Von Kai Rebmann
Immer mehr Bundesländer bereiten sich auf Szenarien vor, die man bisher nur aus Filmen oder weit entfernten Ländern kannte. Deutschland steht ein stürmisches Winterhalbjahr bevor, so viel scheint festzustehen. Bei der Berliner Polizeilandesdirektion werden derzeit verschiedene Katastrophen-Szenarien entwickelt, um die Reaktionen der Bevölkerung auf bestimmte Situationen besser vorhersagen zu können. In einem ersten Schritt soll dabei geprüft werden, inwieweit die lokalen Polizeistationen mit Notstromaggregaten und Satelliten-Telefonen ausgestattet sind und ob die Treibstofftanks ausreichend gefüllt sind. Ähnliche Maßnahmen wurden unlängst bereits bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen in die Wege geleitet.
Kernstück dieser vorbereitenden Maßnahmen in der Bundeshauptstadt ist jedoch ein dreistufiges Katastrophen-Szenario, das von Verteuerung über Verknappung bis hin zum Blackout reicht. Für Stufe 1 (Verteuerung) müsste die Polizei in Berlin eigentlich gar kein Szenario mehr entwickeln, ein einfacher Blick aus dem Fenster würde reichen. Die Inflation bewegt sich in Deutschland seit geraumer Zeit zwischen sieben und acht Prozent. Schon jetzt müssen immer mehr Bürger den Gürtel deutlich enger schnallen, den kleinen und mittleren Unternehmen droht eine beispiellose Insolvenzwelle. Solche Sorgen kennen die Beamten in der Landespolizeidirektion natürlich nicht, weshalb sie mit der Entwicklung von Konzepten gegen Demonstrationen infolge einer Verteuerung bezeichnenderweise erst anfangen, wenn die daraus resultierenden Proteste auf den Straßen Berlins längst Alltag sind.
Landeskriminalamt rechnet mit Unruhen und Aufmärschen
Besser spät als nie, will man sagen, und richtet den Blick auf die zweite Stufe des Blackout-Szenarios, die Verknappung von Energie. Auch dieses Ereignis gilt polizeiintern als „wahrscheinlich“. Offen bleibt in dem Strategiepapier die Frage, ob es sich um eine physische bzw. tatsächliche Knappheit der Energie handelt, oder sich die Bürger Strom, Gas oder Öl schlicht nicht mehr leisten können. Das Ergebnis wäre aber in beiden Fällen wohl dasselbe, die Demonstrationen würden sich nach und nach zu etwas ausweiten, was die Landespolizeidirektion und das Landeskriminalamt als „Unruhen“ und „Aufmärsche“ bezeichnen. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und weitere Politiker haben in diesem Zusammenhang wohl nicht umsonst schon vor Volksaufständen gewarnt.
Richtig ungemütlich dürfte es für die Ordnungshüter aber werden, wenn Stufe 3 des Katastrophen-Szenarios gezündet wird, der Blackout. Mancherorts wird in Medien und Politik zwar die Sprachregelung vom „großflächigen Stromausfall“ bevorzugt, das hört sich nicht ganz so dramatisch an. Aber die Polizei in Berlin und wohl auch andernorts in Deutschland weiß natürlich sehr gut, was in diesem Fall auf sie zukommen wird. Spätestens dann ist auch mit Plünderungen und einem Zusammenbruch der Infrastruktur in fast allen relevanten Bereichen zu rechnen.
Ein Sprecher erklärte dazu: „Die Polizei Berlin fokussiert sich hierbei auf die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bestimmter Reaktionen.“ Als Mitverantwortliche für die Sicherheit in der Hauptstadt sei es für die Polizei Berlin selbstverständlich, „sicherheitsrelevante Situationen“ vorzudenken, zu planen und vorzubereiten, so der Sprecher. Es spricht natürlich für sich und lässt tief blicken, dass die Landespolizeidirektion und das Landeskriminalamt mit dieser „Selbstverständlichkeit“ ausgerechnet und erst jetzt anfangen. Der Entwurf dieses Katastrophen-Szenarios soll bis Ende September zum Abschluss gebracht werden. Gut möglich, dass dieses Papier nicht allzu lange in der Schublade wird ausharren müssen, ehe es tatsächlich zum Einsatz kommt.
Baden-Württemberg plant kommunale Notfalltreffpunkte
Während in Nordrhein-Westfalen und Berlin derzeit insbesondere Polizei und Landeskriminalämter auf den Ernstfall vorbereitet werden, richtet sich der Blick im Südwesten auf die Kommunen. Die grün-schwarze Regierung in Stuttgart will die Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg bei der Einrichtung sogenannter „Notfalltreffpunkte“ unterstützen. Mit der Gefahr drohender Blackouts soll das laut Innenminister Thomas Strobl (CDU) aber allenfalls am Rande etwas zu tun haben. „Ob der Krieg in der Ukraine, ein Cyberangriff oder Hitzesommer mit extremem Niedrigwasser: Wir sind verwundbar und müssen uns deshalb bestmöglich auf kritische Situationen vorbereiten“, wird der stellvertretende Regierungschef in einer Pressemitteilung zitiert. Erst danach erwähnt Strobl quasi beiläufig, dass es dabei auch darum gehe, „Maßnahmen für die Folgen eines länger andauernden, lokalen oder großflächigen Stromausfalls mit all seinen Begleiterscheinungen zu treffen.“ Mit Hitzewellen wird in den nächsten Wochen und Monaten in Baden-Württemberg eher nicht zu rechnen sein, Blackouts sind dafür umso wahrscheinlicher.
Die Regierung in Stuttgart teilt weiter mit: „Das Land unterstützt die Städte und Gemeinden bei der Planung und dem Betrieb von Notfalltreffpunkten, die landesweit möglichst flächendeckend eine entsprechende Versorgung der Bevölkerung im Land sicherstellen sollen.“ Man werde den Kommunen dabei eine „Rahmenempfehlung für die Planung und den Betrieb von Notfalltreffpunkten für die Bevölkerung in Baden-Württemberg“ sowie die „Grundlagen für die Einrichtung dieser Notfalltreffpunkte“ zur Verfügung stellen. Bestandteile dieses „einmaligen Ausstattungssets für Kommunen“ seien unter anderem eine „Notstromversorgung und ein Erste-Hilfe-Notfallset“, so die Landesregierung. Dazu nochmal Thomas Strobl: „In den Notfalltreffpunkten können betroffene Bürgerinnen und Bürger Schutz finden, sie können dort Erste Hilfe oder nützliche Informationen zur aktuellen Lage erhalten. Auch können die Menschen dort mit dem dringend Nötigsten, etwa Wasser und Lebensmitteln, versorgt werden. Örtliche Notfalltreffpunkte sind ein wichtiger kommunaler Ansatz zum Schutz der Bevölkerung im Ernstfall.“
Baden-Württemberg orientiert sich bei diesen Notfalltreffpunkten offenbar am Schweizer Vorbild, wo diese namensgleichen Einrichtungen schon seit mehreren Jahren existieren. Der wichtige Unterschied besteht jedoch darin, dass die Eidgenossen ihre Bevölkerung damit in erster Linie auf Naturkatastrophen wie Murgänge, Lawinen oder Hochwasser vorbereiten wollen, die in der Schweiz deutlich häufiger vorkommen als in Baden-Württemberg oder anderen Regionen Deutschlands. Notfalltreffpunkte in der Schweiz gibt es bisher in den Kantonen Aargau, Bern, Luzern, Nidwalden, St. Gallen, Schaffhausen, Solothurn, Thurgau, Zürich und der Stadt Zug.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Wirestock Creators / ShutterstockText: kr
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