Berlin-Demo: Wie es wirklich war und wie die Medien berichten Eindrücke von dem verbotenen Protest in der Hauptstadt

Ich traute meinen Augen nicht, als ich nach rund acht Stunden, die ich in Berlin am Sonntag auf Schritt und Tritt das Demonstrationsgeschehen verfolgt habe, die Überschrift bei »Focus Online« las: „‚Querdenker‘ greifen Berliner Polizei an – Beamte drohen mit Wasserwerfern“. Beim Spiegel lautet die Überschrift: „’Querdenker‘-Demos in Berlin: Überrannte Absperrungen, Angriffe auf Polizisten“. Die Berliner Morgenpost titelt: „Demos in Berlin: Journalistenvertreter brutal angegriffen“ Und: „Tausende Querdenker irren durch Berlin“. Die taz schrieb von ein „paar Hundert“ Teilnehmern – „Verschwörungsläubigen.“ Die Soester Zeitung schrieb: „Polizei setzt gegen Querdenker auf Wasserwerfer und Räumpanzer“.

Per se beziehen sich diese Überschriften zwar auf zutreffende Sachverhalte. Ich wurde selbst Zeuge, wie Demonstranten Polizisten angriffen – nachdem diese zuvor mit großer Brutalität andere Demonstranten zu Boden gerissen hatten und es zu einem Handgemenge kam. Solche Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen. Sie war aber nicht beherrschend. Sie zur Überschrift zu machen – und heute lesen sehr viele nur noch die Überschrift – ist in meinen Augen fragwürdig. Ob das noch journalistische Schwerpunktsetzung oder schon Framing ist, sei dahin gestellt. Zum Vergleich: Sehen Sie sich die Gewalt gegen die Polizei bei der „Black Lives Matter“-Demo vergangenes Jahr in Berlin an – über die ausschließlich positiv berichtet wurde, ohne Hinweise auf die Gewalt, obwohl viel mehr Polizisten verletzt wurden. 

In den acht Stunden habe ich persönlich bis auf eine Szene durchweg gewaltfreie Demonstranten erlebt – wenn auch manche die Beamten beleidigten. Der rbb berichtet von weiteren Übergriffen auf die Polizei. Demnach kam es zu Attacken an Absperrungen. Ein unabhängiger Kollege erzählte auch, dass am Morgen Verkehrsschilder herausgerissen und dann als Waffe auf Polizisten gerichtet worden seien. Polizeisprecher Thilo Cablitz berichtete im Gespräch mit mir, dass zehn Polizisten verletzt wurden, einer von ihnen schwer. So bedauerlich und verurteilenswert das in jedem einzelnen Fall ist – bei Black Lives Matter waren es 28, ohne dass medial darüber groß berichtet wurde. 

Die regelmäßigen manipulativen Versuche vieler großer Medien, die Teilnehmer von Anti-Corona-Maßnahmen-Demos als rechtsradikal darzustellen, wirkten angesichts der Zusammensetzung der Proteste völlig absurd: Hier war im Wesentlichen die bürgerliche Mitte unterwegs – und natürlich, wie bei jeder Demo, auch einige Exzentriker (die großen Medien das Framen erleichtern). Bei einem flüchtigen Überfliegen der Berichte ist mir aufgefallen, dass heute das „Framing“ in Richtung Rechtsradikalismus fehlt. Wie auf Knopfdruck.

Sachlich und neutral ist die Überschrift beim Tagesschau.de-Bericht vom rbb (die Dritten Programme machen überhaupt oft eine Ausnahme vom Framing-Journalismus). Dort heißt es: „Querdenker-Demo und Polizeiaufgebot auf dem Alexanderplatz: Trotz Verbot von Corona-Demos: Tausende ,Querdenker‘ ziehen durch Berlin. Mehrere Tausend Gegnerinnen und Gegner der Corona-Maßnahmen sind trotz eines Demonstrationsverbots durch Berlin gezogen. Die Polizei griff zwar punktuell hart durch, ließ die Demonstranten aber auch oft unbehelligt.“ 

»Polizei überfordert«

Für die Verhältnisse der ARD geradezu vorbildlich war der Bericht in den Tagesthemen: Da wurde zwar nur sehr kurz und unter „ferner liefen“, jedoch ohne das übliche Framing und die häufigen Verzerrungen berichtet. Unterstreichen könnte ich auch die Überschrift der Süddeutschen: „‚Querdenken‘ in Berlin: Polizei überfordert“.

Die Berliner Morgenpost berichtet von dem Übergriff auf den Berliner Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistenunion (DJU) Jörg Reichel in Kreuzberg. Er wurde dort von Teilnehmern der Demonstration vom Fahrrad gerissen und brutal zusammengeschlagen und -getreten. Laut „Tagesspiegel“ musste er mit Verletzungen an Schulter und Bein ins Krankenhaus gebracht werden. So wichtig die Berichterstattung über diesen verurteilenswerten Vorfall ist – dass auch die Polizei Journalisten massiv behinderte (siehe hier) verschweigt die Morgenpost.

Ein beeindruckendes Beispiel für Manipulation liefert auch der Journalist Julius Geiler vom Tagesspiegel. Er nutzt ein Video von mir und betitelt dies wie folgt: „Auch auf dem Alex kam es zu brutalen Angriffen auf Polizeikräfte wie dieses Video zeigt.“ Dass in diesem Fall aber erst ein besonders brutaler Polizeieinsatz zu der Gegenreaktion führte – was diese nicht rechtfertigt – verschweigt Geiler seinen Lesern. Dass Geiler mein Video ohne Genehmigung benutzt, ist ein Verstoß gegen das Urheberrecht. Ich könnte ihn dafür kostenpflichtig abmahnen lassen, aber auf dieses Niveau möchte ich mich nicht begeben – anders als Kollegen wie Patrick Gensing von der ARD oder Tilo Jung mir gegenüber.

Martin Heller von der Welt applaudiert gar zu der Polizeigewalt:

Bemerkenswert war an diesem Tag, dass die Polizei massiv überfordert war mit der Taktik der Demonstranten, die offenbar spontan entstand. Wenn die Beamten den Protestzug durch Schöneberg und Kreuzberg stoppen wollten, drehten die Teilnehmer jeweils um. So entstand ein Katz und Maus-Spiel, bei dem die Polizei trotz Hubschraubereinsatz das Nachspiel hatte. Sie sah damit etwas gelackmeiert aus – vor allem nach ihren Ankündigungen im Vorfeld, alle Ansammlungen zu unterbinden.

Mein Fazit: Ich habe eine bis auf wenige bedauerliche Einzelfälle – an denen es nichts zu relativieren gibt – friedliche Demo aus der Mitte der Gesellschaft erlebt. Die Berliner Polizei war offenbar mit der Menge der Demonstranten überfordert und schaffte es nicht, ihre Ankündigung wahrzumachen, Zusammenkünfte zu verhindern. Allerdings verzichtete sie dabei auch auf die „Brechstange“. Die angedrohten Wasserwerfer kamen nicht zum Einsatz, in vielen Momenten agierte die Polizei brutal – aber ebensowenig wie man die Angriffe auf die Polizei verallgemeinern darf auf die gesamte Demo, darf man die leider doch recht zahlreichen brutalen Einzeleinsätze nicht auf den gesamten Polizeieinsatz übertragen. Der eigentliche Skandal war das Verbot der Demo; die Durchsetzung des Verbots war für die verrohten Maßstäbe Berlins im Rahmen dessen, was zwar nicht sein sollte, woran man sich aber schon fast gewöhnt hat. 

In Sachen Medien: Nachdem mein Erwartungshorizont nach schlimmen Erfahrungen in den letzten zwölf Monaten sehr niedrig war, erfüllten sich meine schlimmen Befürchtungen nicht, was die Berichterstattung angeht.

Und meine ganz persönlichen Eindrucke: Ich fremdle nach diesem Sonntag noch mehr mit meinem Land. Genauer gesagt nicht mit dem Land, sondern mit  Politik und Medien. Das Verbot der Demo, die brutalen Szenen – sie sind aufwühlend und machen Angst. Besonders bedrückend waren für mich zwei Szenen mit massiven Aggressionen und Hass gegen mich von Anwohnern. Die hatten mich nicht erkannt, waren aber so hasserfüllt und aggressiv gegen alles, was aus der Demonstration kam, dass man Angst bekommt, wie gespalten und hasserfüllt unsere Gesellschaft heute ist. (Ein Video der beiden Szenen werde ich noch hochladen).

PS: Nachdem ich diesen Text fertig geschrieben habe, schaute ich mir das Video an, das mein Mitarbeiter für mich zusammengeschnitten hat – mit Szenen aus meinen Livestreams und seinen Aufnahmen. Die brutale Gewalt darin hat mich extrem erschüttert. Und auch, dass ich sie offenbar beim Schreiben schon teilweise verdrängt und auch relativiert habe. Darum lasse ich den Text so stehen, zu Dokumentationszwecken – weise aber ausdrücklich darauf hin, dass ich solche Brutalität durch nichts gerechtfertigt sehe. Auch wenn Einzelne selbst Gewalt gegen die Polizei angewandt haben, was heftig zu verurteilen ist – es ist keine Rechtfertigung dafür, dass Beamte so mit friedlichen Demonstranten umgehen. Die Szenen sind aufwühlend, und mich machen sie sehr betroffen. Bitte sehen Sie es sich nur an, wenn Sie starke Nerven haben – hier.

PS: Youtube hat das Video mit einer Altersfreigabe versehen, wie zuvor schon harmlose Videos – nur Erwachsene können es jetzt sehen, und damit nur registrierte Nutzer. Entweder handelt es sich um indirekte Zensur, oder Youtube stuft die Brutalität der Berliner Polizei als nicht jugendfrei ein. Auf jeden Fall verlinke ich das Video hier auf einer (zensur)freien Plattform:

 

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
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Bild: Boris Reitschuster
Text: BR

 

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