Corona-Schlemmen im Bundestag Essen wie in alten Zeiten

Früher war ich zu Weihnachten oft mit meinen Eltern im Gebirge. Im Allgäu. Und da verband sich dann die stille Zeit mit wirklicher Stille. Weil es sehr ruhig war in den kleinen Dörfern im Gebirge. Spontan musste ich heute an diese Kindheitserinnerungen denken, nur ohne Schnee und ohne Berge, als ich mir in Berlin-Mitte die Zeit vertrieb zwischen zwei Bundespressekonferenzen – der Regierungspressekonferenz um 11.30 Uhr und einem Briefing zum bevorstehenden CDU-Parteitag mit Paul Ziemiak, dem Generalsekretär der Partei. Je nach Wahrnehmung und Stimmung hat die Ruhe im Herzen des Regierungsviertels etwas Besinnliches bis Gespenstisches.

Alle Restaurants und Cafés sind geschlossen. Da, wo sich sonst Touristen, Politiker, Beamte und Journalisten tummeln, herrscht Stille. Mit Ausnahme des Bundestages. Im Paul-Löbe-Haus, einem Gebäude des Hohen Hauses, befindet sich die Bundestagskantine (siehe Bild oben). Im Volksmund wird sie wegen der reichen Lampenpracht auch „Lampenladen“ genannt. Sie ist weiter geöffnet. Was das verlängerte Presse- und Informationsamt der Bundesregierung mit dem Namen „Correctiv“ – im Eigenjargon „Faktenchecker“, bei Spöttern „Merkels Pravda“ genannt – bereits zur halbamtlichen Richtigstellung veranlasste, dass die Öffnung völlig normal sei, weil es sich eben um eine Kantine und kein Restaurant handele. Und Kantinen generell von der Schließung der Gastronomie ausgenommen sind.

Genauso ist es. Was jeder halbwegs Google-sichere Mensch auch in einer Minute Recherche herausfinden kann, ohne „Faktenchecker“, die mit Millionen gefördert werden. Vor Ort macht allein schon die Art der Abfertigung deutlich, dass es sich um eine Kantine handelt – auch ohne die Selbstbedienung wäre das zu spüren. Auch die Qualität der Speisen, die durchaus ehrlich bemühten Mitarbeiter dieser Speiseeinrichtung mögen es mir verzeihen, lässt keine Zweifel aufkommen. So zumindest hätte ich es noch vor einem Monat geschrieben.

Keine Extrawürste!

Aber heute? Stopp! Kommando zurück! In gewöhnlichen Zeiten ist die Kantine des Bundestags wirklich kein Ort der Sehnsüchte. Nicht der Hauch von Extrawürsten! In diesen Tagen wird sie aber zu einer richtigen Oase in der gastronomischen Wüste, die Berlin-Mitte derzeit darstellt. Was man gestern noch um ein Haar als Fraß abgetan hätte, ist jetzt Schlemmerei. Man kann sein Glück kaum fassen, wenn man – als glücklicher Besitzer einer Journalisten-Akkreditierung des Bundestags, also quasi als Auserwählter – plötzlich in einem zumindest halbwegs an ein Restaurant erinnernden Raum sitzt. Und da Menschen ohne Masken um einen herum sind. Und essen.

Es hat etwas von einer Zeitreise. In eine glücklichere Zeit. Zurück in etwas Normalität. Das Speisenangebot, über das man noch vor zwei Monaten vielleicht die Nase gerümpft hätte, wirkt nun wie ein kleiner gastronomischer Lottogewinn! Allein schon, dass es überhaupt ein Speisenangebot gibt! „Zwei gekochte Eier in Bautzener Senfsauce, dazu Möhren-Erbsen-Gemüse mit Kartoffelstampf“ – das klingt auf einmal fast wie Kaviarschnitten. Gar nicht zu reden vom Prager Schinken in Biersauce mit Kohlrabigemüse und der Berliner Kartoffelsuppe mit kleinen Bouletten. Ein Himmelreich für eine Kartoffelsuppe!

Ganz glückselig, werde ich auf dem Weg zurück im kalten Berliner Dezember dann wieder von der tristen, unschönen Corona-Realität eingeholt. Da kommt plötzlich ein sehr bekannter CDU-Politiker aus dem Hohen Haus. Mit Maske, ganz vorschriftsmäßig. Er läuft zu einer schwarzen Limousine. Zwei Schritte vor ihr zieht er die Maske ab und setzt sich rein. Oben ohne. Vorne sitzt ein Fahrer. Mit Maske. Es gibt eben Gleiche und Gleichere.

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Bilder: Boris Reitschuster/privat
Text: br

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