Die exekutive Impotenz der Bundesregierung Lebenslügen und Widersprüche als unentwirrbarer Problemknäuel

Ein Gastbeitrag von Thilo Sarrazin

Im zerstörten Nachkriegsdeutschland wurden von 1950 bis 1980 rund 16 Mio. Wohnungen neu errichtet, durchschnittlich 530.000 Wohnungen im Jahr, in Spitzenjahren konnten es auch über 700.000 sein.

Das 2021 verkündete Ziel der Bundesregierung, jedes Jahr 400.000 Wohnungen neu zu bauen, klingt vor diesem Hintergrund nicht sehr ehrgeizig. Tatsächlich scheint es auf absehbare Zeit unerfüllbar zu sein: 2020 wurden lediglich 280.000 Wohnungen fertiggestellt, und 2023 werden es wohl nur 240.000 Wohnungen sein. Das sorgt für Unmut, denn es wird immer enger in Deutschland: Die Bevölkerung in Deutschland ist in den letzten 10 Jahren durch den Zuzug von Flüchtlingen und illegalen Einwanderern trotz Überalterung und Geburtenarmut um 4 Millionen gestiegen und hat Anfang 2023 mit 84,2 Millionen einen historischen Höchststand erreicht.

Die Antwort der Bundesregierung ist Hilflosigkeit: Verstrickt in überzogene Standards zu Energieeinsparung und Umweltfreundlichkeit, hat die Politik den Wohnungsneubau auf Quadratmeterpreise von 4.000 bis 5.000 Euro getrieben. Das macht den Neubau von Mietwohnungen unwirtschaftlich und das Eigenheim für die meisten Interessenten unerschwinglich.

Der neue Sarrazin

Keine Antwort unter dieser Nummer

Eine Antwort der Politik darauf gibt es nicht, im Gegenteil: Im Bundeshaushalt wurden die spärlichen Zuschüsse für den Wohnungsneubau fast gänzlich gestrichen. Der Fokus der Politik liegt jetzt auf mehr Wärmedämmung und Wärmepumpen im Wohnungsbestand, damit entsteht aber keine einzige neue Wohnung. Zudem sorgt die steigende Lebenserwartung dafür, dass Rentner und Witwen ihre großen Wohnungen viel länger bewohnen als noch vor Jahrzehnten. Durch das soziale Mietrecht und die Mietpreisbremsen hat die Politik diese Tendenz noch unterstützt.

Was immer die Politik in dieser Situation tun könnte, aber absehbar nicht tun wird, nämlich

  • mehr Geld für den Neubau von Sozialwohnungen und die Förderung von Eigenheimen,
  • Lockerung der Mietpreisbremsen,
  • Reduktion der Umwelt- und Energiestandards,
  • Ausweisung von mehr Bauland in den Ballungsräumen

würde, wenn es denn käme, wegen der Vorlaufzeit beim Planen und Bauen frühestens in fünf Jahren zu steigenden Neubauzahlen führen.

Bis dahin aber wird wegen der weiter steigenden Zahl von Flüchtlingen und illegalen Einwanderern die Bevölkerung in Deutschland um weitere zwei bis drei Millionen angewachsen sein.

Ratlos, hilflos, ahnungslos

In der Politik herrscht Ratlosigkeit: Überzogene Umweltstandards und falsch konstruierte Mietpreisbremsen habe den Neubau ausgebremst, und aufgrund der ungebremsten Einwanderung trifft ein stagnierendes Wohnungsangebot auf einen immer größeren Unterbringungsbedarf.

Die Lebenslügen und Widersprüche in der Umwelt-, der Wohnungs-, der Asyl- und Flüchtlingspolitik haben sich zu einem unentwirrbaren Problemknäuel verdichtet. Dessen Entwirrung – notfalls auch mit einem Schwerthieb durch den gordischen Knoten der inneren Widersprüche – wäre ein lohnendes Thema für die jüngste Klausur des Bundeskabinetts in Schloss Meseberg gewesen. Stattdessen war dort soziales Lausen angesagt, und alle konzeptionellen Probleme rund um die Wohnungspolitik – und nicht nur dort – blieben ungelöst.

Am Neubauziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr will die Bundesregierung nicht rütteln lassen. Wie sie das aber schaffen will, verrät sie der Öffentlichkeit nicht. Dieses Muster gilt auch für andere zentrale Politikfelder:

Um die Ausbauziele beim Windstrom zu erreichen, müssten in Deutschland bis 2029 täglich 6 neue Windkrafträder errichtet werden. 2022 – dem ersten vollen Amtsjahr der Ampel-Regierung – wurden täglich 0,6 Windräder gebaut. Der Ausbau müsste also aus dem Stand verzehnfacht werden. Das ist schon kapazitätsmäßig ein Ding der Unmöglichkeit: Der Beton, der in die Fundamente von Windrädern gegossen wird, kann nicht gleichzeitig in die Fundamente von Neubauwohnungen fließen.

Den Blick für das Wesentliche bewahren ...

Das generelle Krankheitsbild der deutschen Politik besteht in exekutiver Impotenz. Dies zeigt sich auch bei der sogenannten Zeitenwende für die Bundeswehr. Von den 100 Mrd. Euro Sondervermögen zur Modernisierung der verrotteten Streitkräfte sind nach einem Jahr nicht einmal ein Prozent ausgegeben, und der deutschen NATO-Brigade in Litauen fehlt bis heute die notwendige und zugesagte Zahl einsatzfähiger Panzer.

Das kriegszerstörte Westdeutschland baute von 1955 bis 1965 nicht nur jährlich mehr als 500.000 Neubauwohnungen, es stellte gleichzeitig in der norddeutschen Tiefebene als seinen Beitrag zur NATO 12 Divisionen der Bundeswehr mit 5.000 Panzern bereit. Gegenwärtig hat die Bundeswehr noch 391 Panzer, von denen ein großer Teil nicht fahrfähig ist.

Die deutsche Bundespolitik muss aufpassen, dass sie nicht zum allseits verspotteten Maulhelden wird – bei Wohnungsneubau, Windrädern und Panzern gleichermaßen. Aber sie tröstet sich ja mit der Freigabe von Haschisch, mit dem Werbeverbot für Süßigkeiten und der Erleichterung von Geschlechtsumwandlung. Man muss sich eben stets den Blick für das Wesentliche bewahren.

Ausschreibung zur Fahndung durch die Polizei, Kontenkündigungen, Ausschluss aus der Bundespressekonferenz: Wer in Deutschland kritisch berichtet, sieht sich Psychoterror ausgesetzt. Und braucht für den Spott der rot-grünen Kultur-Krieger nicht zu sorgen. Ich mache trotzdem weiter. Auch, weil ich glaube, dass ich Ihnen das schuldig bin. Entscheidend fürs Weitermachen ist Ihre Unterstützung! Sie ist auch moralisch sehr, sehr wichtig für mich – sie zeigt mir, ich bin nicht allein und gibt mir die Kraft, trotz der ganzen Schikanen weiterzumachen! Ganz, ganz herzlichen Dank im Voraus für Ihre Unterstützung, und sei es nur eine symbolische!
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Der Beitrag erschien zuerst in der Zürcher Weltwoche.

Dr. Thilo Sarrazin wurde am 12. Februar 1945 in Gera geboren und wuchs in Recklinghausen auf. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Bonn. Nach dem Diplom war er zunächst Assistent am Institut für Industrie- und Verkehrspolitik der Universität Bonn, dann wissenschaftlicher Angestellter bei der Friedrich Ebert Stiftung.

Von 1975 bis 1991 arbeitete er im Bundesministerium der Finanzen, unterbrochen durch Aufenthalte beim Internationalen Währungsfonds und im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Er war unter anderem Büroleiter der Finanzminister Matthöfer und Lahnstein und leitete unterschiedliche Referate, darunter das Referat für Finanzfragen der Sozialpolitik, das Referat für Finanzfragen des Verkehrs und das Referat für Nationale Währungsfragen.

Im Mai 1991 wurde er Staatssekretär im Ministerium für Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz. Im März 1997 wurde er Vorsitzender der Geschäftsführung der TLG Treuhandliegenschaftsgesellschaft in Berlin. Im März 2000 wechselte er zur Bahn und war dort zuletzt Mitglied des Vorstandes der DB Netz AG.

Im Januar 2002 wurde er Senator für Finanzen im Land Berlin. In seiner Amtszeit wurde u.a. die Berliner Bankgesellschaft saniert und privatisiert. Das Haushaltsdefizit von jeweils über 5 Mrd. € in den Jahren 2001 und 2002 wurde abgebaut. In den Jahren 2007 und 2008 schloss der Berliner Haushalt, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes Berlin, mit Überschüssen ab.

Von Mai 2009 bis September 2010 war er Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank.

Sein im August 2010 erschienenes Buch „Deutschland schafft sich ab“ löste eine anhaltende Diskussion aus und wurde zum meistverkauften deutschen Sachbuch seit 1945. Im Mai 2012 erschien sein Buch „Europa braucht den Euro nicht“, das zum bestverkauften Sachbuch des Jahres 2012 wurde. Im Februar 2014 erschien sein Buch „Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“. Es stand mehrere Wochen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste.

Bild: Shutterstock

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