Zu meinem kritischen Bericht über die erfundenen Antisemitismus-Vorwürfe des Musikers Gil Ofarim bekam ich folgende Zuschrift von Hans-Hasso Stamer – der mir vorhält, ich hätte wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt. Da ich nie einen Anspruch darauf erhebe, im Besitz der Wahrheit zu sein, und meine Leser selbst immer bitte, auch gegenteilige Meinungen anzuhören bzw. zu lesen, möchte ich hier gerne den Kommentar von Hans-Hasso Stamer in voller Länge wiedergeben – auch wenn ich anderer Meinung bin als er. Zum einen, weil ich ihn und seinen kritischen Blickwinkel generell schätze. Zum anderen, weil er Aspekte aufbringt, die ich so noch nirgends gelesen habe.
Stamer ist vom Fach. Denn er ist nicht nur Diplomingenieur und Blogger („Splitter & Balken“) – sondern auch Musiker. Und war als solcher in der DDR bekannt. Stamer ist ein Leser der ersten Stunde meines Blogs und ein Demokrat, wie er im Buche steht – obwohl (und vielleicht auch weil) wir nicht in allem einer Meinung sind, verbindet uns inzwischen eine intellektuelle Freundschaft, und ich mag seinen kritischen Geist – gerade auch da, wo er mir widerspricht. Aber genug der Vorrede – hier sein Kommentar:
Richtig ist, dass die Sache unerträglich aufgebauscht wurde. Aber meiner Meinung nach gibt es noch einen Aspekt, der nicht betrachtet wurde.
Ofarim fühlte sich zurückgesetzt (oder wurde auch zurückgesetzt), auf jeden Fall stand er unter Stress. Der Hotelangestellte hatte einen renitenten Gast, so etwas ist immer gefährlich, er stand also auch unter Stress.
Und jetzt kommt eine Sache, die noch niemand betrachtet hat: Wir sind in Sachsen! Und Ofarim ist irgendwo her, aber nicht aus Sachsen. Leute unter Stress sprechen stärker Dialekt und weniger hochdeutsch, als man es sonst in Hotelrezeptionen tut. Und Ofarim war „wundgescheuert“, ich bezweifle nicht, dass es antisemitische Bemerkungen vorher in seinem Künstlerleben gegeben hat und dass er in dieser Hinsicht überempfindlich war oder auch empfindlich, je nach Sichtweise.
Für mich ist das Wahrscheinlichste, dass da ein leicht narzisstischer Künstler (das sind die meisten, ich habe da schon unglaubliche Arschlöcher kennengelernt, einen auch in Leipzig, wo ich eine Zeit lang gelebt habe), dass Ofarim etwas gehört hat, was der Angestellte nicht gesagt hat. Unter den schwierigen akustischen Bedingungen in der Hotellobby des Hotels (kenne ich aus DDR-Zeiten) wäre das kein Wunder, der Stress kommt dazu und Dialekt spricht man unter Stress. Im Osten ist Dialekt mehr verbreitet als im Westen. Missverständnisse sind da fast zwangsläufig.
Demnach hätten einfach beide recht. Das Ding ist blöd gelaufen, wie so vieles im Leben. Ofarim war so beleidigt, dass er diesmal das, was er zu hören geglaubt hatte, nicht herunterschlucken wollte. Und so nahm das Unheil seinen Lauf.
Häme gegen einen „erfolglosen C-Promi“ verbietet sich. Dieses Geschäft ist so schwierig und glücksbeladen, dass der äußere Erfolg kein Kriterium ist. Die Frage ist nur: Ist der Mann in seinem Job professionell? Und das ist er zweifellos.
Ich war nicht dabei. Aber ich war auch 20 Jahre lang Musiker und ich kann es mir verdammt gut so vorstellen. Samt unglaublich gehässigem Kommentar in der Bild-Zeitung. Solche ganz speziellen „Freunde “ in den Medien hatte ich in der DDR auch. Aber auch echte Freunde. Einen habe ich heute noch. Er war mein Produzent.
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