Eine meiner Mitarbeiterinnen hat mir heute folgende Links geschickt:
- TAGESSCHAU: „Ein Drittel auf ‚Querdenken‘-Demos rechtsextrem“ und „Ein neuer Extremismus?„
- TAGESSCHAU: „Es entstehen Gegengemeinschaften zur Politik„
„Rechtsextreme Tendenzen werden in der Corona-Protestbewegung stärker, sagt der Jenaer Forscher Matthias Quent. Dabei bilde Antisemitismus den Kitt zwischen den unterschiedlichen Gegnern der Corona-Politik. Quent ist Soziologe und Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena (IDZ) und forscht im nationalen Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Das IDZ wird von der Amadeu-Antonio-Stiftung getragen (…)“.
Die Mitarbeiterin kommentierte die Links wie folgt:
„Der Titel [„Ein Drittel auf ‚Querdenken‘-Demos rechtsextrem“] ist klar manipulativ, weiter unten wird dann relativiert, dass es die Rechtsextremisten sind, die Anschluss suchen. Vorgeworfen wird ‚mangelnde Abgrenzung‘ (wie denn, wenn man sie nicht sieht?) Ich bin richtig empört. Wie viele Antisemiten sind dir in Berlin begegnet? Und wie viele waren wohl bei der Gegendemo?“ Zum Interview mit Quent schrieb sie: „Wie kann man nur so unfassbar dumm (oder manipulativ?) sein!“
Ich antwortete: „Oder beides ;-)))“
Sie hat den Galgenhumor, den ich mir in Russland angewöhnt habe, noch nicht verinnerlicht. Sie schrieb mir zurück: „All die tausenden Demonstranten müssten wegen Verleumdung und übler Nachrede gegen Tagesschau und Quent vor Gericht!“
Ihre Nachrichten im Chat kamen punktgenau, als ich ohnehin dabei war, einen Beitrag über die Protest-Bewegung zu schreiben, der gerade wieder diverse Demonstrationen verboten wurden (siehe hier). Der Soziologe Oliver Nachtwey von der Universität Basel und seine Kollegen Nadine Frei und Robert Schäfer haben eine Studie zum Thema verfasst: Sie basiert auf Befragungen in Telegram-Gruppen, in denen „Querdenker“ oder mit der Bewegung sympathisierende Nutzer aktiv sind. Insgesamt werteten die Autoren 1150 Fragebögen aus.
Wirklich rechtslastig?
Auch wenn die Resultate nicht repräsentativ sind: Sie bringen das Narrativ von den bösen Rechtsextremen, welche angeblich bei den Protesten den Ton angeben, ins Wanken: Dieses Narrativ kann ohnehin nur bei Menschen verfangen, die noch nicht selbst auf solchen Demonstrationen waren. So werde ich etwa nicht vergessen, wie sich am 29. August ein Bundestagsabgeordneter der AfD verärgert von der Kundgebung entfernte, weil ihm die Organisatoren kein Rederecht gewährten; er empfand die Auftritte, in denen auch die AfD massiv kritisiert wurde, als „sehr linkslastig“. Und in der Tat kam man sich in weiten Teilen eher vor wie bei einer Esoteriker- oder Grünen-Veranstaltung.
Diesen subjektiven Einruck bestätigt nun auch die Studie zumindest teilweise: 21 Prozent der „Querdenker“ wählten demnach bei der Bundestagswahl 2017 Grün. 17 Prozent machten bei den „Linken“ ihr Kreuz, und nur 14 Prozent bei der AfD. Bei den Wahlen im nächsten Jahr wollen nun schon 30 Prozent der „Querdenken“-Anhänger für die AfD stimmen. Aber das ist immer noch eine deutliche Minderheit.
„Sozialstrukturell handelt es sich um eine relativ alte und relativ akademische Bewegung. Das Durchschnittsalter beträgt 47 Jahre, 31 Prozent haben Abitur, 34 Prozent einen Studienabschuss, der Anteil Selbstständiger ist deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung“, so Nachtwey. „Querdenken“ sei „eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht, sie ist jedoch enorm widersprüchlich“.
Nach Ansicht von Nachtwey könnte die Bewegung für die Grünen zum Problem werden: „Die Professionalisierung der Grünen, ihre langjährige Regierungstätigkeit, hat auch dazu geführt, dass ein Teil des grünen Milieus sich von dieser Partei nicht mehr repräsentiert fühlt. Vor allem ist das der anthroposophisch-esoterische Teil des grünen Milieus, Menschen also, die der modernen Industriegesellschaft und der Wissenschaftsgläubigkeit kritisch gegenüberstehen.“
Interessant ist, wie viele Medien die Umfrage missbrauchen, um ihre falschen Narrative zu bestätigen. Etwa die BILD, bei der die Lüge und Diffamierung gleich in der Überschrift zu finden ist:
Von denjenigen Menschen, mit denen ich auf den Demonstrationen gesprochen habe, leugnete keiner das Virus. Viele betonten, es sei gefährlich. Nur zweifeln fast alle, ob die Maßnahmen dagegen angemessen sind.
Weiter schreibt Bild: „Dabei fällt eine Einordnung dieser Menschen schwer: Als auf den Gängen des Bundestages rechte Youtuber und Verschwörungstheoretiker Politiker bedrängten und teilweise versuchten, in die Abgeordnetenbüros zu kommen, flatterten auf den Straßen der Hauptstadt Reichskriegsflaggen, Regenbogenflaggen und überlebensgroße Bilder von Mahatma Gandhi einträchtig im Wind.“ Wie die „Bedrängung“ im Bundestag wirklich aussah, können Sie hier selbst sehen.
Und dass die Einordnung schwer fallen kann, liegt vielleicht daran, dass die Kollegen wenig oder gar nicht auf den Demonstrationen anwesend sind. Wer diese verfolgt, kommt nicht umhin zu bemerken, dass sie vorwiegend aus der Mitte der Gesellschaft besteht. Dass sich Wirrköpfe und auch Extremisten darunter mischen, ist ebenso bedauerlich wie auch unvermeidbar bei großen Demonstrationen. Auch bei den Anti-Rassismus-Demos im Sommer waren Gewaltbereite und Linksextremisten mit von der Partie. Nur dass dies bei linken Demonstrationen offenbar kaum jemanden bekümmert.
Laut BILD ist in der Studie keine überdurchschnittliche Fremdenfeindlichkeit und Verharmlosung des NS-Regimes oder ein Hang zum autoritären Denken bei der Protestbewegung zu entdecken. Allerdings, so heißt es, seien antisemitische Stereotype verbreitet. Als solche werden angebliche zionistische Verschwörungen bezeichnet, „die Neue Welt-Ordnung (NWO), die Entstehung von Finanzmarktkrisen oder die Rolle von George Soros“. Wie genau hier der Zusammenhang zu Verschwörungstheorien hergestellt wird, ist aus dem BILD-Bericht nicht ersichtlich. So ist ja Kritik etwa an der Rolle von Soros nicht automatisch antisemitisch motiviert. Umgekehrt könnte die Sympathie von Bundespräsident Steinmeier und Außenminister Maas für die Israel-hassenden Mullahs im Iran durchaus auch den Verdacht des Antisemitismus begründen.
Wie BILD manipuliert, erinnert eher an die Lehrbücher für Agitation als an die für Journalismus. Hier ein Ausschnitt aus dem Beitrag:
Was viele ratlos zurücklässt:
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Wie können scheinbar linke, öko-bewusste und pazifistische Menschen Schulter an Schulter mit Rechtsextremisten demonstrieren?
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Wie können sie den verschwörungstheoretischen Protest von Querdenkern, Holocaustleugnern und Staatsfeinden unterstützen?
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Warum werden Menschen, wie eine 22-jährige Jana aus Kassel, die sich skandalös mit der Widerstandskämpferin Sophie Scholl vergleicht, toleriert?
Drei Lügen in drei Fragen.
Ich sah als Zeuge vieler Demos niemanden, der Schulter an Schulter mit Rechtsextremen marschierte.
Ich sah keine Holocaustleugner auf den Demos.
Der Auftritt der 22-Jährigen in Kassel war unglücklich, aber wie er hier dargestellt wird, ist manipulativ (siehe hier).
Viele Politiker raten dazu, die Protestbewegung vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Wenn ich Artikel wie den zitierten in der BILD lese, frage ich mich, ob der Verfassungsschutz nicht auch auf die Verantwortlichen für solche Berichte ein Auge werfen sollte.
PS: Als Reaktion auf diesen Artikel machte mich eine Kollegin auf die Rolle von Quent aufmerksam. Zitat: „Ich habe den Eindruck, dass dessen Institut nur gegründet worden ist, um Regierungskritiker in die rechte Ecke zu stellen und immer etwas gut klingendes als Quelle dafür zu haben“. Das schreibt Wikipedia über Quent: „Er ist Gründungsdirektor des Institutes für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ), einer außeruniversitären Forschungseinrichtung in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung. Das Institut ist die Umsetzung einer Vereinbarung des 2014 geschlossenen Koalitionsvertrags der Thüringer Landesregierung und nahm zum 1. August 2016 die Arbeit auf.“ Die Landesregierung ist von der umbenannten SED geführt.
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Bild: CNuisin/Shutterstock
Text: br
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