Von Daniel Weinmann
Die Kritik an der seit Mitte März geltenden einrichtungsbezogenen Impfpflicht wird immer lauter. Betroffen sind Krankenhäuser, Arztpraxen, Tageskliniken und Altenheime. Bizarr: Selbst das Verwaltungspersonal und die Chefs dieser Einrichtungen werden gezwungen, sich die nach wie vor nur bedingt zugelassenen Vakzine verabreichen zu lassen.
Das Bundesverfassungsgericht hat keine Bedenken. Mitte Mai hatte das höchste deutsche Gericht eine Klage gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht abgewiesen. Der Schutz sogenannter vulnerabler Gruppen wiege verfassungsrechtlich schwerer als die Beeinträchtigung der Grundrechte für Mitarbeiter im Pflege- und Gesundheitsbereich, so die Richter.
Im Freistaat Sachsen widersetzt sich nun der erste bundesdeutsche Landkreis dem höchstrichterlichen Diktum. „Entscheidend ist, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet ist“, betonte der Landrat von Mittelsachsen, Matthias Damm. Während anderswo bereits Menschen entlassen wurden, bestätigte das dortige Gesundheitsamt Mittelsachsen zwischenzeitlich 1.200 Betroffenen schriftlich, dass sie ihrer Arbeit weiter uneingeschränkt nachgehen können, so ein Sprecher des Landratsamtes. Negative Konsequenzen wie ein Bußgeld in Höhe von 2.500 Euro und das anschließende Betretungsverbot sind somit passé.
Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Karl Lauterbach
Für die sächsische Gesundheitsministerin Petra Köpping ist dies laut „Bild“„ein legitimer Weg“. Mit gutem Grund, denn die Versorgungssicherheit scheint nicht in allen der rund 570 Pflegeeinrichtungen in der Region gewährleistet. Insgesamt sind der Behörde etwa 3.200 Beschäftigte gemeldet worden, die weder geimpft oder genesen noch ein ärztliches Attest vorlegen konnten. 120 Einrichtungen meldeten, dass bei einem Betretungs- und Tätigkeitsverbot für die betroffenen Mitarbeiter die Versorgungssicherheit gefährdet ist.
Landrat Matthias Damm machte bereits vor zweieinhalb Monaten in einem Brief an Karl Lauterbach auf die prekäre Lage in den Pflegeeinrichtungen aufmerksam. Seine Forderung an den unbeirrbaren Impf-Verfechter: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht müsse aufgrund der schwierigen Personalsituation ausgesetzt werden. CDU-Politiker Damm zweifelt an der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme, da Geimpfte und Ungeimpfte gleichermaßen die aktuellen Corona-Mutationen übertragen würden.
Der Bundesgesundheitsminister glänzt seither mit Ignoranz und schickte die Bürgerkommunikation seines Ministeriums vor, die Damm mit einem „inhaltsleeren Schreiben“ abspeiste. „Lauterbach hat mich abgewimmelt“, wetterte der Mittelsachsen-Landrat gegenüber der „Freien Presse“ – und stellte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Lauterbach.
Mecklenburg-Vorpommern bleibt linientreu
Ob sein Vorstoß von anderen Bundesländern als Steilvorlage für eine Umgehung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht verstanden wird, muss sich noch zeigen. In Mecklenburg-Vorpommern etwa ortet das Gesundheitsministerium hinsichtlich der einrichtungsbezogenen Impfpflicht „dringenden Handlungsbedarf“ bei der Meldung ungeimpfter Mitarbeiter.
Die betroffenen Einrichtungen wurden aufgefordert, Beschäftigte über die Plattform „Impf-MV“ zu melden, die die benötigten Nachweise bisher nicht erbracht haben. Auch wenn Zweifel an der Echtheit des geforderten Nachweises bestehen, soll eine Meldung erfolgen. Wer dem nicht nachkommt, muss mit einem Bußgeld rechnen.
Unabhängig davon, ob und welche Landkreise in anderen Bundesländern folgen: Mittelsachsen wird zumindest zeigen, ob signifikante Unterschiede im Infektionsgeschehen zu den Einrichtungen auftreten, in denen die Impfpflicht weiterhin gilt.
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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Ralf Liebhold/ShutterstockText: dw