Von Kai Rebmann
Die Mühlen der deutschen Justiz mahlen bisweilen sehr langsam, aber zumindest scheint der Rechtsstaat in der Bundesrepublik temporär noch zu funktionieren. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat jetzt die zum 1. August 2016 in Kraft getretenen Änderungen des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes kassiert. Die Richter unter Vorsitz von Stephan Harbarth sind zu der Auffassung gelangt, dass unter anderem dem Geheimdienst zu weitreichende Befugnisse eingeräumt worden sind, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar seien. Das Verfassungsschutzgesetz wurde ausschließlich mit den Stimmen der CSU-Fraktion verabschiedet, da die Christsozialen damals über eine absolute Mehrheit in Bayerns Landtag verfügten. Die Grünen sind nach der Abstimmungsniederlage im Parlament bereits im Jahr 2017 vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof gezogen, ein Urteil steht nach wie vor aus. Dem Urteil aus Karlsruhe liegt eine Klage von drei Mitgliedern der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) zugrunde, die von Bayerns Verfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflusste Organisation“ eingestuft wird.
Die Landesregierung in Bayern hat nun bis zum 31. Juli 2023 Zeit, die vom Bundesverfassungsgericht bemängelten Verstöße gegen die Grundrechte der Bürger zu beseitigen. Als verfassungswidrig wurden von den Richtern in Karlsruhe unter anderem die in Bayern geübte Praxis der langfristigen Observierung von Personen, die Ortung von Handys, das Abrufen von Vorratsdaten, der Einsatz von V-Personen und die Überwachung von Wohnräumen verurteilt. Dr. Hans Reichhart, der damalige CSU-Abgeordnete und Vorsitzende der Jungen Union Bayern, hatte die von seiner Fraktion durchgedrückten Änderungen des Verfassungsschutzes am 7. Juli 2016 noch in den höchsten Tönen gelobt. „Der bayerische Verfassungsschutz ist die Speerspitze zur Verteidigung der Demokratie. Er ist unser Schild bei der Bekämpfung von Rechts- und Linksextremismus, von Islamismus und Kriminalität. Unser Verfassungsschutz ist auf keinem Auge blind“, so der heutige Landrat von Günzburg.
Bürger müssen vor übergriffigem Staat geschützt werden
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, besagt ein altbekanntes Sprichwort. Dass man es mit dieser Kontrolle auch übertreiben kann, zeigt nicht zuletzt das aktuelle Beispiel aus Bayern. Im Dezember 2021 beteuerte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass ein besserer Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden notwendig sei, um etwa Terroranschläge wie jenen auf den Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 zu verhindern. Weder den Richtern noch der Opposition im Bayerischen Landtag ist dabei aber entgangen, dass die Landesregierung unter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) recht schnell dabei ist, wenn es auch in anderen Zusammenhängen um die Einschränkung von Grundrechten geht. Dementsprechend zufrieden zeigte sich der FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae gegenüber der Welt: „Mit diesem wegweisenden Urteil wird den maßlosen Überwachungsfantasien der Union Einhalt geboten.“
In ähnlicher Weise äußerte sich Wolfgang Kubicki, der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, via Facebook:
„Ein auf breiter Front verfassungswidriges Gesetz ist das Ergebnis der CSU-Bemühungen, unsere Verfassung zu schützen. Die gut gemeinte Intention, die Bürger vor Gefahren zu schützen, ist eben noch lange keine Legitimation für Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Unverletzlichkeit der Wohnung oder das Fernmeldegeheimnis. Es zeigt sich einmal mehr, dass der Reflex zur grenzenlosen Ausweitung staatlicher Befugnisse angesichts abstrakter Gefahrenlagen nicht zu unserem liberalen Rechtsstaat passen. Bedauerlicherweise offenbart die CSU hier seit jeher größere Defizite, die sich nicht zuletzt in der Corona-Pandemie wiederholt gezeigt haben. Nicht der Bürger muss seine Freiheit rechtfertigen, sondern der Staat die Freiheitseingriffe. Und er braucht stichhaltige Gründe. Die bloße Behauptung von Gefahren reicht dabei ebenso wenig wie der pauschale Verweis auf möglicherweise eintretende Gefährdungen. Das Ziel allein rechtfertigt eben nicht die Mittel, egal ob das Ziel Terrorismusbekämpfung oder Infektionsschutz heißt. Wobei die bayerischen Versuche zum Infektionsschutz ungefähr so wirksam waren wie die zum Schutz der Verfassung und darum die Frage erlaubt sein muss, wie ernst diese Ziele überhaupt verfolgt wurden. Auch wenn Bayern dem Grundgesetz nie zugestimmt hat, hat es sich doch seiner Geltung unterworfen. Da Markus Söder inzwischen in das „Team Freiheit“ gewechselt haben will, wird hoffentlich auch die bayerische Staatsregierung ihren Frieden damit machen können. Besser wäre es. “.
Auch die AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag nahm die Steilvorlage aus Karlsruhe dankbar auf und sparte nicht mit Kritik an der Landesregierung. Richard Graupner, der innenpolitische Sprecher der AfD Bayern, wird in einer Pressemitteilung wie folgt zitiert: „Das Bundesverfassungsgericht hat heute einer in der Arroganz der Macht befangenen CSU sowie der bayerischen Staatsregierung eine schallende Ohrfeige verpasst. Das 2016 auf Betreiben der Christsozialen geänderte bayerische Verfassungsschutzgesetz ist nicht nur handwerklich schlecht gemacht, es ist klar grundgesetzwidrig und missachtet Grundrechte auf eklatante Art und Weise. Ich fordere die Staatsregierung auf, unverzüglich wieder auf den Boden rechtsstaatlichen Handelns zurückzukehren.“
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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