Ein Gastbeitrag von Josef Hueber
Es gibt nur einen Knigge für angemessenes Verhalten. Nicht so im Haltungsjournalismus. Dessen Variante ist Orwells Farm-der-Tiere-Gesetz entnommen. Es lautet: Linke Köpfe gut, rechte Köpfe schlecht.
Die berechtigte Kritik an der Konfrontation Altmaiers mit der Journalistin Rebecca Sommer führt übergangslos zu einem Rundumschlag gegen die AfD im Podcast der FAZ vom 20. November. Sie sei eine rein destruktive Oppositionspartei, die nicht akzeptieren wolle, dass sie nicht an der Macht sei.
Unsere tägliche Desinformation – Wie die Massenmedien uns in die Irre führen betitelte 1984 der Journalist Wolf Schneider sein Buch über die Massenmedien und deren „Irreführung“ der Öffentlichkeit durch Information, 1988 bereits in der dritten Auflage. Es hat an Aktualität nichts verloren, wenn nicht deutlich gewonnen. Liest man es 2020, hat man den Eindruck, dass das darin implizierte Ethos journalistischer Öffentlichkeitsarbeit längst nicht mehr maßgebend ist.
Schneider formuliert es so: „Viele Journalisten könnten mutiger, andere könnten redlicher und die meisten könnten misstrauischer sein – das ist die Generalthese des Buches.“
Nicht vorstellbar, dass die darin enthaltenen Beobachtungen und Prämissen sauberer journalistischer Arbeit heutigen Journalistik-Studenten noch zur Lektüre empfohlen, geschweige denn als Pflichtlektüre nahegelegt werden. Die unparteiische, gleichgewichtige Präsentation konträrer politischer Ansichten bzw. Interpretationen von politischen Ereignissen, was bedeutet, „sich nicht gemeinmachen, auch nicht mit einer guten Sache“ (Hans Joachim Friedrichs), ist in den Mainstream-Medien nur noch rudimentär, wenn überhaupt erkennbar. Dass 92 Prozent der ARD-Volontäre grün-rot-rot denken, zeigt, welche Fahrtrichtung ihre Ausbilder eingeschlagen haben und welche Mitfahrer sie bevorzugen. Birds of a feather flock together – Die Gleichgefiederten nehmen sie mit offenen Armen auf.
Der Faktencheck
Der jüngste politische Aufreger um die Vorgänge im Deutschen Bundestag vor der Abstimmung über das „Infektionsschutzgesetz“ ist in der Landschaft medialer Zubringerdienste exemplarisch für die axiomatisch vorgegebene Richtung der journalistischen Gedankenreise. Mustergültig darf dafür die Zeitung stehen, die immer noch von ihrem historisch bedingten Ruf des souveränen intellektuellen Überblicks in puncto Ausgewogenheit und Streben nach Objektivität zehrt. Die Rede ist von der FAZ. Wer sie schon länger beobachtet, stellt fest, dass sie, mittlerweile nicht mehr unmerklich, sondern deutlich wahrnehmbar, den Blinker ihres innen- und außenpolitischen Kurses nach links gesetzt hat, und dieser Blinker leuchtet grün. Dass sie dabei an Schubkraft qua nachlassender Auflage verliert, beunruhigt sie womöglich gar nicht so sehr, nachdem staatliche Subvention existenzgefährdeter Abo-Zeitungen angedacht ist. (Ein Ignorant, wer dabei denkt, dies könnte einen Einfluss auf die Unabhängigkeit der Presse bedeuten.)
Der Überfall auf Altmaier
Was war vorgefallen? Eingeladen in den Reichstag haben zwei AfD-Parlamentarier einige Journalisten. Dass diese zuvor nicht das journalistische Benimmbuch von Claus Kleber oder Steffen Seibert gelesen haben, war den Gastgebern sicher bekannt. Dass sie den Bogen ehrfurchtslosen Benehmens überspannen würden, konnten sie gewiss nicht wissen. Woher auch. Eine gewisse Provokation dürfte ebenfalls gewünscht gewesen sein, sonst hätte man sich gleich auf brave GEZ-Journalisten verlassen können.
Der FAZ-Podcast zu den Vorgängen um Minister Altmaier und andere Parlamentarier, die von AfD-geladenen Journalisten mit teilweise (m.E. nur gegenüber Altmaier!) zugegeben lümmelhaftem Benehmen (im Vorfeld der Abstimmung über das „Bevölkerungsschutzgesetz“) angegangen wurden, verdeutlicht den Verlust ausgewogener Kommentierung durch den Chef der Innenpolitik, Jasper von Altenbockum, und seinen tendenziös ausgerichteten Fragesteller.
Es ist geradezu eine verbale Groteske, wenn man von einem „Überfall“ spricht. Wurde Altmaier physisch bedrängt? Nein. Wurde er rüpelhaft angesprochen? Ja.
Das kurze Gedächtnis und die Doppelmoral der FAZ
Der diesen Vorgängen gewidmete Interview-Beitrag im Podcast wird unter „Folgenotizen“ mit der skandalisierenden Bemerkung geframed, dass die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik „möglicherweise eine(r) der schwärzesten Wochen ihrer Geschichte erlebt hat“.
Dies hört sich an wie das Knappdavor der Abschaffung oder zumindest der Außerkraftsetzung des Parlaments durch einen von Journalisten gesteuerten Putsch. Man fragt sich nach der Kenntnis des Vorgangs (anzusehen hier), ob es nicht eine Nummer kleiner geht.
Die Eingangsfrage an von Altenbockum entlarvt die Doppelmoral hinter der Antwort, da Gedächtnisschwäche wohl ausgeschlossen werden kann: „Haben Sie sowas schon mal erlebt?“ Die Antwort: „Ich glaube, die deutsche Parlamentsgeschichte nach dem Krieg hat sowas noch nicht erlebt.“
Zur Auffrischung des Gedächtnisses darf ein wenig in die Parlamentsgeschichte nach ’45 geschaut werden. Es gab da einen Turnschuh-Abgeordneten, der von sich nachhaltig reden machte. Er schleuderte eine Äußerung von sich, angesichts der die verbale Beschimpfung Altmaiers durch die Journalistin lediglich wie ein unhöfliches Duzen wirkt. Joschka Fischer, später nach dem Marsch durch die Institution Bundestag sogar Vizekanzler, sagte einstens zu dem Präsidenten des Parlaments, Richard Stücklen, dem zweithöchsten Amtsinhaber, jenen denkwürdigen, karrierefördernden Satz: „Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!“
Kollege als ‘Flaschenkopf‘
Weitere Lümmelhaftigkeiten und Beleidigungen präsentierte die SZ im Jahr 2009 in einem Artikel als „Ausrutscher“. Etwa Herbert Wehners Äußerung, der einen Kollegen als „Flaschenkopf“ bezeichnete.
Von Altenbockum, Jahrgang ’62, dürfte von all dem Kenntnis haben. Daran erinnern will er offensichtlich nicht, da dies den verbalen Rüpelhaftigkeiten gegen Altmaier den Geschmack der Ungeheuerlichkeit nehmen würde.
Wie sieht es aus, wenn von linker Seite Parlamentarier in ihrer Gemütlichkeit gestört werden? Da erzählt Vera Lengsfeld, sonst – biographisch bedingt – wahrhaftig keine Freundin von Gregor Gysi: „Zwei Israel hassende linke Aktivisten, die von Abgeordneten der Fraktion der Linken ins Haus geholt worden waren, jagten den Abgeordneten Gysi wegen seiner Israelfreundlichkeit regelrecht durch die Gänge. Gysi musste sich schließlich auf die Toilette flüchten.“
Lengsfeld entlarvt den Doppelstandard journalistischer Hochmoral: „Niemand dachte (nach dem Vorfall mit Gysi) darüber nach, ob nach § 106 Absatz 1 Nr. 2a und §106 Absatz 2 StG, eine Strafbarkeit – Versuch der Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans – zu prüfen sei.“
Als im Juli 2020 in der Innenstadt von Frankfurt ein Mob randaliert, die Polizei angreift und Verwüstungen anstellt, verwenden Politiker die Attribute „grundlos“ und „rätselhaft“, um den chaotischen Vandalismus in seiner Wirkung zu beschreiben. Man bezeichnete die Gewaltchaoten auch als „Partygänger“, nämlich als „Männer“ aus „Frankfurt und Umgebung“.
Zur Klarstellung: Wenn Verächter des Rechts und des Staates mit polizeilicher Gewalt zunehmend nicht in den Griff zu kriegen sind, wenn sie alles blind zusammenschlagen, was ihnen in den Weg kommt, dann wird es Zeit, von oberster politischer Autorität – mit Hilfe der Medien – den Bürgern die Gefährdung der Demokratie vor Augen zu halten. Das geschieht in dieser Deutlichkeit nicht. Stattdessen sieht man – mit Hilfe eben dieser Medien – Demokratie gefährdet, wenn vor einer Aufzugtür ein Minister im Straßenton angepflaumt wird.
Dies ist purer Popanz.
Erklärbar?
Dazu nochmal Orwell: linke Köpfe gut, rechte Köpfe schlecht.
Josef Hueber, geboren in Nürnberg, studierte in München und Exeter (England) Germanistik und Anglistik für das Lehramt an Gymnasien. Die an der Schule verbreiteten Lehrbücher in den weltanschaulich stark bestimmten Fächern durchschaute er lange nicht als das, was sie waren: Transportmittel für linke und grüne Ideologien. Seine Erkenntnis: Better late than never! Das öffentliche Bewusstsein sieht er heute geprägt von Anti-Amerikanismus, Israel-Bashing, Antisemitismus, Umweltalarmismus, Wissenschaftsfeindlichkeit und Selbstverleugnung in Fragen der kulturellen Identität sowie von zunehmenden Angriffen auf die persönliche Freiheit durch den Nannystaat. In zunehmendem Maße pulverisiert man, was als Errungenschaft der Aufklärung gelten darf und deswegen den Alleinanspruch auf Modernität erheben kann.
Seine Begegnung mit Blogs, für die er auch Übersetzungen aus dem Englischen lieferte, stellte den Beginn seiner Tätigkeit als freier Autor dar. Blogs sind für ihn unverzichtbare Augenöffner in nahezu allen aktuellen gesellschaftlichen und politischen Fragen. Er sieht sie als verlässliche Garanten für einen kontroversen Wettbewerb der Meinungen in einer von den Mainstream-Medien beherrschten Diskurshoheit. Im April 2020 erschien sein Buch “Stromaufwärts denken”.
Bild: nitpicker/Shutterstock
Text: gast