Ein Gastbeitrag von Benjamin Mudlack
Die Preissteigerungen in den für den Immobilienbau relevanten Faktormärkten haben die ursprünglich angestellten Kalkulationen zunichtegemacht. Gesamte Neubauprojekte wurden deshalb auf Eis gelegt. Heizungszwangsgesetz und Sanierungszwang haben den Markt zusätzlich massiv verunsichert und ihn, ebenso wie die Leitzinsanhebung von null auf 4,5 Prozent durch die Europäische Zentralbank, zum Austrocknen gebracht. Der chinesische Immobiliengroßkonzern Evergrande ist pleite und wird liquidiert. In Europa erschüttert die Insolvenz der Signa Gruppe des bekannten österreichischen Immobilienunternehmers René Benko die Branche.
Die „Wirtschaftswoche“ schrieb jüngst von der größten Wertevernichtung im Immobiliensektor seit dem Zweiten Weltkrieg. Da eine derartige Situation nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner schafft, ergibt es Sinn, die Angelegenheit differenzierter zu betrachten.
Wert ist subjektiv und Preis vorläufig
Seit Carl Mengers subjektiver Werttheorie wissen wir, dass Wert und Preis zwei verschiedene paar Schuhe sind. In der herkömmlichen Medienlandschaft werden diese Begrifflichkeiten fälschlicherweise eher synonym verwendet.
Eine Wertbeimessung ist höchst subjektiv, sie hängt mit den individuellen Zielen und Präferenzen eines Menschen zusammen. Einer Person kann ein teurer Sportwagen viel wert sein und einer anderen Person eben nicht. Diese beiden Menschen würden keinen Marktpreis erzielen können, weil ihre Wertbeimessung nicht auf Basis eines Güteraustausches – Geld gegen Auto – darstellbar wäre. Es kommt keine Austauschbeziehung zustande.
Eine individuelle Wertbeimessung ist folglich höchst unterschiedlich. Wenn die eine Person den Sportwagen verkaufen möchte, dann gibt sie auf Basis ihrer subjektiven Werteinschätzung über diverse Plattformen oder Online-Marktplätze ein Verkaufsangebot ab. Sollte der Verkäufer zügig den Verkauf vollziehen wollen, wäre es ratsam, sich an der Realität zu orientieren. In dem Fall könnte er nachsehen, ob und zu welchem Preis ein vergleichsbares Fahrzeug den Besitzer gewechselt hat. Allerdings ist dieser zustande gekommene Marktpreis ein Vergangenheitsergebnis und keine Garantie für das Zustandekommen einer weiteren Transaktion. Der Verkaufswillige benötigt eben einen Gegenpart, der dazu bereit ist, das Auto dieser Art und Güte zu dem Verkaufsgebot zu kaufen. Dann ist ein Marktpreis entstanden und auch dieser ist dann ein historischer Preis.
Wichtig zu unterscheiden ist zudem noch, ob der jeweilige Markt liquide ist oder nicht. Je spezieller das Gut, zum Beispiel ein Oldtimer, desto illiquider ist in der Tendenz der jeweilige Gütermarkt. Je liquider ein Markt ist, desto mehr Transaktionen finden statt und desto größer ist die Zahl der Verkaufs- und Kaufgebote. Ein durch ausreichend Liquidität und Transaktionen gesättigter Markt ist deutlich transparenter und besser einzuschätzen. Aber eine Markteinschätzung findet stets unter der Ungewissheit der Zukunft statt.
Nominalwertillusion und künstlich niedrige Zinsen
Die übermäßige Geldschöpfung gaukelt den Kapitalmärkten ein irreales und zu hohes Spar- und Investitionsangebot vor. Durch dieses Überangebot wird der Zins künstlich herabgesenkt. Er befindet sich deutlich unter einem Niveau, das sich bei einem Marktzins einstellen würde. Parallel dazu haben die Zentralbanken den Leitzins zeitweise auf null Prozent gesenkt. Durch die Herabsenkung des Zinses steigen die Barwerte für Immobilien und in der Folge die Immobilienmarktpreise. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch die gestiegene Geldmenge. Allein im Euro-Raum hat sich die Geldmenge von 4.667 Milliarden Euro im Jahr 1999 auf aktuell über 16.000 Milliarden Euro ausgedehnt. Die gestiegene Geldmenge trifft auf ein mehr oder weniger konstant gebliebenes Immobilienangebot. Denknotwendig steigen dann die Preise. Allerdings steigen sie nur zwingend dann, wenn man in Euro, US-Dollar und Co rechnet – also in Geld- oder Nominalwerten. Auch wenn die Substanz Jahr für Jahr gemäß den Berechnungsmethoden der Immobiliengutachter dahinschwindet, in der Nominalwelt steigen die Preise. Der Boom und die scheinbar nicht enden wollende Party endeten doch irgendwann.
Das Zerplatzen der nominalwertillusorischen Spekulationsblase
Das Spiel der ständig steigenden Preise geht so lange gut, bis eine Krise aufzieht. Drei zentrale Faktoren lassen sich ausmachen.
Erstens: Die Preise für Baumaterialien, für Arbeitskräfte, für Handwerker und so weiter verteuerten sich so sehr, dass die Kalkulationen der Immobilienunternehmen nicht mehr aufgingen. Aus geplanten Gewinnen werden Verluste. Der Boom schlägt in einen Bust um. Es kommt zu Pleiten und zur Aufgabe von Projekten.
Zweitens: Der Markt für Bestandsimmobilien wurde durch Heizungs- und Sanierungszwang schwer erschüttert. Er trocknete aus, die Transaktionen waren stark rückläufig. Die Marktpreise brachen ein.
Drittens: Die niedrigen Zinsen und das übermäßige Geldangebot hatten die Immobilienblase und Blasen in anderen Vermögensgütermärkten entstehen lassen. Nach der Phase der Teuerung hob die Europäische Zentralbank den Leitzins innerhalb von circa zwölf Monaten von null auf 4,5 Prozent an. Mit diesen Zinsanhebungen wurde die Blase endgültig aufgestochen.
Immobilienunternehmen mussten Insolvenz anmelden. Das Unternehmen von René Benko und seine diversen bekannten Projekte wie zum Beispiel der Elbtower in Hamburg sind als prominente Beispiele zu nennen. Gewinner sind die Marktteilnehmer, die sich jetzt aufgrund der Notsituation zu vergleichsweise moderaten Preisen in den Markt einkaufen können.
Auswirkungen auf die Bankenlandschaft
Vergangene Woche warnte die Bankenaufsicht vor Schwierigkeiten im Bankensektor aufgrund des Preisverfalls im Immobilienbereich. Die Immobilienunternehmen und -besitzer unterhalten Kredite bei den Banken. Je geringer der Eigenkapitalanteil, desto größer sind die Risiken für Banken und Immobilienbesitzer. Die Kredite sind zentral auf Basis der Werthaltigkeit der Immobilien besichert. Die Banken aktivieren die Objekte als Vermögenswerte in ihrer Bilanz und schöpfen auf der Passivseite der Bilanz neues Geld, das sie als sogenannte Hypothekardarlehen an die Immobilienbesitzer weitergeben.
Solange die Werthaltigkeit der verpfändeten Immobilien und anderer Vermögenswerte gewährleistet ist, sind keinerlei Probleme zu erwarten. Kommt es zu einem Preisverfall an den Immobilienmärkten, setzt sich eine Kettenreaktion in Gang. Mit zu geringem Eigenkapital ausgestattete Immobilienprojekte werden zu faulen Krediten. Das geschieht beispielsweise dann, wenn der Markt um 30 Prozent einbricht und das Projekt nur mit 20 Prozent Eigenkapital umgesetzt wurde. In diesem trivialen Beispiel lässt sich ohne die Berücksichtigung zwischenzeitlicher Tilgungen eine Deckungslücke von zehn Prozent ausmachen.
Sonderkündigungsrecht der Banken könnte Talfahrt am Immobilienmarkt beschleunigen
Für den Fall einer Unterdeckung nach der Finanzkrise wurde ein neues Gesetz (Paragraph 490 BGB) verabschiedet. Absatz 1 lässt sich wie folgt zitieren: „Wenn in den Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers oder in der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit eine wesentliche Verschlechterung eintritt oder einzutreten droht, durch die die Rückzahlung des Darlehens, auch unter Verwertung der Sicherheit, gefährdet wird, kann der Darlehensgeber den Darlehensvertrag vor Auszahlung des Darlehens im Zweifel stets, nach Auszahlung nur in der Regel fristlos kündigen.“
Sollte der Immobilienbesitzer keine Zusatzsicherheiten liefern können, wird das Darlehen fällig gestellt und ist sofort vom Kreditnehmer zurückzuzahlen. Im schlechtesten Fall geht die Immobilie in die Zwangsverwertung. Es droht also die Zwangsversteigerung. Je nachdem, wie konsequent die Banken von dem besagten Gesetz Gebrauch machen, könnte dieser Effekt den Immobilienmarkt weiter unter Druck setzen und die Preise verfallen lassen. Kreditausfälle wiederum würden die Bilanzen der Banken belasten. Übersteigen die Verluste aus den Kreditausfällen das Eigenkapital der Bank, ist das Haus faktisch überschuldet.
Die Bankenlandschaft würde sich im Zuge einer Pleitewelle weiter zentralisieren. Warum ist das so? Die Antwort ist recht trivial und lässt sich anhand der Geschehnisse der Finanzkrise nach 2007 belegen. Die Marktanteile der Pleitebanken gehen über zu den großen Instituten. Diese wiederum werden als zu groß („too big to fail“), um nicht von Politik und Notenbanken gerettet zu werden, deklariert. Darüber hinaus pflegen die großen Institute intensive Kontakte zu den politischen Entscheidern. Die Zentralbank ist dann die ausführende Institution. Sie stellt Liquidität bereit, inflationiert so die Geldmenge, und die breite Masse der Bevölkerung wird dann später durch die Kaufkraftminderungseffekte zur Ader gelassen. Der Zirkel der Milliardärs-Planwirtschaftbeziehungsweise des Großkapitals profitiert. Die Medien sorgen durch die entsprechende Panikmache dafür, dass es vermeintliche Mehrheiten für die marktfernen geldplanwirtschaftlichen Eingriffe gibt.
Abschlussbemerkung: Zinssenkung als 'Rettungsanker' für den nächsten Crack-up-Boom?
Im letzten Jahr haben die Banken durch die Zinsanhebung eine Art Sonderkonjunktur erfahren. Allerdings könnte die Zinsmarge nun wieder rückläufig werden.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Europäische Zentralbank die Zinsen in naher Zukunft senken, um die Kreditnachfrage zu stimulieren. So sieht es die lehrbuchmäßige Herangehensweise vor. Auch diese Zinsfestsetzung bleibt natürlich wissensanmaßender Natur. Keine zentralplanerische Stelle ist in der Lage, einen passenden Zins festzulegen.
Durch niedrige Zinsen würde versucht, einen weiteren Boom in Gang zu bringen. Ludwig von Mises sprach seinerzeit von einem Crack-up-Boom oder, frei übersetzt, von einer Katastrophen-Hausse, also einem teuer erkauften Boom, der unweigerlich eines Tages zusammenbrechen muss. Die vorangegangene Fehlsteuerung der Ressourcen wäre nicht gelöst. Aber möglicherweise könnte man das Finanz- und Bankensystem mit einem längeren Haltbarkeitsdatum ausstatten. Die Nervosität ist hoch, der Druck auf die Zentralbank erhöht sich und immer mehr Menschen erkennen, dass die Zinsanhebungen von null auf 4,5 Prozent die Krise noch verschlimmert haben. Einige wenige hinterfragen sogar die Existenz der Zentralbank.
Die normative Kraft des Faktischen scheint dem Erkenntnisgewinn zuträglich zu sein. Politischer Heizungs- und Sanierungszwang wurde nach meiner Beobachtung mehrheitlich als totalitäre Maßnahme identifiziert.
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Benjamin Mudlack ist gelernter Bankkaufmann und Diplom-Wirtschaftsinformatiker. Er ist Vorstandsmitglied der von Markus Krall gegründeten Atlas Initiative, Mitglied der Friedrich August von Hayek-Gesellschaft und begleitet aktiv einige andere freiheitliche Projekte, wie zum Beispiel das Free Economic Forum. Zudem betreibt Benjamin Mudlack, mit der Zielsetzung, möglichst vielen Menschen die österreichische Schule der Nationalökonomie anhand von tagesaktuellen Themen zugänglich zu machen, den Youtube-Kanal „Der ökonomische IQ“. Benjamin Mudlack ist zudem Autor des im Lichtschlag Verlag erschienen Buches „Geld-Zeitenwende: Vom Enteignungsgeld zurück zum gedeckten Geld“. Neben einigen Interviews sind zahlreiche Artikel zu den Themen Geld, Geldsystem und Mittelstand in einigen Medien wie etwa im „Smart Investor“, bei „Tichys Einblick“ oder im „Sachwert Magazin“ erschienen. Seine wöchentliche Kolumne erscheint bei Freiheitsfunken freitags um 22 Uhr.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Freiheitsfunken.info. Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.
Bild: Martin Furtivo/Shutterstock