Der (Daten-)Spion unter dem Fahrersitz Privatsphäre ade – wenn das Auto seinen Fahrer überführt

Stellen Sie sich das vor: Der wichtigste Belastungszeuge in einem Prozess gegen Sie ist kein Mann und keine Frau. Nein, auch nicht das, woran Sie nun vielleicht denken, als Konsument unserer Haltungsmedien – auch kein Diverser oder Vertreter der angeblich Dutzenden anderen Geschlechtern. Es ist schlicht und einfach ein Auto, das gegen Sie aussagt. Natürlich nicht in dem Sinne, dass es vor dem Gericht seine Stimme erhebt. Aber indem die Daten, die man ihm entnehmen kann, für Sie zum Verhängnis werden.

Science Fiction, oder gar Unsinn, sagen Sie nun vielleicht. Mitnichten. „OLG Frankfurt erlaubt PKW als Belastungszeugen – Wenn das Auto seinen Fahrer über­führt“, diese Überschrift war gerade bei „Legal Tribune Online“ (LTO) zu lesen. Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt dürfen Ermittler nicht nur „wissen, wo Dein Auto steht“, sondern durch Navigations-Auswertung auch, wo der Fahrer überall herumgefahren ist.

LTO bringt es drastisch auf den Punkt: Nach dem Beschluss „kann das eigene Auto seinen Fahrer sogar ins Gefängnis bringen.“ Auslöser für die umstrittene Entscheidung war eine Anklage gegen einen flüchtigen Angeklagten, den die Ermittlungsbehörden nicht auffinden konnten. Da passte es der Staatsanwaltschaft nur zu gut, dass ein Dritter dem Flüchtigen ausgerechnet mit einem modernen Mercedes Benz half, sich vor der Polizei zu verstecken.

Gestützt auf die neu eingeführte Norm des § 100k Strafprozessordnung (StPO) beantragte die Staatsanwaltschaft laut LTO beim Ermittlungsrichter, Mercedes Benz zu verpflichten, die in Echtzeit aufgezeichneten Standortdaten dieses Fahrzeuges herauszugeben. Der Ermittlungsrichter gab diesem Antrag statt, so LTO. Die dagegen von Mercedes eingelegte Beschwerde vor dem OLG Frankfurt blieb erfolglos (Beschl. v. 20.07.2021 – 3 Ws 369/21).

Besonders pikant: Der Beschluss des OLG besagt, dass die auf den Servern gespeicherten GPS-Daten herauszugeben seien – und sogar selbst für die Zeiten, in denen der Fahrer das Navigationssystem gar nicht nutzte. Das bedeutet, so LTO: „Jede Fahrt mit dem Fahrzeug soll nicht nur aufgezeichnet, sondern auch von den Ermittlungsbehörden einsehbar sein. Das eigene Fahrzeug wird so zum wichtigsten Belastungszeugen. Es weiß nicht nur, wo man sich gerade befindet – sondern auch rückblickend, wann man damit wo war.“

Konkret geht es dabei dem Portal zufolge um Daten, die durch Nutzung des sogenannten „Mercedes-me-connect-Dienstes“ anfallen. „Im Rahmen dieses Dienstes übermittelt das Fahrzeug über eine fest verbaute SIM-Karte fortwährend Daten an die Server des Unternehmens, damit Nutzer:innen die aus den Daten generierten Informationen auf ihren Smartphones abrufen können“, so LTO. „So lässt sich etwa der Reifendruck oder Kilometerstand, insbesondere aber auch der Fahrzeug-Standort bequem per App anzeigen. Damit die Navigations- und Ortungsdienste reibungslos funktionieren, werden permanent Standortdaten an die Server übertragen und dort gespeichert.“

Big Brother aus dem Roman „1984“ lässt grüßen: Jederzeit kann so ein minutiöses Bewegungsprotokoll des Fahrzeugs erstellt werden. Die Richter in Frankfurt bedienten sich einer Spitzfindigkeit, um den Datenschutz auszuhebeln. Forsch erklärten sie, der „Mercedes-me-connect-Dienst“ sei ein Telemediendienst im Sinne der gesetzlichen Vorschriften. Und „personenbezogene Daten eines Nutzers von Telemedien, deren Verarbeitung erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen“, dürften ggf. angezapft werden.

Ob diese Interpretation wirklich rechtmäßig ist, bezweifelt LGO – die sehr ausführliche und juristisch breite Begründung würde hier zu weit führen, Sie können sie in dem LGO-Artikel hier nachlesen. Fazit des Autors Dr. Felix Ruppert, eines Rechtsanwalts aus Freiburg: „Angesichts der sonst hohen (auch verfassungsgerichtlich abgesicherten) Hürden für derart tiefe Grundrechtseingriffe ist eine solche Entwicklung entschieden abzulehnen, wenn nicht der Maßnahmenkatalog der StPO durch die Hintertür aufgebrochen werden soll.“

Was „sonst hohen (auch verfassungsgerichtlich abgesicherten) Hürden für derart tiefe Grundrechtseingriffe“ angeht, bin ich mit dem Anwalt leider nicht einverstanden: Hier wurde in den vergangenen Jahren eine Messlatte nach der anderen nach unten verschoben und die Unveräußerlichkeit der Grundrechte wurde faktisch mit dem Segen Karlsruhes abgeschafft. Insofern war die Nutzung des Autos als Spion gegen seinen Fahrer leider eher erwartbar als überraschend.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Bild: Shutterstock
Text: br

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