Geschlechtsneutrale Erziehung: Mann oder Frau – nur ein soziales Konstrukt? „Menschen werden in zwei Geschlechter reingepresst“

Von Kai Rebmann

Funk ist ein Gemeinschaftsangebot von ARD und ZDF, weshalb sich die Redakteure des Netzwerks auch keine Gedanken darüber machen müssen, ob die dort gesendeten Inhalte auf die Zustimmung ihres Publikums stoßen. In der vergangenen Woche nahmen sich die Funk-Reporter daher die Freiheit, über das „Konzept“ der geschlechtsneutralen Erziehung zu berichten. Bezeichnenderweise räumen die Macher dieser Folge selbst ein, dass es sich dabei um ein gesamtgesellschaftlich kaum vorhandenes Phänomen handelt. „Die Forschung zum Thema ist ziemlich dünn. Und es gibt einfach noch nicht viele Erwachsene, die von ihren Eltern so erzogen wurden“, heißt es während des Beitrags aus dem Off. Je länger man sich die rund 15-minütige Funk-Reportage ansieht, desto mehr drängt sich der Verdacht auf, dass es die Eltern, allen voran der Vater, sind, die ihrem Kind in unverantwortlicher Weise ihre eigene queere Ideologie aufdrücken wollen.

David
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Der Vater stellt sich – leider kein Witz – als Fin_ja vor und nutzt eigenen Angaben zufolge keine Pronomen. Die Mutter heißt Jule und nutzt als biologische Frau ganz traditionell das Pronomen „sie“. Dann bittet Fin_ja seine mit dieser Frage naturgemäß überforderte dreijährige Tochter Nova, ihm ins Ohr zu flüstern, welches Pronomen sie am häufigsten benutze. Da das Kind nicht weiß, was ihr Vater jetzt genau von ihr hören will, flüchtet es sich in Schweigen. Also gibt Fin_ja die Antwort selbst und teilt dem TV-Publikum mit, dass seine Tochter meistens ebenfalls keine Pronomen benutze. Die Eltern lassen ihr Kind eigenen Angaben zufolge über jeden Bereich des alltäglichen Lebens völlig frei entscheiden, sogar ihren Namen habe Nova sich selbst aussuchen dürfen. Sie wollen ihr Kind „so ein bisschen geschlechtsoffen begleiten, dass wir so alle Pronomen, alle Geschlechter anbieten“, betont Fin_ja. Daher hätten sie Nova nach der Geburt einen geschlechtsneutralen ersten Namen gegeben und einen zweiten geschlechtsspezifischen. Später haben Fin_ja und Jule ihrem Kind dann die drei Varianten Nova, Noa und Nora zur Auswahl angeboten. Nova hat sich dann aber für die vierte Variante Nono entschieden, was die Eltern entgegen ihrer sonst zur Schau gestellten Entscheidungsfreiheit ihres Kindes aber dann doch nicht akzeptierten.

Dass Jule offensichtlich noch ein recht neues Mitglied der Genderblase ist, wird nicht nur an dieser Stelle des Videos deutlich. Nova habe in ihrem Kleiderschrank auch viele „Jungssachen“, erklärt Jule und muss sich dann selbst korrigieren: „Viele blaue Sachen, die mit Jungs assoziiert werden.“ Auf die Frage des Reporters, ob sie denn auch eine Lieblingsfarbe habe, antwortet Nova, wohl sehr zum Missfallen ihrer Eltern, frei heraus: „Ja, Rosa und Pink.“ Tatsächlich darf Nova auch selbst entscheiden, was sie anziehen möchte. Das kann, wie im Video dargestellt, auch mal dazu führen, dass sie drei Oberteile übereinander anzieht. Für Fin_ja steht ohnehin fest: „Also man kann biologisch messen, welche Organe, welche Chromosomen, welche Hormone ein Mensch hat. Aber Geschlecht ist ein soziales Konstrukt.“ Deshalb „supporten“ Fin_ja und Jule die Geschlechtsoffenheit „und nicht diese Stereotypen und das Patriarchale.“ Um ihre Tochter vor dem Patriarchat, in dem „Menschen in zwei Geschlechter reingepresst werden“, zu schützen, schreiben Novas Eltern sogar Kinderbücher so um, dass der Inhalt mit ihrer Ideologie übereinstimmt.

Kita-Erzieherin warnt vor Überforderung des Kindes

Der Funk-Reporter sucht das Gespräch mit Novas Kita-Erzieherin Angela. Aus dem Off ertönt der Hinweis, dass Nova das erste geschlechtsneutral erzogene Kind ist, das diese Kita besucht. Angela erklärt, dass das Geschlecht für Kinder im Alter zwischen zwei und vier Jahren eine eher untergeordnete Rolle spiele, da diese sich noch in der Phase der Identitätsentwicklung befänden. Eine Definition erfolge bei diesen Kindern am ehesten über die äußeren Geschlechtsmerkmale. Wie diese Definition bei den allermeisten Kindern aussieht, beschreibt Angela so: „Ich habe einen Penis, ich bin ein Junge, so wird es eben von Geburt an festgelegt, (oder) ich habe eine Scheide und bin ein Mädchen.“ Damit spricht die Erzieherin eine unbequeme Wahrheit aus, die für Menschen wie Fin_ja und Jule wohl nur ganz schwer zu ertragen ist.

Daneben macht die Kindergärtnerin aber auch deutlich, vor welche Probleme Kinder durch eine geschlechtsneutrale Erziehung gestellt werden. Aus pädagogischer Sicht ist es Angela wichtig, dass die Kinder ihre Körperteile benennen können, was immens wichtig sei, wenn es zu Übergriffen oder Verletzungen beim Spielen im Garten komme. Angela berichtet auch von ihren Beobachtungen, dass das Kind mit Entscheidungen oft überfordert ist. Nova müsse jeden Tag neu entscheiden: „Was möchtest du anziehen? Wie möchtest du heißen? Wer möchtest du sein? Was möchtest du essen? Möchtest du in den Kindergarten oder nicht?“ Die Pädagogin ist sich aber sicher, „dass Kinder auch Erwachsenenführung brauchen und Anleitung brauchen und Orientierung brauchen. Dass jemand sagt: Komm, das ist gut für dich, ich habe das für dich entschieden“.

Eltern verteidigen sich gegen Kritik der Expertin

Mit der Kritik der Erzieherin konfrontiert, geben sich Fin_ja und Jule völlig beratungsresistent. Fin_ja ist der Meinung, dass sie mit ihrer Ideologie auch anderen „Transkindern“ helfen würden, was ihnen besonders wichtig sei. „Transkinder und -jugendliche haben eine richtig schwere Kindheit und Jugend und erfahren sehr viel Gewalt“, glaubt Fin_ja. Daher fordert er einen offeneren Umgang mit dem Thema, da dies letztlich allen Kindern helfen würde. Das „geschlechtsoffene Begleiten“ ihres Kindes führe in ihrem Fall dazu, dass sie Nova mehr als Menschen wahrnehmen. „Wir projizieren weniger ein Bild, wo ist mein Sohn, meine Tochter, mein nichtbinäres Kind, sondern wir sehen viel mehr den Menschen“, beschreibt Fin_ja spannende Innenansichten aus seiner Blase. Die eigentlich vorhersehbare Frage des Reporters, welche Vorteile eine geschlechtsneutrale Erziehung für ein Kind eigentlich habe, bringt Jule merklich ins Schwimmen. Nach vielen Mhms und Ähms fallen Jule dann aber doch noch einige stichwortartig vorgetragenen Argumente ein: „Sich frei zu entfalten, auf andere Menschen frei, offen zuzugehen.“ Mehr fällt Novas Mutter dazu nicht ein.

Dem Funk-Team ist es tatsächlich gelungen, noch einen Sexualwissenschaftler aufzutreiben, der sich für den Beitrag im Sinne der darin vorgestellten Ideologie äußert. Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg hält es potenziell für „problematisch“, wenn Kinder von früh an immer gesagt bekommen, dass sie jetzt ein Mädchen oder ein Junge seien. Er stellt daher die Frage in den Raum, was es eigentlich mit Kindern mache, „wenn wir so sehr früh ihnen klare Geschlechtscharaktere immer schon aufoktroyieren“. Er warnte aber auch vor extremen Formen einer zwanghaften Festlegung auf eine geschlechtsneutrale Erziehung, bei der Eltern ihre eigene Erwartungshaltung letztendlich auf ihre Kinder übertragen. Für die dadurch entstehende Verwirrung macht Voß unsere Gesellschaft verantwortlich: „(Wir) sagen, es gebe nur Mädchen und Jungen, es gebe nur Männer und Frauen. Und da sollten wir ein Stück weit wegkommen.“ Im Übrigen seien es nicht die Kinder, die dadurch verwirrt würden, sondern die Erwachsenen, glaubt Voß.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shutterstock
Text: kr

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