournalismus zu betreiben.
Und man kann ja nicht mal schimpfen, dass RT ein reines russisches Propaganda-Werkzeug ist. Natürlich ist es das. Aber was ist mit dem Programm der öffentlich-rechtlichen Deutschen Welle. Die wird nicht aus Zwangsgebühren finanziert wie ARD und ZDF, sondern vollständig aus dem deutschen Steuertopf. Wo ist der Unterschied zu RT? Ach so, wir sind ja die Guten und dürfen unsere Sicht der Dinge in Russland und anderswo verbreiten. Aber denen wollen wir es verbieten, sie abschalten? Wirklich?
Propagandasender gibt es, solange es Sender gibt. Im Zweiten Weltkrieg, im Kalten Krieg… es ist eine wirkungsvolle Methode, im Herzen des Gegners oder sogar Feindes für die eigene Anschauung zu werben. Radio Free Europa (RFE) hat das höchst erfolgreich in Osteuropa betrieben, damals bezahlten die Amerikaner die Rechnung.
Ich denke, man darf nicht mit zweierlei Maß messen, wenn es um freie Meinung geht, selbst wenn man weiß, dass RT nicht eine harmlose Journalistentruppe ist. Und dass die hier für Fake News und Munition gegen unsere Regierung und unsere Gesellschaft sorgen. Wenn man aber damit beginnt, Sender und Zeitungen zu schließen und zu behindern, dann ist man nicht besser als die andere Seite, die so etwas mit regierungskritischen Medien immer schon gemacht hat – auch und gerade in Russland. Der letzte vom Staat unabhängige Sender Russlands namens TW-6 wurde im Januar 2002 von russischen Behörden abgeschaltet. Gegen Mitternacht stellte man den regierungskritischen Journalisten einfach Telefon und Strom ab.
Wollen wir diesen Punkt auch in Deutschland erreichen? Ich jedenfalls nicht. Und ich bin kein Zuschauer von RT, das dürfen Sie mir glauben.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs. Heute leitet der Christdemokrat die Internet-Zeitung „The Germanz“. Dieser Beitrag ist zuerst dort erschienen.
Bild: fifg/ShutterstockText: Gast
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