Sehen sie hier auch mein aktuelles Video zum Corona-Gipfel und seinen Beschlüssen.
Man kann nur erahnen, wie hoch der Leidensdruck sein muss, dass in der weitgehend stramm auf Linie gebürsteten Unionsfraktion plötzlich Unmut über die alles beherrschende Kanzlerin laut wird. Mehrere Abgeordnete wagen jetzt das eigentlich Selbstverständliche, aber nach 15 Jahren Merkel fast Undenkbare: Sie kritisieren offen die Regierung. Der Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Albert Weiler (55) schrieb in einem Brief an die Regierungschefin und die Ministerpräsidenten: „Ihr Beschluss ist eine Kapitulationserklärung.“ Er sei „planlos, ratlos, mutlos“, so der Christdemokrat. Er befürchtet einen „langfristigen Schaden“ für „Demokratie und Gesellschaft“.
„Maßnahmen zum Schutz vor Corona“ befürworte er zwar, so der Unionspolitiker. Doch notwendig seien „Maßnahmen mit Sinn und Verstand“. Weiter heißt es in dem Schreiben des Abgeordneten an die Regierungschefs laut „Bild“: Wenn „Ihnen nach einem Jahr Corona nichts anderes einfällt, als stumpf den Lockdown zu verlängern, über die Ostertage sogar zu verschärfen“, dann sei das für die Menschen in diesem Land „Politikversagen“.
Der Hamburger CDU-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß (35) sagte gegenüber dem Blatt zu den Geschäftsschließungen: „Das geht gar nicht! Das sorgt für dichtes Gedränge und volle Supermärkte vor und nach dem Oster-Lockdown. Man hätte stattdessen die Öffnungszeiten strecken sollen, damit Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden können.“ Also genau das, was auch ich schon gleich in der Nacht hier geschrieben habe. Was auch Wissenschaftler sagen. Und was eigentlich so offensichtlich ist, dass es auch Regierungschefs auffallen sollte. Zumindest, wenn sie noch gelegentlich selbst einkaufen gehen. Und zwar nicht nur in sorgsam für die Presse organisierten Supermarkt-Besuchen.
Die Brandenburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jana Schimke (41) erklärte gegenüber „Bild“: „Jetzt zeigt sich, dass es ein Fehler war, die Entscheidungsgewalt in der Pandemie vollständig in die Hände der Bundesregierung zu legen, die seit einem Jahr mit den immer selben Konzepten auf das Infektionsgeschehen reagiert. Als Mutter zweier Kinder blicke ich fassungslos auf die sach- und lebensfremde Beschlusslage.“
Wirtschaft und Kultur ruinieren
Der Magdeburger Abgeordnete Tino Sorge sagte dem Bericht zufolge: „Wir stehen im Begriff, unsere Wirtschaft und Kultur zu ruinieren – noch ganz zu schweigen von den sozialen und gesundheitlichen Kollateralschäden, die jede Woche des Lockdowns mit sich bringt. Das Land so herunterzufahren, richtet mittlerweile mehr Schaden an, als es Nutzen bringt.“ Verlöre die Politik das Vertrauen der Bürger, sei das „gefährlicher als jedes Virus. Doch genau das droht uns jetzt“, so Sorge. Der Magdeburger „ist offenbar grundsätzlich mit dem Kurs der Bundesregierung nicht mehr einverstanden“, schreibt die Bild und zitiert den CDU-Mann mit folgenden Worten: „Seit Monaten schauen wir voller Angst auf die 7-Tage-Inzidenz und bringen unser Land zum Stillstand. Vor einem Jahr, als das Virus für uns alle neu war, war das nachvollziehbar. Heute versteht das kaum noch jemand.“
Sorges Forderung: „Wir müssen uns von Bürokratie und der deutschen Angst, etwas falsch zu machen, verabschieden. Es muss jetzt pragmatisch und schnell gehandelt werden.“ Auch aus der SPD-Fraktion im Bundestag sind kritische Töne zu hören. Der stellvertretende Fraktionssprecher Dirk Wiese (37) sagte Bild: „Der Corona-Kurs der Kanzlerin wirkt aktuell zu detailversessen und zeigt keine mittelfristigen Perspektiven auf. Wir müssen aber dringend darüber sprechen, wie wir perspektivisch wieder verantwortungsvoll Schritt für Schritt öffnen können.“ Auch den Kurs der Regierung bezüglich der Osterferien kann Wiese nicht nachvollziehen: „In der ursprünglichen Beschlussvorlage war noch der kontaktarme Urlaub enthalten. Die Streichung ist nicht verständlich. Warum soll Urlaub in der Ferienwohnung im eigenen Bundesland nicht möglich sein, während andere im vollen Flieger sitzen?“
Dass sich inzwischen zumindest einige Bundestagsabgeordnete aus der Deckung trauen, ist ein erfreuliches Zeichen. Umgekehrt kann man es aber auch als negativ werten, dass nur eine Handvoll von mehreren Hundert Abgeordneten von CDU/CSU und SPD den Mut hat, offen die eigene Regierung zu kritisieren. Aus diversen Gesprächen mit Abgeordneten beider Parteien weiß ich, dass bereits mitten im Winter rund 10 bis 20 Prozent der Volksvertreter der beiden Fraktionen den harten Kurs ihrer eigenen Regierung nicht für richtig hielten und dies zumindest intern zu erkennen gaben – allerdings nur in Ausnahmefällen öffentlich dazu stehen. Noch viel mehr sähen den Lockdown-Kurs durchaus kritisch, würden sich aber nicht einmal intern trauen, das zuzugeben, so zumindest die Schätzung von Abgeordneten, mit denen ich sprach. Die große Frage ist: Kippt die Stimmung und trauen sich mehr in den Regierungsfraktionen, den Mund aufzumachen? Oder folgen sie Merkel aus Angst vor der eigenen Courage in den politischen Abgrund? Von der Antwort auf diese Frage wird in vielem die politische Zukunft unseres Landes abhängen.
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Bild: Stock Foto.Touchlazarelenad/Shutterstock
Text: br