Von Alexander Wallasch
Die Bundespressekonferenz war eine der ersten bundesdeutschen Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich einen Namen gegeben hat, der beim Bürger bis heute so klingt, als handle es sich um eine staatliche Organisation. Ähnlich erfolgreich sind beispielsweise die Landesflüchtlingsräte, jeweils mit dem Bundesland im Namen vorangestellt.
Der eingetragene Verein „Bundespressekonferenz“ ist eine Organisation von Journalisten mit festem Haus in der unmittelbaren Nähe zur Bundesregierung, aber ursprünglich nicht regierungsnah angelegt. Hier werden Regierungsvertreter oder ihre Sprecher eingeladen, auf Fragen Antwort zu geben.
Die edle Rückwand hinter den Regierungssprechern mit dem Schriftzug des Vereins auf dieser merkwürdigen Wandfarbe, die am besten als durchgerührter Blaubeerjoghurt zu umschreiben wäre, ist regelmäßig fester Bestandteil der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen, die so zum staatstragenden Ruf des Hauses mit der parlamentsähnlichen Sitzordnung vor einer Art Regierungsbank noch beigetragen haben.
Wikipedia schreibt enthusiastisch über die Veranstaltungen der Bundespressekonferenz: „Dadurch kommen auch Journalisten, die für ihre kritischen Fragen bekannt sind, stets zu Wort.“
Das ist schon ein bisschen spaßig, denn was sollen das ansonsten für merkwürdige Journalisten sein, die keine kritischen Fragen stellen würden?
Damit sind wir dann schon mitten im Auge des Hurrikans, der sich gerade über dieser NGO zusammengebraut hat. Denn demnächst könnte es durchaus sein, dass Wikipedia diesen für eine Enzyklopädie sowieso viel zu werblichen Satz bald ganz löschen muss. Die Regierungsberichterstattung will sich nämlich solcher kritischen Stimmen zeitnah entledigen.
Kritische Fragen? Nächste Frage!
Hauptverantwortlich dafür dürfte der Journalist Boris Reitschuster von reitschuster.de sein, der offensichtlich zu viel Wikipedia gelesen hat, sonst hätte er nämlich verstanden, dass diese Sache mit den kritischen Fragen nicht ganz ernst gemeint gewesen ist.
Das eingestaubte Haus leidet schon seit vielen Monaten unter einer neuen Prominenz, die es durch eine regelmäßige Abbildung auf dem populären Portal erfährt.
Die Gäste der Bundespressekonferenz sahen zuletzt immer schlechter aus und gar nicht mehr so souverän, wie man es aus der Tagesschau jahrzehntelang gewohnt war. Beispielhaft hier die aufgeregt roten Wangen von Steffen Seibert, sein oft gehetzter bis abfälliger Blick – solche Gemütsregungen waren beim Sprecher der Bundesregierung bisher auch dank eingeschliffener gegenseitiger Gefälligkeitsrituale unsichtbar geblieben.
Aber nicht nur Seibert und Co mussten sich an die neue journalistische Härte gewöhnen, auch die Kollegen von Reitschuster standen teilweise wie begossen da, denn schlagartig wurde deutlich, was für die Presse in diesem Haus möglich wäre, wenn man seinen Job nur ernst nehmen würde.
Der Eindruck nämlich, es handle sich bei der Bundespressekonferenz um eine Regierungsveranstaltung, lag ja nicht nur am so wohlklingenden Namen, sondern viel mehr an der teilweise schon konspirativ wirkenden Atmosphäre in diesem Haus zwischen Fragenden und Befragten.
Die Kollegen hatten Boris Reitschuster auf dem Kieker und waren ganz froh, dass sie den mittlerweile in ihren Reihen assimilierten, linkspopulistischen Blogger Tilo Jung (Jung & Naiv) in der Bundespressekonferenz wussten, den sie zwar niemals zu ihresgleichen zählen würden, der sich aber mit seinem Eintreten gegen Reitschuster so etwas wie das vorübergehende Wohlwollen der etablierten Medien sowie der sich durch Reitschuster so beengt fühlenden Regierungssprecher verdient hatte.
Oder kürzer gesagt: Die Konferenz und die Regierungsvertreter haben ein gemeinsames Interesse: Es soll wieder Ruhe einkehren im Haus, diese begossenen Gesichter brennen sich sonst ein bei den Zuschauern; Regierung und nicht kritisch nachfragende Journalisten geraten in Misskredit.
Wo ist die neue Sachlichkeit?
Aber wie jetzt gegen dieses wachsende innere Unwohlsein vorgehen? Die Bundespressekonferenz im Berliner Regierungsviertel will ihre Satzung ändern, wie die Welt – natürlich vollkommen unsachlich – unter dem mehr als angriffslustigen Titel „Gelebter Größenwahn“ berichtet.
Die Mitgliederversammlung am 20. September soll die Änderungen bestätigen. Aber um welche geht es? Bisher war eine ausreichende Bedingung für die Mitgliedschaft von Journalisten, dass Kollegen ihr Geld hauptberuflich verdienen. Jetzt soll diese Bedingung ergänzt werden durch die Forderung, die Tätigkeit solle „einer sachlichen Information der Öffentlichkeit über das politische Geschehen dienen“.
Die Welt zitiert konkret aus der vorgeschlagenen ergänzten Satzung: „Mitglieder der Bundespressekonferenz sind einer sachlichen, fairen und an Tatsachen orientierten Berichterstattung verpflichtet.“ Und weiter: „Die Pressekonferenzen der Bundespressekonferenz dienen einer sachlichen Vermittlung von politischen Informationen, Aussagen und Positionen. Die Bundespressekonferenz schafft damit die Grundlage für einen freiheitlichen, kritischen und unabhängigen Diskurs in der demokratischen Öffentlichkeit.“
Die Kollegen werden also von ihrem Vorstand ermahnt und angewiesen, sachlich zu bleiben – diese neue Sachlichkeit soll in die neue Satzung eines Vereins eingeschrieben werden, den die Welt „größenwahnsinnig“ nennt bezüglich der Annahme, der Verein schaffe so eine neue Grundlage für einen kritischen Diskurs.
Was ist die Bundespressekonferenz? Ort der Entgegennahme von Informationen der Regierung und ihrer Vertreter? Soll die Fragemöglichkeit ganz abgeschafft werden, wo doch Medien und ihre Vertreter von Süddeutsche bis Zeit selbst schon ihre kritische Haltung gegenüber der Bundesregierung fast ganz abgelegt haben?
Oder um es mit den Worten des Chefs der Bildzeitung, Julian Reichelt, zu formulieren: „Es haben halt große Teile der deutschen Medien einfach sich während der Corona-Krise dem Bereich Propaganda zugewandt.“
Es wird schwierig, denn von nun an muss der Verein immer wieder neu entscheiden, was sachliche Berichterstattung ist und was nicht. Würde man hier jedenfalls die Maßstäbe von Julian Reichelt anlegen, dann säßen die Regierungsverteter bald alleine vor Reichelts Gesandten und natürlich vor Boris Reitschuster.
Reißleine gegen Reitschuster
Die Welt fordert vom Vorstand der Bundespressekonferenz ihren Ruf zu retten, die „Reißleine“ zu ziehen und den Entwurf zu einer misslungenen Referentenarbeit zu erklären.
Die Kommentare zu besagtem Artikel (hinter Bezahlschranke) spiegeln allerdings sehr wohl wider: Die Leser meinen zu wissen, gegen wen sich der Referentenaktionismus des Vorstandes richtet.
Jürgen G. beispielsweise schreibt: „Ich empfinde das als eine Lex Boris Reitschuster.“ Und ein Lars M. ergänzt: „Damit möchten Sie Herrn Reitschuster loswerden, den einzigen wirklich kritischen Kopf bei der Veranstaltung.“
Dem ist nichts hinzuzufügen. Am 20. September stimmen also Journalisten darüber ab, zukünftig zu Annahmestellen von Informationen und Desinformationen der Regierung degradiert zu werden und keine kritischen Fragen mehr zu stellen.
Letzteres allerdings betrifft die meisten der Kollegen ja gar nicht mehr. Mit der Satzungsänderung bittet man die teilnehmenden Journalisten um nicht weniger, als einen der kritischsten unter ihnen von der Befragung der Bundesregierung auszuschließen – und das ist weit mehr als nur ein bräsiger Appell an die Gemütlichkeit.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Da es sich hier um einen Bericht über die Bundespressekonferenz handelt, deren Mitglied ich bin, möchte ich explizit betonen, dass ich mir die Inhalte nicht zu eigen mache. Ich will und kann meinen Autoren aber auch nicht verwehren, ihre eigene Meinung zu diesem Thema kund zu tun.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“. Dieser Artikel erschien zuerst auf seiner Seite alexander-wallasch.de
Bild: Boris Reitschuster/Ekaterina QuehlText: wal