Von Kai Rebmann
Gut gedacht, schlecht gemacht! So könnte man die Einführung des 9-Euro-Tickets in wenigen Worten zusammenfassen. Abgesehen davon, dass es sich schon bei dem Schlagwort „9 für 90“ um einen irreführenden Etikettenschwindel der Bundesregierung handelt – tatsächlich gilt das Ticket nur für maximal 31 Tage – wurden die Schwächen des milliardenschweren „Geschenks“ der Ampelkoalition am zurückliegenden Pfingstwochenende schonungslos offengelegt. Im Zuge der dramatisch gestiegenen Energiekosten, die von Experten unabhängig vom Ukraine-Krieg schon seit Jahren prophezeit wurden, haben sich SPD, Grüne und FDP zur Entlastung der Bürger auf das 9-Euro-Ticket verständigt. Die Bahn-Flat ermöglicht den Inhabern dieses Fahrscheins in den Monaten Juni, Juli und August die Nutzung des gesamten ÖPNV in Deutschland zu einem Spottpreis von jeweils neun Euro. Zur Finanzierung fließen in Form von „Regionalisierungsmitteln“ mindestens 2,5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an die Länder und Kommunen.
Dass es sich dabei um nicht viel mehr als politischen Aktionismus auf Kosten des Steuerzahlers handelt, haben die ersten Tage seit Einführung des Billigtickets gezeigt. Ähnlich wie zum Beispiel schon bei den vermeintlich „kostenlosen“ Bürgertests haben die im Gewand des Samariters auftretenden Spitzen der Ampelkoalition auch beim 9-Euro-Ticket schlicht vergessen, dem Bürger zu sagen, dass die Geschenke der Bundesregierung auch immer von irgendjemandem bezahlt werden müssen. Wie schlecht das 9-Euro-Ticket gemacht und umgesetzt wurde, zeigt die bisweilen sehr scharfe Kritik, die es insbesondere nach dem Pfingstwochenende von allen Seiten hagelt.
Rabatt-Tarif verschärft die bisher bekannten Probleme nur
Laut internen Auswertungen der Bahn gibt es in Deutschland seit dem Start des 9-Euro-Tickets täglich rund 400 überfüllte Züge, die sich entweder extrem verspäten und/oder überhaupt nicht mehr weiterfahren können, sowie etwa 700 weitere „Störungen“. Bahnmitarbeiter und Gewerkschaften befürchten in den kommenden Wochen und Monaten einen massiven Anstieg der Überstunden. Ralf Damde vom Gesamtbetriebsrat der DB Regio betonte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass viele Bahn-Angestellte schon jetzt auf dem Zahnfleisch gingen. „Überall in Deutschland waren die Bahnsteige und die Züge voll, in mehreren Fällen mussten überfüllte Züge geräumt werden – aber zum Glück keine Bahnhöfe“, beschreibt der Betriebsrat das am Pfingstwochenende vorherrschende Bild.
Deutliche Kritik kam auch vom Fahrgastverband Pro Bahn, der über einen Sprecher ausrichten ließ, dass das Chaos vorhersehbar gewesen und die Folge eines politischen Angebots sei, für das im Bahnverkehr die nötigen Kapazitäten fehlten. „In den Hauptreisezeiten war die Nachfrage auf den Hauptstrecken so stark, dass Züge nicht abfahren konnten. Und einige Bahngesellschaften – etwa die Metronom in Norddeutschland – haben die Fahrradbeförderung ausgeschlossen, weil sie dem Ansturm nicht Herr wurden“, teilte Pro Bahn der dpa mit. In Rastatt (Baden-Württemberg), einer Kleinstadt im Schwarzwald, wurden auf dem Bahnsteig wartende Passagiere per Lautsprecherdurchsage darauf hingewiesen, dass auch die Mitnahme von Surfbrettern und Paddelbooten nicht möglich ist.
Screenshot einer Kleinanzeige geht in sozialen Netzwerken viral
Alle diese Berichte der vergangenen Tage verfestigen also den Eindruck, dass die Bundesregierung aus einer Bauchentscheidung heraus und stramm der grünen Ideologie folgend Schnäppchenjäger auf einen hoffnungslos überforderten ÖPNV losgelassen hat. Das Pfingstwochenende und der damit verbundene Ferienbeginn in vielen Bundesländern hat womöglich nur einen Vorgeschmack auf das geliefert, was Berufspendler in den Sommermonaten erwarten dürfte. Diese können die ohnehin obligatorischen Verspätungen der Deutschen Bahn dann im doppelten Wortsinn in vollen Zügen genießen und werden sich in nicht wenigen Fällen wohl lieber wieder auf ihr eigenes Auto verlassen, zumal im Gegenzug mit weniger Staubelastungen auf den deutschen Straßen zu rechnen sein dürfte. Im Südwesten befinden sich mit der A8 und A5 zwei klassische Stau-Hotspots, auf denen am Pfingstsamstag „für einen Ferienbeginn fast schon wenig“ los gewesen sei, wie eine Sprecherin der Verkehrsleitzentrale Baden-Württemberg dem SWR sagte.
Manch einer scheint die durch die Einführung des 9-Euro-Tickets provozierten Zustände im ÖPNV nur noch mit Sarkasmus ertragen zu können. Ein sichtlich frustrierter Inhaber des durch Steuergelder subventionierten Fahrscheins bot diesen über ein Kleinanzeigen-Portal nun zum Verschenken an. Dazu ist folgender Text zu lesen: „Habe mir so ein 9-Euro-Ticket geholt. Nicht weil ich es nötig hätte, aber ihr wisst, man wird nicht reich vom Geldausgeben. Bin jetzt zwei Tage mit der Bahn zur Arbeit. Ja, was soll ich sagen, bin seit bestimmt zehn Jahren nicht mehr mit der S-Bahn gefahren und jetzt weiß ich wieder wieso. Hatte dort an zwei Tagen mehr Körperkontakt als in den letzten zwei Jahren. Sind Deos eigentlich aktuell auch ausverkauft? Anders kann ich mir das nicht erklären. Auf der Rückfahrt teilte ein Typ seinen Döner mit mir … auf meiner Hose. Achja und Daniel, deine Freundin will sich von dir trennen, sie wartet aber noch auf den richtigen Moment. Wollte dir nur Bescheid geben, falls dies noch keiner der anderen 200 Fahrgäste getan hat, die auch anwesend waren und diesem eloquenten Gespräch lauschen durften. Man müsste mir neun Euro die Stunde zahlen, damit ich dieses Ticket weiter nutze. Fahre jetzt wieder mit dem Porsche zur Arbeit. Ist sowieso nicht so gut, wenn der so lange steht. Bin zum Abregen erstmal 50 Kilometer Autobahn gefahren. Sonst ist immer Stau, aber heute war freie Fahrt. Wer den Zettel abholen kommt, bekommt von mir einen bemitleidenden Blick und einen Schulterklopfer gratis dazu.“
Selbst wenn man unterstellt, dass es sich hierbei um eine etwas überspitzt formulierte Darstellung des Erlebten handeln mag, gibt dieses Schreiben Situationen wieder, die viele Bahnreisende und Pendler in den vergangenen Tagen so oder so ähnlich erlebt haben dürften. Mit Hau-Ruck-Aktionen wie dem 9-Euro-Ticket oder auch dem Tank-Rabatt, dessen Wirkung schon nach wenigen Tagen praktisch verpufft ist, bekämpft die Bundesregierung lediglich die Symptome, nicht aber die Ursachen einer seit Jahren fehlgeleiteten Energiepolitik. Den völlig ohne Not beschlossenen und im Schweinsgalopp umgesetzten Ausstieg aus der Kernenergie sowie der Kohle bei gleichzeitig noch nicht annähernd vorhandener Infrastruktur bei den Erneuerbaren müssen die Verbraucher in Deutschland in allen Bereichen der Energieversorgung mit historischen Rekordpreisen bezahlen. Der Krieg in der Ukraine war dabei nur der letzte Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hat und mit dem das Versagen der grünen Energiepolitik nun verschleiert werden soll.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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