Von Kai Rebmann
Am 13. Juli 2022 wurde beim SWR unter dem Titel „Russlanddeutsche – unsere fremden Nachbarn?“ eine Dokumentation über diese Minderheit ausgestrahlt, der in der Bundesrepublik rund dreieinhalb Millionen Menschen angehören. Der SWR beteuert zwar, dass mit der Doku ein möglichst vielfältiges Bild der Russlanddeutschen gezeichnet werden soll, indem er zum Video schreibt: „Aufgewachsen in Sibirien oder Kasachstan, u.a. als Spätaussiedler in den 1990er Jahren hierher gekommen, wollen sie sich nicht mehr länger dafür rechtfertigen müssen, dass sie Deutsche sind. Vielleicht die einzige Gemeinsamkeit, auf die sich die 3,5 Millionen Russlanddeutschen einigen können.“ Wohin die Reise im Laufe der rund 45-minütigen Doku aber wirklich gehen soll, wird bereits im Vorspann deutlich, in dem der SWR die Frage stellt: „Sie wohnen bei uns, sie arbeiten bei uns. Aber gehören sie wirklich dazu?“
Nachdem im rund eineinhalb Minuten langen Einspieler erfolgreich der Eindruck vermittelt wurde, bei Russlanddeutschen handele sich in der überwiegenden Mehrheit um russische Patrioten, die in einer Parallelgesellschaft leben und sich der deutschen Sprache verweigern, setzt der SWR beim Einstieg in die Doku an genau diesem Punkt an. Die Reporter sind zu Besuch bei Familie Shestakov in Rheinhessen, unterhalten sich zunächst mit Marussja Shestakov, einer vierfachen Mutter, die als 16-jährige nach Deutschland gekommen ist, und stellen sie als „russische Patriotin“ und „großen Fan ihrer Heimat“ vor. Ihre beiden ältesten Söhne Vladimir und Dmitrij werden gefragt, ob sie auch deutsche Freunde hätten. Beide verneinen dies und betonen mehrfach, dass sie sich lieber mit Albanern, Türken und anderen Ausländern treffen würden, da diese ohnehin in der Mehrheit seien.
SWR schürt Vorurteile gegen Russlanddeutsche
Natürlich ist es im Rahmen einer solchen Dokumentation alles andere als verwerflich, auch solche Negativbeispiele zu beleuchten. In dem SWR-Bericht fehlt jedoch ein passend austariertes Gegengewicht. Im weiteren Verlauf der Doku wird Marussja Shestakov gezeigt, wie sie (auf Russisch) euphorisch über den „Tag des Sieges“ am 9. Mai spricht, der AfD-Politiker Vadim Derksen vorgestellt oder die kremlfreundliche Journalistin Alina Lipp als Russlanddeutsche bezeichnet. Verschwiegen wird vom SWR, dass Lipp als Tochter einer deutschen Mutter und eines russischen Vaters in Deutschland geboren wurde und damit zwar sowohl russische als auch deutsche Wurzeln hat, aber eben keine Russlanddeutsche im eigentlichen Sinne ist.
Und wenn der SWR gewollt hätte, hätte man neben dem Berliner AfD-Politiker Vadim Derksen auch Ottilie Klein (CDU) oder Natalie Pawlik (SPD) erwähnen können, die für ihre Parteien im Bundestag sitzen. Doch davon erfahren die Zuschauer beim SWR nichts. Und so wird – gewollt oder ungewollt – der Eindruck vermittelt, der gemeine Russlanddeutsche sei ein Anhänger der AfD. Laut einer Studie geben aber nur die wenigsten Russlanddeutschen der AfD ihre Stimme. Für die in der Doku geäußerte Behauptung, Russlanddeutsche fühlten sich vor allem zur AfD oder Linken hingezogen, bleibt der SWR jeden Beleg schuldig.
Die positive Darstellung von bestens in das Leben in der Bundesrepublik integrierten Russlanddeutschen bleibt leider die Ausnahme und wird nach Möglichkeit auch mit einem mehr oder weniger großen „Aber“ versehen. So etwa im Beispiel von Anastasia Dorogov, die als Wärterin in der JVA im badischen Adelsheim arbeitet. Ihr Mann Sergei stamme aus Moskau und lebe noch nicht lange in Deutschland, weshalb Dorogov sich Russland nach wie vor eng verbunden fühle. Als die SWR-Politiker mit dem Paar über Politik sprechen wollen, blockt Dorogov ab: „Bei uns wird Politik nicht besprochen, fertig.“ Anstatt diese Einstellung kommentarlos zu akzeptieren und vielleicht sogar Verständnis für die Vorurteile zu haben, denen sich Russen und Russlanddeutsche in Deutschland gerade in diesen Tagen ausgesetzt sehen, wird dieser Satz aus dem Off in einer vielsagenden Tonlage wiederholt.
Geschichte der Russlanddeutschen begann unter Kaiserin Katharina II.
Die Geschichte der Russlanddeutschen geht auf Kaiserin Katharina II. (Katharina die Große) zurück, die im Jahr 1763 deutsche Bauern einlud, um ihnen Land im Gebiet der heutigen Ukraine zu schenken. Bis zu Hitlers Überfall auf die Sowjetunion im August 1941 war die Zahl der deutschstämmigen Russen auf rund zwei Millionen angewachsen, die Siedlungsgebiete erstreckten sich bis weit in den Kaukasus und teilweise bis ins ferne Sibirien hinein. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Russlanddeutschen in Lager nach Sibirien und ins heutige Kasachstan deportiert. Hunderttausende fanden in den berüchtigten Gulags den Tod. Mit dem Zerfall der Sowjetunion siedelten viele Russlanddeutsche in die Heimat ihrer Vorfahren über und hatten unter anderem Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft.
Es steht außer Frage, dass die Integration der Russlanddeutschen in der Bundesrepublik in einigen Fällen besser gelungen ist als in anderen. Jedoch unterscheidet sich diese Minderheit in diesem Punkt nicht von jeder anderen Gruppe mit Migrationshintergrund. Der SWR hätte eine ähnliche Dokumentation also über jede beliebige Minderheit in Deutschland drehen und im Titel das Wort „Russlanddeutsche“ entsprechend ersetzen können. Zudem beweist der ÖRR-Sender mangelndes Fingerspitzengefühl, wenn er eine derart einseitig gestrickte Doku gerade jetzt ausstrahlt. Mehr als genug in Deutschland lebende Russen und Russlanddeutsche werden auf offener Straße angefeindet, ganz so als ob allein ihre Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer Minderheit sie automatisch zu Befürwortern von Putins Krieg in der Ukraine machen würde. Der SWR missachtet dabei nicht nur das Neutralitätsgebot, das im ÖRR aber ohnehin nur noch auf dem Papier existiert, sondern gießt noch zusätzliches Öl ins Feuer.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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