Ein Gastbeitrag von Stefan Stirnemann
Das Robert Koch-Institut (RKI) hat während der Coronapandemie auch die Schweiz in Angst versetzt. Nun sind seine Ergebnisprotokolle und zahllose weitere Dokumente in die Öffentlichkeit gelangt, nun liegt die Gedankenwelt dieser Behörde vor dem kritischen Auge des mündigen Bürgers, ungeschwärzt und doch tief schwarz. Es ist bewiesen, dass sich die Wissenschaft von der Politik hat Befehle erteilen lassen und dass beide einträchtig die Öffentlichkeit genasführt haben. Nachts im Wald wird das Auge hell und unterscheidet klar. Mit diesem hellen, aufgeklärten Blick muss jetzt die ganze Coronazeit geprüft werden. Blicken wir auf Deutschlands «Starvirologen».
Am 8. November 2020 hielt Christian Drosten die Marbacher Schillerrede. Sie findet jeweils in der Zeit des Geburtstags des Dichters statt und wird von der Deutschen Schillergesellschaft veranstaltet. Ausführlich und nicht unsympathisch vergleicht Drosten seinen eigenen Werdegang mit dem Schillers; immer wieder verweist er auf die Coronazeit und ihre Unbilden. Mit Recht betont Drosten die Freiheit als Schillers Kernanliegen, und mit Recht stellt er den Zeitgenossen Kant neben ihn, den Philosophen der Aufklärung. Was Drosten über die Freiheit der Wissenschaft und die Zuständigkeit der Politik sagt, ist wert, beherzigt zu werden. Selber beherzigt er es nicht.
Reden und Handeln
Was sagt der Redner Drosten? «Nur wenn Erkenntnisse geteilt, diskutiert und überprüft, im weiteren Prozess widerlegt oder weiterentwickelt werden, kommen wir in der Forschung voran.» Was tut Drosten? Im Februar 2020 unterzeichnete er einen Aufruf von «Wissenschaftlern des öffentlichen Gesundheitswesens», in welchem Forscher mundtot gemacht werden sollten, die das Virus aus einem Labor entsprungen sehen: «Wir stehen zusammen, um Verschwörungstheorien, die darauf hinweisen, dass COVID-19 keinen natürlichen Ursprung hat, aufs Schärfste zu verurteilen.»
Schillers bekannten Satz «Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient» bezieht der redende Drosten auch auf sich: «Damit ist also auch der Forscher eine Art Weltbürger im Schiller’schen Sinne, der keinem Fürsten, sondern der Erkenntnis dient.» Im Aufruf lautet ein Satz: «Wir möchten, dass Sie, die Wissenschafts- und Gesundheitsexperten Chinas, wissen, dass wir Ihnen in Ihrem Kampf gegen dieses Virus zur Seite stehen.» Mit seiner Unterschrift anerkennt und unterstützt Drosten die unfreie Wissenschaft eines unfreien Staates; er dient sich der Partei an, die China unter dem Joch hält.
Der pandemische Imperativ
Von Immanuel Kant könnte man lernen, dass sich der aufgeklärte, selbständige Bürger von niemandem abhängig machen lässt, nichts einfach glaubt und nicht blindlings gehorcht. Zur Aufklärung, sagt Kant, werde nichts erfordert als Freiheit: «und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heissen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.» Wird dieser öffentliche Gebrauch nur wenigen linientreuen Auserwählten erlaubt, wird die Gesellschaft früher oder später von dummen oder bösartigen Menschen ins Unglück geführt.
In Kants Gedankenbahn meint Drosten zu gehen, wenn er mit einem «pandemischen Imperativ» aufwartet. Kants kategorischer Imperativ ist eine Forderung, die unbedingt (kategorisch) gilt, das heisst ohne dass man ein Ziel oder einen Vorteil im Auge hat. Er ist ein allgemeiner Gedanke, mit dem sich ein mündiger Mensch klar machen kann, was er in seiner Lage tun soll: «Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.» Drostens Imperativ lautet: «Handle in einer Pandemie stets so, als seist Du selbst positiv getestet, und Dein Gegenüber gehörte einer Risikogruppe an.» Das ist nicht mehr an einen eigenverantwortlichen Bürger gerichtet, sondern an einen Untertan. Ihm sagt die Obrigkeit, wann eine Pandemie herrscht (jahrelang), wie er sich testen lassen soll (mit einem fragwürdigen PCR-Test, den Drosten entwickelt hat), wer zur Risikogruppe gehört (jeder), wie er sich zu verhalten hat (im Freien Maske tragen, bis Minister Lauterbach das als Schwachsinn erklärt). Höhepunkt und Schluss der Rede: «Auch Friedrich Schiller würde Maske tragen.» Warum Drosten nicht auch Kant die Maske gönnt, bleibt offen.
Die Sorgfalt des Wissenschaftlers und das Gleichnis vom Matsch
Eine Festrede steht unter den Gefahren ihrer Bestimmung. Der Redner kann in Farbenpracht und Festgetümmel Glocken läuten und Banner entrollen; dröhnende Begriffe marschieren auf, und festlich gestimmte Zuhörer geizen nicht mit Beifall. Und doch ist die Oberflächlichkeit Drostens auffällig; er hat es nicht nötig, in dem, was er vorträgt, genau zu sein. Schiller hat in zwei zweizeiligen Gedichten einen Gedanken Kants verspottet, Drosten zitiert sie nicht im Wortlaut und macht sich nicht kundig, wie man solche Verse im Rhythmus vorträgt. Kant nannte sich selber mit Vornamen Immanuel, Drosten nennt ihn Emanuel. Würde ein Student wagen, mit einem selbstgewählten Thema so aufzutreten? Über Drostens Sorglosigkeit kann man hinwegsehen, aber beim Impfen ist Achselzucken nicht mehr möglich.
In seiner Rede sieht Drosten die Rolle des Forschers auch darin, das Fachgebiet zu erklären; dabei müsse er die Sprache der Wissenschaft in anschauliche Bilder übersetzen. Wie macht Drosten das? Auf einer Pressekonferenz im Januar 2022 saß der freie Wissenschaftler einträchtig neben dem Gesundheitsminister Karl Lauterbach und dem Leiter der staatlichen Behörde RKI, Lothar Wieler. Als er das Wort hatte, erzählte er das Gleichnis vom Matsch. Im Rechtschreibduden wird das Wort als «nasser Strassenschmutz» erklärt, Drosten meint mit ihm die Wirkung der Corona-Impfstoffe: Auf einem Sandweg mit Matsch sind Autos unterwegs. Bei gleicher Motorenleistung hat die neueste Entwicklung breitere Räder. Folge: Dieses Auto kommt schneller voran. Der matschige Sandweg ist unser Immunsystem, die Autos sind die Coronaviren, breiträdrig ist die Omikron-Variante, die sich rasch verbreiten kann. Je mehr nassen Strassenschmutz die Corona-Impfung auf den Sand bringt, desto langsamer wird das Virus: «Was wir mit der Impfung machen: wir machen immer mehr Matsch auf den Sandweg drauf, bis das Auto irgendwann steckenbleibt.» Wenn das Auto immer langsamer wird, endet die Pandemie. Das Gleichnis ist nicht schwer zu deuten: Die Corona-Impfungen verhindern die Übertragung des Virus. Im RKI-Protokoll vom achten Februar 2021 steht dagegen: «Es ist zu erwarten, dass durch die Impfung zwar schwere Verläufe vermieden werden können, nicht jedoch die lokale Vermehrung der Viren.» Unterdessen ist klar, dass die Impfung die Übertragung nicht verhindert und schwerste Schäden verursachen kann. Im RKI-Protokoll vom dritten Dezember 2021 heisst es: «Politischer Entschluss ist schon längst gefasst, oberste Priorität so viele Leute so schnell wie möglich impfen.» Mit seinem Gleichnis half Drosten also dabei, einen unbegründeten politischen Entschluss umzusetzen.
Angstpsychose: Erinnerung an die Schweinegrippe
Die Coronapandemie wiederholt in ihren Fehleinschätzungen und Abläufen die Schweinegrippe. In der Dokumentation «Profiteure der Angst, Das Geschäft mit der Schweinegrippe», die der Sender Arte im Oktober 2009 ausstrahlte, fand Prof. Dr. Peter Schönhofer, Mitherausgeber der Zeitschrift arznei-telegramm, klare Worte: «Das ist ein Prinzip des Pharma-Marketings, was hier übernommen wird, und zwar kann die Pharma-Industrie ihr Produkt dann gut verkaufen, wenn die Menschen Angst haben und sich von dem Angebot des Herstellers versprechen, gerettet zu werden. Also muss man eine Angstpsychose erzeugen, damit die Leute weich werden und nach dem Impfstoff greifen.»
Schon bei der Schweinegrippe rief Drosten dazu auf, sich mit unzureichend geprüften Stoffen impfen zu lassen: «Bei der Erkrankung handelt es sich um eine schwerwiegende allgemeine Virusinfektion, die erheblich stärkere Nebenwirkungen zeitigt als sich irgendjemand vom schlimmsten Impfstoff vorstellen kann.» Als Nebenwirkung jener Impfungen verbucht das Deutsche Ärzteblatt bei Kindern und Jugendlichen bis Januar 2015 über 1300 Fälle der Narkolepsie, der unheilbaren Schlafkrankheit.
Der Schuster als Offizier
Drosten, der Redner, sagt von der Freiheit und der Verantwortung rhetorisch eindringlich: «Beide Elemente bedingen sich für mich elementar.» Wenn er wüsste, was in einer freien Gesellschaft Verantwortung bedeutet, müsste er sich für die weltweiten Impfschäden mitverantwortlich fühlen. Stattdessen lautet sein rückblickendes Wort zum Impfen so: «Ich muss vorwegschicken, das Thema Impfung ist nicht meine Fachexpertise.» (Der Spiegel Nr. 26 / 22.6.2024) Wie ist es möglich, dass jemand als Experte auftritt, ohne es zu sein? Wie ist es möglich, dass Politik und Medien einen Experten anheuern und feiern, dem die Expertise fehlt? In seiner Rede hat Drosten Schiller und Kant aufgerufen. Wenn nicht alles trügt, blicken sie abweisend. Ein Dritter gesellt sich ungerufen zur Gruppe, er schaut verständnisinnig auf den Virologen. Ist es der Schuster, der sich als Offizier kostümierte, der Hauptmann von Köpenick?
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Stefan Stirnemann ist Schweizer Philologe und Publizist, u.a. zur Sprache. Die Andere Bibliothek: Eduard Engel, Deutsche Stilkunst (2016) [Geleitwort zum Werk eines arisierten Autors], Weltwoche: Diese Gespenster am helllichten Tag (2024) [Eidgenossen sind von Haus aus Verschwörungspraktiker, Beitrag zur Coronapandemie]
Bild: Screenshot Youtube Apotheken Umschau