Blut an den Händen Markige Worte sollen verschleiern, dass der Westen Putins Angriffskrieg finanziert

Ein Gastbeitrag von Annette Heinisch

Die USA sind mittlerweile weitgehend unmaskiert. Dabei geht es nicht nur um den Umgang mit COVID-19, denn in den USA ist die Maskenpflicht weitgehend gefallen, andere Restriktionen sind es schon länger. Demaskiert hat sich auch der Präsident Joe Biden bezüglich des Umgangs mit der Invasion in die Ukraine. Markige Worte und Mahnwachen sind alles, was der Westen zu bieten hat. Diese sollen verschleiern, dass Putins Angriffskrieg weiter vom Westen durch die Energiegeschäfte finanziert wird. Anders gesagt: Auch wir Deutschen finanzieren die Raketen, die in Kiew und Charkiw Menschen töten. Derzeit tobt der Kampf um Kiew, die Opferzahlen werden „unglaublich sein“, so die Experteneinschätzungen, die Stadt werde „Ersticken oder Brennen“.

Wer glaubte, Präsident Biden mache in seiner „State of the Union“- Rede seinen fatalen Fehler, ein militärisches Eingreifen der USA als Garantiemacht auszuschließen und damit den Startschuss für die Invasion in die Ukraine zu geben, rückgängig, sah sich getäuscht. Putin werde einen hohen Preis zahlen, man werde die Yachten, Apartments und privaten Flugzeuge der Oligarchen aufspüren. Wirklich? Die meisten im Ausland befindlichen Werte wurden schon längst in Sicherheit gebracht, nicht zuletzt die 87 Millionen Euro schwere Yacht „Graceful“, die Wladimir Putin gehört. Anfang Februar verließ sie überstürzt die Hamburger Werft Blohm + Voss, nun ist sie verschwunden. Das wirft ein Schlaglicht auf die Divergenz zwischen den markigen Worten, die Aktionismus vortäuschen und den realen Effekten, welche die Sanktionen haben.

„Die westlichen Demokratien verfolgen das grausame Spektakel mit politischer Anteilnahme, aber ohne wirkliche Gegenwehr seitens der Regierungen. Richtig ist: Das westliche Sanktionsregime ist das härteste, das je gegenüber Russland ausgesprochen wurde. Aber genauso richtig ist auch: Es ist nicht hart genug, um die russische Volkswirtschaft in ihrem Kern zu treffen“, so Gabor Steingart mit einer treffenden Einschätzung der Auswirkungen der Sanktionen.

Natürlich haben diese auch negative Auswirkungen, sogar erhebliche, nur ist das keine Einbahnstraße. Diese müssen auch die westlichen Wirtschaften fürchten, allen voran die deutsche. Dabei dürfte die Inflation langfristig das geringste Problem sein.

Moralische Unterstützung und Mahnwachen sind allerdings zumindest für die Schutzmächte, d. h. die Mächte, welche die Sicherheit und territoriale Integrität der Ukraine im Budapester Memorandum 1994 garantiert haben, völlig unzureichend. Joe Biden, Boris Johnson und Emmanuel Macron haben die Ukraine zum Abschuss freigegeben und versuchen sich nun in Vertuschung, denn sie fürchten die Wut ihrer eigenen Bürger, deren moralischer Kompass sagt, dass man einem Wehrlosen, der einer Schlägertruppe ausgeliefert ist, Beistand leistet, dies vor allem dann, wenn man das zugesagt hat. So wird Kiew auf kurz oder lang für Biden das werden, was er verhindern wollte: Ein zweites Kabul, denn es bezeugt den Niedergang der USA ebenso deutlich.

Das Desinteresse der USA an Europa, dieses „Lasst sie doch machen, was geht es uns an“, ist dasselbe Verhaltensmuster, welches die zwei Weltkriege des letzten Jahrhunderts beförderte. Erst als praktisch alles zu spät war, griffen die USA in den Krieg ein. Wäre dies früher oder gar am Anfang geschehen – wie viel Tote und Leid wären verhindert worden?

Als die westlichen Garantiemächte ein militärisches Eingreifen ausschlossen, war das Schicksal der Ukraine besiegelt. Auch insoweit herrscht dasselbe Appeasement-Denken im Westen vor, welches den Weg zu den Katastrophen des letzten Jahrhunderts ebnete. Dies zeigt deutlich, dass Putins Einschätzung des Westens völlig korrekt war. Der Westen ist schwach, mehr als Nadelstiche und Worthülsen hat er nicht zu bieten, also kann Putin aus seiner Sicht ungestraft ein fremdes Land einnehmen und so viele Menschen töten, wie er will. Er kann den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj entweder von den Wagner-Söldnern kidnappen oder töten lassen. Oder er nimmt ihn, Vitali Klitschko und viele tapfere Ukrainer fest. An dem Instrumentenkasten für die Schauprozesse wird schon gearbeitet. Am 26. Februar 2022 gab der Vize-Vorsitzende des nationalen Sicherheitsrats und ehemalige russische Präsident, Dmitri Medwedew, die Richtung vor. Die Entscheidung des Europarates, Russlands Mitgliedschaft „auszusetzen“, nannte er „‚unfair‘. Dies sei für Russland ein Grund, ‚die Tür zu dieser Organisation endgültig zuzuschlagen‘ und Russland die Möglichkeit zu geben, die Todesstrafe wieder einzuführen.“

Der Westen hat jeden Tropfen Blut, der in der Ukraine vergossen wird – auch das der russischen Soldaten – an den Händen.

Der Westen ist genau das „Weichei“, für das Putin ihn hält. Das entlarvt übrigens die Behauptung, Putin wolle aus verständlichen Sicherheitsinteressen lediglich einen Cordon sanitaire, als reine Propaganda. Er selbst begründet seine Invasion nicht einmal damit, die Behauptung wäre aber auch früher leicht als Lüge zu entlarven gewesen. Jeder, der häufiger Verhandlungen führt, weiß, dass die Kenntnis des Gegners entscheidend für den Erfolg ist. Dessen Denkweise, Interessen und Möglichkeiten muss man realistisch einschätzen. Wie ich bereits früher schrieb, sollte man weder Putin für dumm halten, noch seine geheimdienstlichen Möglichkeiten geringschätzen, er wusste und weiß genau, dass der Westen für ihn keine Bedrohung darstellt. Er kann seinen Gegner einschätzen, diese Fähigkeit ist dem Westen jedoch aufgrund seiner Scheuklappen, die aus ideologischer Verblendung und verlorenem Realitätssinn bestehen, abhanden gekommen.

Nach der Einschätzung des Centre for European Reform, einer unabhängigen Denkfabrik zur Unterstützung der EU, ist es Putins Ziel, den Westen zu demütigen. Der Westen müsse sich auch von der weit verbreiteten Idee verabschieden, er müsse Putin einen gesichtswahrenden Ausweg anbieten. Dieses widerspräche dessen Denkweise, die nur Sieg oder Niederlage kenne.

Die Hybris des Westens, die eigene Kultur und Denkweise als universell anzusehen, damit andere Kulturen und Denkweisen zu negieren, ist eine tödliche Gefahr für ihn selbst, denn nur wer sich in die Gedankenwelt des Gegenübers versetzen kann, wird dessen Verhalten richtig einschätzen und sich entsprechend vorbereiten können.

Die westlichen Führer und wohl auch große Teile der Bevölkerung denken, man könne Staaten wie Russland und China durch Sanktionen treffen. Damit wird die eigene, rein materielle Denkweise auf die Führer dieser Staaten projiziert, was zu fatalen Fehleinschätzungen führt. In diesem Spiel um Macht und Einfluss, das weit über materielle Werte hinaus geht, werden diese Maßnahmen vom Gegner nur als Bestätigung des durch Propaganda vermittelten falschen Eindrucks genutzt, der Westen sei ein Gegner des russischen Volkes. Damit können sie sogar kontraproduktiv wirken. Putin selbst und seine Umgebung werden zusätzlich gereizt und noch gefährlicher. Letztlich kann er abwarten, denn mit der Zeit werden die Sanktionen wirken, nicht nur in Russland, sondern auch in Europa. Anders als Russland sind die Staaten der EU aber nicht darauf vorbereitet, sie haben ihre Resilienz durch die Klima- und zuletzt Corona-Politik vollends verspielt.

Der Westen beherrscht nicht einmal  mehr die Grundregeln dieses „Spiels“ um Macht und Einfluss. China wird sich nun sehr genau anschauen, wie der Westen Putin gewähren lässt. Nichts könnte sie mehr ermutigen, ihre eigenen expansiven Pläne in die Tat umzusetzen.

China hat in den letzten Jahren massiv aufgerüstet. Der Kern des Konzepts: Das China vorgelagerte Südchinesische Meer soll als Territorialgewässer vereinnahmt werden mitsamt der „abtrünnigen Provinz“ Taiwan. Damit hätte Peking die Kontrolle über die Haupthandelsstraße im Indopazifik. Raketen sind für diesen Ansatz die zentrale Waffe. Chinas Streitkräfte rüsten konsequent ein umfangreiches Arsenal von Kurz- und Mittelstreckenraketen sowie Marschflugkörpern auf und entwickeln deren Zielerfassung und Treffgenauigkeit weiter – gerade auch gegen bewegliche Ziele. Wegen ihrer hohen militärischen Bedeutung sind die landgestützten Systeme sogar in einer eigenen Teilstreitkraft gebündelt.

„Ein massenhafter Raketen-Einsatz droht inzwischen selbst die Abwehr kampfstarker amerikanischer Flottenverbände um Flugzeugträger wie die ‚USS Ford‘ zu überfordern, sollten diese auf China vorstoßen, beispielsweise, um bei einer Invasion Taiwans einzugreifen.“ Außerdem baut China sein Küstenvorfeld zielgerichtet zu einer Verteidigungszone aus mit Sensoren zur Aufklärung und Störung auch auf künstlich errichteten Inseln.

Vor diesem Hintergrund wäre es klug, wenn der Westen konsequenter gegen die russische Invasion vorgehen würde und nicht wie bei der ersten Invasion Russlands in die Ukraine in 2014 in langwierigen Verhandlungen letztlich nur den Status quo festschreibt. Denn spätestens diese (wenn nicht sogar der Georgien-Feldzug) war ein Weckruf, schon damals begann die Eroberung, was im Westen fatal verkannt wurde. In den betroffenen Gebieten kosteten die andauernden Kämpfe, die hier in Deutschland als Frieden galten und unterhalb der Wahrnehmungsschwelle blieben, Menschenleben und bedeuteten fortwährendes Leid. Natürlich hat Putin den damaligen Landgewinn als Sieg verbucht – dass er weitermachte, war nur eine Frage der Zeit. Daher hat sich die Ukraine seit 2014 auf die Fortsetzung der russischen Invasion vorbereitet im Bewusstsein der Tatsache, dass der Kampf eigentlich hoffnungslos ist. Dennoch war den Ukrainern ihr Land und ihre Freiheit jeden Kampf wert.

Oft hört man den Satz, die NATO sei ein Verteidigungsbedürfnis und könne nicht eingreifen, weil sie nicht angegriffen wurde.

Das ist richtig, die NATO verhält sich korrekt. Sie könnte aber zu Hilfe kommen, wenn sie von einem Angegriffenen gerufen würde. Zudem können einzelne Mitgliedsstaaten außerhalb des Bündnisses aktiv werden. Ähnliches ist bereits in der Vergangenheit geschehen, die USA z. B. waren sowohl am Zweiten Golfkrieg maßgeblich beteiligt, als auch am Irak-Krieg. Nun scheint Polen eine derartige Option zumindest zu überlegen, indem es angeblich die Bereitschaft erklärte, dass ukrainische Piloten mit polnischen Maschinen von polnischen Stützpunkten aus starten würden.

Dies hat der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, schnell unterbunden. Polen war neben den Baltenstaaten das Land, das seit Jahren die von Putin ausgehenden Gefahren völlig richtig beurteilte. Jetzt wird dort das Risiko als sehr hoch eingeschätzt, dass – wenn man Putin jetzt nicht stoppt – genau das kommt, was man fürchtet und verhindern will: einen großen, langen Krieg. Vielleicht wäre es klug, der deutlich treffenderen Einschätzung Putins durch Polen und die baltischen Staaten zu folgen und sich stärker zu engagieren. Eine Flugverbotszone über der Ukraine, die von den Garantiemächten kontrolliert wird, käme durchaus in Betracht.

Auch die Lieferung von Raketensystemen oder die Auslieferung der angebotenen, auf Lager befindlichen Flugabwehrkanonenpanzer „Gepard“ wären hilfreich.

Angesichts des unsagbaren Leids und der Toten, welches auch auf das langjährige deutsche Fehlverhalten aufgrund surreal anmutender Einschätzungen zurückzuführen ist, ist jedenfalls der Jubel über den deutschen Sinneswandel in peinlicher Weise abgeschmackt.

Das Selbstbeweihräuchern auf den Gräbern unschuldiger Menschen zeigt die völlige Abwesenheit jeden Mitgefühls und moralischer Integrität. Auch Deutschland hat Blut an den Händen, für selbstgerechten Jubel ist kein Platz. Ist der Masse der Beifallklatschenden eventuell einmal der Gedanke gekommen, dass Kanzler Olaf Scholz nicht einfach über Nacht eine plötzliche Erleuchtung hatte? Könnte es nicht sein, dass er erstmals die Bedrohung für Deutschland wirklich realistisch erkennt? Mit der Sicherheit Deutschlands begründete er immerhin den Paradigmenwechsel. Vielleicht wurde ihm bewusst, dass man auf den Beistandspakt der NATO nichts geben kann, denn Schutzgarantien des Westens sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen und Atomwaffen hat Deutschland nicht. Wie lange dauert es, bis diese Erkenntnis in vollem Umfang in Deutschland ankommt?

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Annette Heinisch. Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank- und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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