Schon die Einleitung war aufwühlend. Bevor Anne Will am Sonntag den Regierenden einen Persilschein erteilte („Jetzt ging es wohl nicht mehr anders“), sagte sie zu ihrem Gast Uwe Janssens, er sehe als Chefarzt einer Intensivstation „jeden Tag, was dieses supergefährliche Virus anrichtet dort: Sie haben deshalb vergangene Woche noch einmal eindringlich gefordert, jetzt sofort alles zuzumachen. Jetzt wird es Mittwoch, reicht Ihnen das?“ Noch aufwühlender und emotionaler war die Antwort des Mediziners, der nicht nur Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Kardiologie im St.-Antonius-Hospital Eschweiler unweit des Covid-Epizentrums Heinsberg ist, sondern auch Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI). Die Lage sei dramatisch auf den Intensivstationen wegen Covid-19, beteuerte der Arzt und Funktionär: „Herr Söder hat gesagt, es ist fünf vor zwölf. Wir aus der Intensivmedizin sagen, es ist fünf nach zwölf. Wir haben einen durchdringenden und nachhaltigen Lockdown gefordert.“
Im fernen Baden-Württemberg ließ der Auftritt Janssens‘ dem parteilosen Landtags-Abgeordneten Heinrich Fiechtner keine Ruhe. Da er seit den 1990er Jahren Notfallmediziner ist, rief Fiechtner als solcher beim Klinikum von Janssens in Eschweiler an und erkundigte sich nach den aktuellen Belegungszahlen. Als er die erfuhr, traute er seinen Ohren nicht. Die Auskunft, so Fiechtner, habe ganz anders geklungen als das, was der Professor so emotional und alarmierend vor Millionen Zuschauern vortrug: „Aktuell keine Covid-19-Fälle auf der Intensivstation“. Janssens bestreitet diese Angabe und macht geltend, auf seiner Intensivstation seien zwei COVID-19-Patienten (siehe PS).
„Ich war hoch erstaunt“, berichtet Fiechtner: „Und ich fühlte mich auch bestätigt, denn die Zahlen des offiziellen DIVI-Intensivregisters, in dem die Belegung der Intensivstationen seit Frühjahr 2020 aufgeführt wird, stehen im groben Kontrast zu den Panikmeldungen, die von Politikern, Medien und Ärztefunktionären verbreitet werden, um die teilweise totalitären Maßnahmen der Regierung zu rechtfertigen.“ Die Belegung der Intensivstationen sei seit Monaten fast identisch, die Intensiv-Bettenzahl seit Monaten stark rückläufig, so der Notfallmediziner, der für die AfD in den Landtag einzog und inzwischen aus der Partei ausgetreten ist: „In Baden-Württemberg haben wir ein Minus von rund 1000 Intensivbetten seit August, was angesichts der Alarmmeldungen und der vorgegebenen Bettennot doch mehr als erstaunlich erscheint.“
„Erst als die Kollegin am anderen Ende der Leitung merkte, dass der Anrufende nicht so ganz auf Linie ist, betonte die Notfall-Ärztin, dass auf den anderen Stationen viele Covid-19-Patienten lägen. In den vergangenen Zeiten seien oft vier oder fünf Corona-Patienten auf der Intensivstation gewesen“, berichtet Fiechtner über das Telefonat. Das Klinikum von Janssens hat demnach 19 Intensivbetten. Auf Frage von Fiechtner, ob Covid-19-Verdachtsfälle auch auf Influenza, also Grippe getestet würden, sagte die Ärztin, das würde routinemäßig so stattfinden. Auf die Frage nach dem Ct-Wert bei den Covid-Tests antwortete die Ärztin, dieser würde festgestellt. Fiechtner bezweifelt diese Aussage: „Ich habe bislang von keinem Labor gehört, das den Ct-Wert bei den Tests durchgehend angibt.“
Die Notfallärztin in Janssens Klinik sagte laut Fiechtner, die Situation sei jetzt kritischer als im Frühjahr. Wenn jemand im Krankenhaus sei mit Covid-19, aber nicht auf der Intensivstation, so sei der Grund für so eine Einweisung in der Regel, dass die Ärzte Komplikationen für möglich halten. „Hier wäre aber auch zu prüfen“, so Fiechtner, „wie es sich da mit der Vergütung verhält, ob möglicherweise finanzielle Anreize bestehen, einen Corona-Patienten aufzunehmen, zu behandeln, oder gar in die Intensivstation zu verlegen und zu beatmen.“ So würden etwa im ambulanten Bereich die Tests extra vergütet, für Kassenärzte gebe es für Corona-Patienten im Gegensatz zu anderen Behandlungen ungekürzte Bezüge.
+++ Aktualisierung, 14.12.20, 13.14 Uhr +++
Nach diesem Artikel kam es zu folgendem Briefwechsel zwischen den Ärzten Fietchner und Janssens:
Sehr geehrter Herr Fiechtner,
nach Ihrem unverschämten Anruf gestern Abend in meiner Klinik, wo Sie sich unter fälschlichen Aussagen Zutritt zu Informationen verschafft haben, die so nicht stimmen und diese dann auch noch weiter verbreitet haben, möchte ich Sie um ein Gespräch bitten.
Um es klar zu stellen: Wir behandeln auf unserer Intensivstation derzeit COVID-19 Patienten und andere schwerkranke.
Das geht Sie aber gar nichts an!
Ich weise Sie darauf hin, dass ich in der Sendung Anne Will gestern Abend als Präsident der DIVI gesprochen habe und nicht als Chefarzt der hiesigen Klinik.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. med. Uwe Janssens
Dr. med. Heinrich Fiechtner MdL
Onkologe, Palliativmediziner
Sehr geehrter Herr Fiechtner,
die von Ihnen erlangten Informationen stimmen nicht.
Zum Zeitpunkt Ihres Anrufes lagen 2 COVID-19 Patienten auf der ITS, die im übrigen auch mit anderen Patienten voll belegt war um die wir uns auch kümmern müssen.
Warum ich allerdings mit Ihnen nur in Gegenwart von Journalisten sprechen darf erschliesst sich mir nicht gänzlich. Scheuen Sie ein Gespräch?
Mit Interesse habe ich Ihre Reden im Parlament mir angehört.
Freundliche Grüße
Janssens
Bild: Screenshot ARD/Anne Will
Text: red