Von Kai Rebmann
„Haben wir nicht mehr, und wenn, dann nur erheblich teurer.“ Sätze wie diesen könnten viele Kunden schon bald im Supermarkt zu hören bekommen. Nur spärlich gefüllte oder auch ganz verwaiste Regale drohen zum Jahreswechsel insbesondere bei Produkten wie Kaffee oder Schokolade. Das jedenfalls befürchten Branchenverbände und Importeure mit Blick auf eine neue EU-Verordnung, die zum 30. Dezember 2024 in Kraft treten soll.
Das Papier aus Brüssel sieht vor, dass in der EU ab diesem Stichtag nur noch Kaffee- und Kakaobohnen gehandelt werden dürfen, die nachweislich aus entwaldungsfeien Lieferketten stammen. Die Produzenten werden zu einer Sorgfaltserklärung verpflichtet, wonach sie nur solche Rohstoffe verarbeiten, für die nach dem 31. Dezember 2020 kein Wald gerodet oder geschädigt wurde.
Holger Preibisch vom Deutschen Kaffeeverband zeigt sich alarmiert und warnt: „Derzeit erfüllen nur etwa 20 Prozent der Farmer die Anforderungen.“ In einer Mitteilung des Branchenverbands, dem bundesweit rund 360 Unternehmen und Organisationen angehören, heißt es weiter: „Uns droht eine Unterversorgung auf dem deutschen und europäischen Markt. Die Preise für den dann verfügbaren Kaffee werden signifikant steigen.“
Einmaleins der freien Marktwirtschaft
Was bei der oben zitierten Ausgangslage nach einer logischen Schlussfolgerung auf Basis der bekannten Marktgesetze klingt, wird in Brüssel gänzlich anders gesehen. Die EU-Kommission lässt gegenüber der dpa verlauten, dass keine Tatsachen bekannt seien, aufgrund derer die neue Verordnung zu einer Verteuerung der betroffenen Rohstoffe bzw. daraus hergestellten Endprodukte führen könnte. Man rechne allenfalls mit sehr begrenzten Auswirkungen auf die Preise.
Dabei beschränkt sich die drohende Verknappung und damit einhergehende Preisexplosion längst nicht nur auf Kaffee, Schokolade oder andere Süßwaren. Auch weitere Produkte wie Textilien oder Möbel könnten davon betroffen sein, falls die EU-Verordnung in der vorliegenden Form und insbesondere im beabsichtigten Tempo kommen sollte.
Denn es ist keineswegs so, dass sich die Importeure hierzulande ganz grundsätzlich gegen das Lieferkettengesetz stemmen würden. Holger Preibisch fordert aber vor allem mehr Zeit für die Umsetzung, nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf die Millionen Kaffeebauern in Schwellen- und Entwicklungsländern, die er in ihrer Existenz bedroht sieht.
Deutschland sei mit einer jährlichen Einfuhr von rund 1,1 Millionen Tonnen nach den USA der zweitgrößte Kaffee-Importeur der Welt und beziehe den Rohstoff aus 15 bis 20 Ländern, allen voran aus Brasilien (30 Prozent) und Vietnam (20 Prozent). In diesen Ländern bildet der Anbau der aromatischen Bohnen die Lebensgrundlage der Farmer vor Ort.
Preisschock und Versorgungsengpass drohen
Weitere Sorgen bereiten Preibisch die Mühlen der Bürokratie. Vor allem auf Importeure und die verarbeitenden Röstereien sieht der Geschäftsführer des Kaffeeverbands einen unverhältnismäßigen Aufwand bei der Risikobewertung der Daten zukommen. So müssten die Abnehmer jede neue Lieferung genau prüfen und die Daten anschließend nach Brüssel schicken. An die dafür notwendigen Informationen zu kommen, sei aufgrund der politischen Strukturen in einigen Anbauländern schwierig, so Preibisch.
Ähnlich sehen das auch die großen Produzenten in Deutschland. Johannes Dengler, Vorstandsmitglied bei Dallmayr Kaffee, spricht von einem „grotesken Verwaltungsaufwand“ sowohl für Unternehmen als auch die Bauern vor Ort. Einige Länder, etwa Äthiopien, könnten durch die neue EU-Verordnung „absehbar vom europäischen Markt“ abgeschnitten werden, so die Befürchtung.
Während Brüssel die Bedenken aller Beteiligten durch Beschwichtigungen beiseite zu wischen versucht, scheint der Kaffeeverband beim zuständigen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein zumindest teilweise offenes Ohr vorgefunden zu haben. In der Antwort eines entsprechenden Schreibens räumte eine Sprecherin des Hauses von Cem Özdemir (Grüne) ein, dass im Bereich des Kaffeehandels „derzeit noch Hürden“ bestünden: „Dazu gehört, dass die Rückverfolgbarkeit von konventionellem, nicht-zertifiziertem Kaffee aktuell noch nicht in allen Fällen bis zur Farm umgesetzt werden kann.“
Wer die Verhältnisse in Südamerika, Afrika oder auch Teilen Asiens kennt, dem fehlt der Glaube, dass sich daran innerhalb nur weniger Monate etwas Grundlegendes ändern wird. Sollte die EU gleichzeitig stur an ihrem Fahrplan für die Verordnung zur entwaldungsfreien Lieferkette festhalten, droht Verbrauchern in Deutschland und Europa ganz zwangsläufig entweder ein Preisschock oder aber ein Versorgungsengpass bei Produkten aus Kaffee, Kakao oder Palmöl.
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