Wirbel um Kleiderordnung an Realschule in Bayern „Recht des Einzelnen hört da auf, wo sich andere gestört fühlen“

Von reitschuster.de

Der Sommer steht vor der Tür und in einigen Regionen Deutschlands ist das Thermometer bereits in dieser Woche auf über 30 Grad geklettert. Da liegt es doch in der Natur der Sache, dass die Wahl der Kleidung dem Wetter angepasst wird, sollte man zumindest meinen können. Wo sich die Herren der Schöpfung für eine kurze Hose und ein T-Shirt entscheiden, greifen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts gerne mal zu einem Rock und einem luftigen, eventuell sogar bauchfreien Oberteil. Was in Deutschland über Jahrzehnte hinweg völlig normal war, hat an der Realschule in Ebersberg (Bayern) vor wenigen Tagen für einen handfesten Streit um die angemessene Kleidung von Schülerinnen gesorgt, wie der Merkur zuerst berichtete. Auslöser der Debatte waren Beschwerden einiger Lehrer, die sich laut Schulleiter Markus Schmidl über die Kleidung einzelner Schülerinnen beklagt hätten. Da an seiner Schule auch Menschen mit Migrationshintergrund unterrichtet würden und es Lehrer aus dem Ausland gebe, müsse man auf „alle Kulturen“ Rücksicht nehmen. Seine Schule stehe für eine „weltoffene Gesellschaft“ und er betonte, dass „das Recht des Einzelnen da aufhört, wo sich andere gestört fühlen“.

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Das Verbot von anstößiger Kleidung sei in der Hausordnung bereits seit dem Jahr 2007 verankert, weshalb der Schulleiter die ganze Aufregung eigenen Angaben zufolge nicht nachvollziehen kann. Andererseits muss sich der Rektor natürlich die Frage gefallen lassen, warum es dann jetzt nach 15 Jahren plötzlich eben diese Aufregung gibt. Man sollte doch davon ausgehen, dass die Schülerinnen in den Monaten Juni und Juli der Vorjahre noch deutlich freizügiger unterwegs waren als dieses Jahr im April oder Mai. Eine mögliche Antwort auf diese Frage könnte die Tatsache liefern, dass Markus Schmidl erst zu Beginn dieses Schuljahres die Leitung der Realschule in der östlich vor den Toren Münchens gelegenen Kleinstadt übernommen hat und seine Vorgänger andere Themen rund um den alltäglichen Schulbetrieb eben für wichtiger erachtet haben. In der vergangenen Woche erklärten sich die Schüler mit einer kreativen Protestaktion solidarisch mit ihren Mitschülerinnen und erschienen teilweise in bauchfreien T-Shirts zum Unterricht. Schmidl bestätigte die Aktion, wies bei dieser Gelegenheit aber darauf hin, dass die Kleiderordnung für „beide Geschlechter“ gelte – und tritt damit in das nächste potenzielle Fettnäpfchen. Schließlich gibt es in der deutschen Gesellschaft gewisse Kreise, in denen die Behauptung, es gebe tatsächlich nur zwei Geschlechter, was Schmidl mit seiner Aussage ja suggeriert, überhaupt nicht gerne gehört wird.

Powerpoint-Präsentationen zur Erläuterung der Kleiderordnung

Um seine Sicht der Dinge zu erläutern, bediente sich Schmidl gegenüber dem Merkur eines sehr überspitzt formulierten Vergleichs: „Schule ist anders als Strand.“ Er habe deshalb die Klassenlehrer angewiesen dieses Thema mit ihren Schülern zu besprechen, was einige sogar mit Powerpoint-Präsentationen getan hätten. Zudem sei die Schule nicht nur zum Lernen da, sondern sei auch ein Ort der Erziehung, um die Kinder auf das Leben vorzubereiten, wozu nach Meinung des Schulleiters auch Rücksichtnahme gehöre. Schließlich habe Corona das Leben für die Pädagogen nicht leichter gemacht. Weshalb Schmidl in diesem Zusammenhang diesen Hinweis für wichtig erachtet hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Über die Kleiderordnung seien schulintern viele Gespräche geführt worden und mit den Schülervertretern und Eltern sei man ohnehin ständig im Dialog.

Letztere wissen davon aber dummerweise nichts oder sie haben bei diesen ständigen Dialogen etwas überhört. Im Merkur kommen einige Eltern zu Wort, die sich darüber beklagen, über die aktuelle Debatte nicht informiert worden zu sein, obwohl sie „sonst wegen jeder Kleinigkeit eine Mitteilung“ bekämen. Eine andere Mutter findet die Argumentation „schwierig“, wenn Lehrer beim Anblick von Mädchen in bauchfreien Tops oder Oberteilen mit einem etwas zu tiefen Ausschnitt „sexuell erregt“ würden.

Schulleiter beruft sich auf „kommunikatives Missverständnis“

Nach der heftigen Kritik von allen Seiten und zahlreichen E-Mails mit teilweise beleidigenden Inhalten will Schmidl von einer Kleiderordnung plötzlich nichts mehr wissen. Der Schulleiter geht dabei sogar so weit, dass er gegenüber der Süddeutschen Zeitung betont, es habe nie eine Kleiderordnung gegeben – sondern lediglich eine Hausordnung, in der darauf hingewiesen wird, dass „keine anstößige oder schulisch unangemessene Kleidung“ getragen werden darf. Es sei wohl zu einem „kommunikativen Missverständnis“ gekommen, da einige Lehrer in ihren Klassen erklärt hätten, dass zu knappe Kleidung in diesem Sommer verboten sei, was einige Schüler als Einführung einer neuen Kleiderordnung interpretiert hätten. Bleibt die Frage, ob diese Lehrer dann ganz von allein auf die Idee gekommen sind, insbesondere ihre Schülerinnen um das Tragen züchtiger Kleidung zu bitten und dies zumindest teilweise sogar mit Hilfe von Powerpoint-Präsentationen getan haben. Auch wenn sich Schmidls Rechtfertigungen mehr nach Ausreden als nach einer wirklichen Entschuldigung anhören, fand Schülersprecher Matthias Spensberger am Ende doch noch einige lobende Worte für seinen Rektor: „Man spürt, dass die Schule mit den Schülerinnen und Schülern zusammenarbeiten will.“

Auch wenn sich die Wogen im Kleiderstreit von Ebersberg inzwischen wohl wieder geglättet haben, bleiben noch einige Fragen offen. Wer entscheidet darüber, welche Kleidung an deutschen Schulen (oder sonstigen öffentlichen Orten) als „anstößig“ oder „unangemessen“ zu bezeichnen ist? Wie weit kann, muss oder darf eine Gesellschaft bei der Integration von Migranten aus einem anderen Kulturraum gehen? Sind es nicht in erster Linie die Migranten, die sich an die Gepflogenheiten in ihrem Gastland anpassen müssen? Mit wieviel Rücksichtnahme oder auch nur Toleranz können etwas leichter bekleidete Frauen oder Homosexuelle, die zu offen zu ihrer Neigung stehen, in anderen Kulturräumen rechnen? Müssen aus falschverstandener Rücksichtnahme auf „alle Kulturen“ demnächst auch Feste wie Weihnachten und Ostern aus dem Kalender gestrichen werden?

Bild: Shutterstock
Text: reitschuster.de

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