Ein Gastbeitrag von Elias Huber
Ein Journalist sollte beide Seiten zu Wort kommen lassen, ihnen etwa gleich viel Raum geben, die stärksten Argumente beider Seiten darstellen – und sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten, wie das der Tagesthemen-Moderator Hanns Joachim Friedrichs einmal formuliert hat. Soweit die Theorie.
Die Praxis sieht oft anders aus. Gerade etwa stilisieren die großen Medien die AfD zum “rechtsextremen Verdachtsfall”. Unter Berufung auf Sicherheitskreise berichten FAZ und das Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass der Verfassungsschutz die AfD in der kommenden Woche zum Verdachtsfall erklären könnte. Der Inlandsgeheimdienst dürfte somit Politiker der Partei überwachen und Informanten innerhalb der Partei anwerben. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland zitiert einen Landesinnenminister, laut dem “große Einigkeit” unter den Entscheidern herrsche. Bundesinnenminister Seehofer sei “mit im Boot”.
Was viele Medien aber verschweigen: Erst am Montag veröffentlichte die AfD eine “Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität”. Darin erklärt die Partei, alle Menschen mit deutschem Pass gehörten zum Staatsvolk. Dabei spiele keine Rolle, ob jemand vor kurzem eingebürgert worden sei oder aus welchem Land er stamme. Denn: “Er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten.”
Gleichwohl sei es ein legitimes politisches Ziel, “das deutsche Volk, seine Sprache und seine gewachsenen Traditionen langfristig erhalten zu wollen”. Damit stehe die AfD im Einklang zum Bundesverwaltungsgericht. Das sehe das politische Ziel, die geschichtlich gewachsene nationale Identität erhalten zu wollen, nicht im Widerspruch zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Unterschrieben haben die Stellungnahme etwa 30 Spitzenpolitiker, darunter auch ausgerechnet das Feindbild Nr. 1 vieler Journalisten – Björn Höcke.
In der Berichterstattung bleibt die Erklärung jedoch eine Randnotiz – obwohl sie offensichtlich auch an den Verfassungsschutz gerichtet ist, den die AfD in der Einleitung des Textes erwähnt. Der Verfassungsschutz hatte den Flügel im Jahr 2020 zu einer rechtsextremistischen Bewegung erklärt – unter anderem mit der Begründung, seine Vertreter würden einem biologisch-ethnischen Volksbegriff anhängen.
Die Presse müsste also – getreu dem Grundsatz, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen – die Erklärung ausführlich zitieren. Doch sucht man bei Google News nach entsprechenden Berichten, erhält man kaum Treffer – Ausnahmen sind der Deutschlandfunk und die Süddeutsche Zeitung. Die meisten Medien verschweigen die Erklärung – etwa die Zeit, die Tagesschau und das ZDF – oder erwähnen sie am Ende des Artikels, wo viele Leser bereits ausgestiegen sind.
Bei dem Streit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz geht es auch um die Frage, ob es verfassungsfeindlich ist, das deutsche Volk in einem ethnisch-kulturellen Sinn bewahren zu wollen. “Der Verfassungsschutz meint, dass die Verwendung des ethnisch-kulturellen Volksbegriffs unvereinbar mit der Menschenwürdegarantie und daher ein Beleg für verfassungsfeindliche Bestrebungen sei”, erklärt Dieter Murswiek gegenüber reitschuster.de. Diese Sicht sei falsch, sagt der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg. Murswiek hat bereits verschiedene Parteien in Verfassungsschutz-Fragen beraten, darunter zurzeit auch den AfD-Bundesvorstand. Er sagt: “Unvereinbar mit dem Grundgesetz wäre es lediglich, das ethnisch-kulturell verstandene Volk mit dem Staatsvolk gleichzusetzen und Staatsangehörige mit anderer ethnischer Zuordnung auszuschließen oder diskriminieren zu wollen.” Dies tue die AfD aber nicht, wie ihre gerade veröffentlichte Erklärung erneut zeige.
Der Verfassungsschutz wollte gegenüber reitschuster.de Medienberichte, laut denen die AfD in der kommenden Woche Verdachtsfall wird, nicht kommentieren.
Die AfD reichte unterdessen zwei Klagen und zwei Eilanträge beim Verwaltungsgericht Köln ein, wie am Freitag bekannt wurde. Zum einen will die Partei dem Verfassungsschutz verbieten, sie als Verdachtsfall einzustufen und das öffentlich zu machen. Zum andern möchte die AfD verhindern, dass der Verfassungsschutz die Zahl der Mitglieder des Flügels vor und nach dessen Selbstauflösung veröffentlicht. Eine Sprecherin des Gerichts kündigte für Montag eine Zwischenentscheidung an.
Derweil berichtete die Junge Freiheit am Mittwoch über ein geleaktes Dokument des Berliner Verfassungsschutzes, das der Berliner AfD einen “Persilschein” ausstelle. Laut dem Dokument übt der Flügel einen sehr kleinen Einfluss auf die Berliner AfD aus. Es seien “keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen” ersichtlich, die eine Erhebung zum Verdachtsfall rechtfertigen würden, schreiben die Verfassungsschützer darin.
Ein Sprecher des Innensenators Andreas Geisel erklärte der Berliner Zeitung, es handele sich um den Entwurf eines Zwischenberichts mit “methodischen Mängeln”. Die Senatsverwaltung werde Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Geheimnisverrats stellen. Außerdem kündigte er “personelle Konsequenzen” in der Abteilung des Berliner Verfassungsschutzes an, die den Bericht erstellt hatte.
Bild: knipsdesign/Shutterstock
Text: eli
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