“Ami, it’s time to go” Politlegende Lafontaine plädiert für eine Nato ohne USA

Ein Gastbeitrag von Milena Preradovic (und eine „Gegenmeinung“ von mir darunter).

Er war Kanzlerkandidat, SPD-Chef, Finanzminister, Parteigründer. Politlegende Oskar Lafontaine hat jetzt ein Buch mit dem provokanten Titel „Ami, it´s time to go – Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas“ vorgelegt. Seine Kernthese: eine aggressive Weltmacht wie die USA könnten keinem Verteidigungsbündnis wie der Nato vorstehen. Er plädiert für eine Nato ohne die USA und ruft Deutschland und Europa auf, die eigenen Interessen zu bedienen, statt am Rockzipfel der Supermacht zu hängen. Dazu gehöre allerdings auch ein gutes Verhältnis zu Frankreich. Da habe die Ampelregierung keinen Instinkt für die kulturellen Eigenheiten.

Generell stellt Lafontaine der deutschen Regierung ein miserables Zeugnis aus. „Wir hatten Außenminister wie Brandt und Genscher. Jetzt haben wir eine Außenministerin, die wie eine Schülersprecherin runterleiert, was das Pentagon ihr aufgeschrieben hat.“

Bundeskanzler Scholz wirkt auf Lafontaine wie ein Getriebener, der stumm zu Boden schaue, wenn US-Präsident Biden davon spricht, dafür zu sorgen, dass Nord Stream 2 niemals Gas liefert. Für den Polit-Veteranen ist klar, dass die USA für die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines verantwortlich sind.

Ein Gespräch über „die dümmste Regierung Europas“, Propaganda und die Frage: Wird seine Frau, Sahra Wagenknecht die Politlandschaft mit einer eigenen Partei aufmischen?

Das ganze Interview sehen Sie auf Punkt.Preradovic:

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Und hier mein angekündigter Kommentar – als Gegenrede, wie es sich in einer Demokratie gehört:

„Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen“ – dieses Zitat wird dem großen Denker Voltaire zugeschrieben. Auch wenn viel dafür spricht, dass er es so nie sagte, bringt es doch die Quintessenz seines Denkens auf den Punkt. Und im Sinne von Voltaire veröffentliche ich hier auch einen Gastbeitrag zu den neuesten Aussagen von Oskar Lafontaine. So sehr ich seine kritische Position in Sachen Corona schätzte, so wenig gehe ich mit seiner in meinen Augen sozialistischen Grundhaltung und seinem Anti-Amerikanismus konform. Ich bin der Letzte, der die USA nicht kritisiert. Und sie liefern viel Anlass dafür. Wenn ich mir allerdings Aussagen wie die von Lafontaine ansehe, finde ich immer wieder, dass sie die Geschichte auf den Kopf stellen. Die Berliner Mauer wurde nicht gebaut, weil Menschen in Scharen aus dem Teil Deutschlands, der eng mit den USA verbunden war, in den Osten fliehen wollten, in dem eine russische Diktatur das Sagen hatte. Es war umgekehrt.

Und bei allen Fehlern und Fehltritten der USA ist es auch heute noch so, dass zahlreiche Staaten die Nähe des Landes suchen. Vor allem die osteuropäischen, die wissen, was eine sozialistische Zwangsherrschaft und eine Moskauer Diktatur alles anrichten kann. Plumper Anti-Amerikanismus ist deswegen meine Sache nicht – genauso wenig wie eine Idealisierung und Verherrlichung der Vereinigten Staaten. Ich sehe sie kritisch, halte die Politik von Biden für ebenso verheerend wie die „Wokeness“, die in den USA Urstände feiert und auch bei uns viel Unheil anrichtet. Aber ich sage mir: Lieber eine heruntergekommenes Hotel mit verrückter Verwaltung als ein Gefängnis (das im Falle Russlands auch sehr heruntergekommen ist). Lafontaines Meinung, eine Nato ohne die USA wäre möglich, halte ich für hochgradig blauäugig. Die Europäer, insbesondere Deutschland, wären zu einer Verteidigung aktuell nicht in der Lage. Das ist bitter, aber es ist Fakt.

Ebenso wie es Fakt ist, dass bislang unbekannt ist, wer Nord Stream zerstört hat. Ich wundere mich über Menschen wie Lafontaine, die sich da völlig sicher sind und das auch noch öffentlich bekunden. Ich weiß von russischen Ex-Regierungsmitgliedern, dass der Kreml eigene Pipelines zerstören ließ, obwohl man sich damit auch ins eigene Fleisch schnitt – aus Propaganda-Gründen. Zumal: Wären die USA so blöd gewesen, dann ausgerechnet die für Moskau so wichtige Pipeline Nord Stream 2 so weit zu verschonen, dass sie immer noch sehr viel Gas liefern kann? Aber all das sind eben nur Hinweise und keine Beweise. Weswegen ich mich bei dem Thema sehr zurückhalte – man muss nicht zu allem seinen Senf geben, vor allem, wenn man wenig Fundiertes weiß.

Eine enge Bindung und Zusammenarbeit mit Russland wäre in der Tat sehr begrüßenswert. Ja es wäre für mich als jemanden, der sich als halber Russe fühlt, eine Herzensangelegenheit. Aber nicht, solange Russland eine Diktatur ist. Aber das nur als Ergänzung und gegenläufige Meinung zu der Lafontaines, der ich in Sachen Scholz und Baerbock sogar zustimme – damit Sie beide Meinungen kennen und sich selbst ein Bild machen können. Und wenn Sie zu einem anderen Schluss kommen als ich, ist das für mich völlig okay und ich respektiere es. Ich bin nicht im Besitz einer „Wahrheit“, ich kann nur nach ihr suchen. Und unterschiedliche Meinungen sind in meinen Augen etwas selbstverständliches und gehören zur Demokratie wie der Leberkäse zu Bayern. Dass einige damit ein Problem haben, finde ich ausgesprochen traurig.  

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Milena Preradovic wurde als Tochter eines serbischen Vaters und einer österreichischen Mutter in Bochum geboren. Die Journalistin und Moderatorin wurde unter anderem im Fernsehen bei RTL bekannt. Heute betreibt sie den erfolgreichen Youtube-Kanal Punkt.Preradovic sowie die Plattform punkt-preradovic.com.

Bild: Screenshot Video „Es fehlt der demokratische Geist“ 

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