Von Kai Rebmann
Jetzt also auch „3Sat“. Dort, wo dem eigenen Verständnis zufolge „Kultur auf Wissenschaft trifft“. Der öffentlich-rechtliche Verbundsender der entsprechenden Anstalten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz setzt zum Zurückrudern an. Gleich zu Beginn kommt der Journalist und Autor Marcus Klöckner zu Wort, der sich wie Millionen andere Deutsche als „Corona-Leugner“, „Aluhutträger“ oder Schlimmeres bezeichnen lassen musste. Diese und weitere Erfahrungen hat Klöckner in einem Buch dokumentiert. Beim Verlesen einiger Zitate gefriert einem das Blut in den Adern:
„Es wird höchste Zeit, dass die Impfpflicht kommt.“
„Es ist asozial, sich nicht impfen zu lassen.“
„Was es jetzt braucht, ist nicht mehr Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Einer, der die Gesellschaft spaltet.“
„Kein Impfgegner wird wie ein Staatsfeind behandelt. Er darf, nur hoffentlich, bald nicht mehr unter die Leute gehen, weil er ein gefährlicher Sozialschädling ist.“
Diese Sätze stammen aus dem Buch „Möge die gesamte Republik mit dem Finger sie zeigen“ und durften im „besten Deutschland aller Zeiten“ ungestraft genau so gesagt werden – immer und immer wieder. Es mutet fast wie eine Ironie der Geschichte an, dass es das Werk zum „Spiegel-Bestseller“ schaffte. Denn der Titel ist, wenn man so will, eine Hommage an Nikolaus Blome, der diese Forderung schon am 7. Dezember 2020 – also noch bevor die erste Nadel gesetzt worden war – ausgerechnet in einer „Spiegel“-Kolumne ausgesprochen hat. In eben diesem Artikel wollte Blome „ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten“.
Tür zur Versöhnung steht offen
Marcus Klöckner hat sich in den Wirren der Corona-Jahre dazu entschieden – oder sah er sich zu diesem Schritt gezwungen? – Deutschland den Rücken zu kehren. Inzwischen lebt er im Ausland. Dennoch reicht der Autor den Lautsprechern der Impf-Fraktion die Hand: „Versöhnen kann man sich, wenn zuvor klar Schiff gemacht wurde, wenn alles auf den Tisch gelegt wurde. Es geht einfach darum, auch zu signalisieren, dass das, was einige sich hier geleistet haben – mit dieser unfassbaren Gewalt – das darf sich in einer Demokratie nicht mehr wiederholen.“
Auch für das FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki wirkten die vergangenen Jahre wie eine Zäsur. Verunglimpfungen als „Rechtsradikaler“ oder „Verschwörungstheoretiker“ waren noch einige der harmloseren Anfeindungen, die der Vizepräsident des Deutschen Bundestages aufgrund seiner im wahrsten Sinne des Wortes liberalen Einstellung zum Thema Impfung über sich ergehen lassen musste. Gegenüber 3Sat sagt Kubicki:
„Ich dachte immer, unsere Demokratie, unser Rechtsstaat, ist gefestigt und wir sind gefeit gegen totalitäre Einschränkungen. Und in der Corona-Krise hat sich gezeigt: Das stimmt nicht, wir sind nach wie vor ein Volk, was sehr gerne bereit ist – wenn man ihm mit ganz bösen Dingen droht – totalitäre Maßnahmen hinzunehmen.“
In dem Beitrag wiederholt der FDP-Politiker seine drängendsten Fragen, die er auch immer wieder im Bundestag gestellt hatte, dabei aber regelmäßig auf taube Ohren gestoßen war: „Wie konnten fundamentale demokratische Prozesse ausgehebelt werden? Wie konnte es sein, dass wesentliche Entscheidungen nicht mehr im Parlament getroffen worden sind, sondern in Hinterzimmern? Warum wurden nicht Wissenschaftler gehört, die nicht Virologen waren oder Epidemiologen? Zum Beispiel bei der Frage, was passiert mit Kindern, wenn man die ein Jahr aus den Schulen ausschließt?“
‚Es wurde ein falsches Bild von diesem Impfstoff vermittelt‘
Die Antwort auf all die Fragen ist so schlicht wie erschreckend. Nachdem sich die Politik schon zu einem erstaunlich frühen Zeitpunkt auf härteste – und fast überall auf der Welt wie orchestriert wirkende – Maßnahmen festgelegt hatte, gab es bald kein Zurück mehr. Also holten sich die Verantwortlichen genau diejenigen Experten ins Boot, die eben diese Maßnahmen mit vermeintlich wissenschaftlich fundierten Aussagen zu untermauern bereit waren. Im Gegenzug rückten zuvor weitgehend unbekannte Leute wie Melanie Brinkmann oder Viola Priesemann aus der fünften Reihe ins dauerhafte mediale Rampenlicht. Eine klassische Win-Win-Situation also.
Hendrik Streeck, Virologe an der Uniklinik Bonn, hält solche Konstellationen für hochproblematisch: „Diese Verwebung von Politik und Wissenschaft und vielleicht auch wissenschaftlichen Stellungnahmen, die der Politik zu dem Zeitpunkt gelegen kommen; ich glaube, das sind Wege, die wir aufarbeiten müssen.“
Streeck gehörte zu den wenigen Experten, die den „Impfstoff“ schon bei dessen Zulassung nicht als vermeintlichen Ausweg aus der „Pandemie“ angesehen haben, sondern eher als Irrweg. Ähnlich wie bei den Maßnahmen, findet der Virologe auch bei dieser Frage sehr klare Worte: „Da wurde sowohl von der Pharmaindustrie als auch Wissenschaft und Politik ein falsches Bild von diesem Impfstoff vermittelt. Der Impfstoff hat nur die Eigenschaft, dass man sich selber schützt vor einem schweren Verlauf, aber er schützt nicht vor der Infektion und bietet dadurch auch keinen Schutz den anderen.“
Als viertes Rad am Wagen wären an dieser Stelle eigentlich die Medien zu nennen, worauf man bei 3Sat aus wohl guten Gründen aber verzichtet. Denn klar ist auch: Nur dank der täglichen Dauerbeschallung mit Inzidenzen, Todesfällen (an/mit) und Horror-Prognosen aller möglichen „Experten“ konnte bei der Bevölkerung das gefühlte Bewusstsein verankert werden, dass diese in einer „Pandemie“ lebe. Inzwischen wurde mehrfach eingeräumt, dass es eine Überlastung des Gesundheitssystems – und um nichts anderes sollte es bei den Maßnahmen vordergründig gehen – nie gegeben hat. Ohne mediales Dauerfeuer wäre die „Pandemie“ von den meisten Menschen wohl eher als – vielleicht etwas schwerere – Grippewelle wahrgenommen worden.
Kommando zum allgemeinen Zurückrudern
Zu jenen, die sich im sicheren Gefühl, mit dem Strom zu schwimmen, sehr weit aus dem Fenster gelehnt haben, gehört auch Ranga Yogeshwar. Der Wissenschaftsjournalist wurde durch verschiedene ARD-Formate bekannt und hat sich ebenfalls für die Kampagne der Bundesregierung einspannen lassen. „Weil Impfen einfach schlauer ist“, warb der Luxemburger damals für den Stich.
Heute gibt sich Yogeshwar geläutert: „Ich hätte kritischer sein müssen in Bezug auf offizielle Stellen. Ganz konkret zum Beispiel die Art und Weise, wie auch ein, zwei Jahre nach der Pandemie mit Daten umgegangen wird. Das finde ich, ehrlich gesagt, bis heute nicht okay.“ Es habe Maßnahmen gegeben, die er „im Nachhinein“ als „absurd“ bezeichne. Als Beispiel nennt der Autor etwa das Verbot, sich auf Parkbänke zu setzen. Es spricht für sich und die Größe der zuvor getragenen Scheuklappen, dass ein mehrfach ausgezeichneter Wissenschaftsjournalist erst „im Nachhinein“ zu einer solchen Erkenntnis gelangt.
Rückblickend bedauere er, nicht früher „die Fahne gehoben“ und gesagt zu haben: „Moment mal! Reden wir hier von Wissenschaft und der tatsächlichen Möglichkeit einer Infektion oder wird plötzlich hier ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen?“
Juristische Aufarbeitung
Weder wurde „plötzlich“ noch nur „ein bisschen“ übers Ziel hinausgeschossen. Die massiven Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte sind in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellos. Noch vor drei Jahren hätte man einen solchen Totalitarismus allenfalls mit Ländern wie China oder Nordkorea in Verbindung gebracht. Ganze Heerscharen von Juristen werden noch jahrelang ihre helle Freude an der Aufarbeitung der hierzulande betriebenen Corona-Politik haben.
Die Rechtsanwältin Jessica Hamed wirft der deutschen Justiz – und insbesondere den Richtern – „Hasenfüßigkeit“ vor. Diese hätten sich an „die großen Fragen einfach nicht herangetraut“. Und so verkam selbst das ehrwürdige Bundesverfassungsgericht unter dem Einfluss des Merkel-Zöglings Stephan Harbarth zur willigen Stempelmaschine der Corona-Maßnahmen-Fetischisten. Die meisten Richter hätten ihren Beruf ergriffen, weil sie Entscheidungen treffen wollten, so Hamed: „Und als es darauf ankam, wie vielleicht noch nie davor, wollten sie nicht mehr entscheiden.“
Mit anderen Worten: Das Grundgesetz wurde in deutschen Gerichten als eine Art „Schön-Wetter-Gesetz“ ausgelegt. Richtig ist hingegen: Das Grundgesetz wurde von seinen Vätern ersonnen, um gerade in Krisenzeiten zu gelten. Die dort verbrieften Rechte gelten immer und unter allen Umständen. Eine Außerkraftsetzung ist in einem funktionierenden Rechtsstaat – eigentlich – an sehr hohe Hürden gebunden. Auch in dieser Hinsicht haben sich die Medien mitschuldig an der Verfolgung von Freiheitsaktivisten gemacht.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog. Bild: ShutterstockMehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de