Ganz Deutschland schien Anfang Dezember 2022 in Aufruhr: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sah einen „Abgrund terroristischer Bedrohung“ und den „größten Anti-Terroreinsatz unserer Geschichte“ – so als habe es die RAF nie gegeben. Jasper von Altenbockum, bei der „Frankfurter Allgemeinen“ (FAZ) verantwortlich für die Innenpolitik, sprach gar von einem „Staatsstreich, wie er im Buche steht“. Und applaudierte bzw. apportierte: „Den deutschen Sicherheitsbehörden ist ein bedeutender Schlag gegen die Urheber dieser abenteuerlichen Umsturzpläne gelungen. Verfassungsschutz, Generalbundesanwalt, Bundeskriminalamt, Militärischer Abschirmdienst und die Polizei sind für diesen Erfolg zu beglückwünschen. Sie waren offenbar seit Monaten im Bilde. Das ist beruhigend.“
Was war geschehen? Einige, vor allem ältere Menschen, hatten sich in Chatgruppen zu einem „Umsturz“ verabredet. Laut „Welt“ wurden bei der Aktion, bei der sage und schreibe 3.000 Beamte im Einsatz waren, zunächst eine scharfe Schusswaffe, Schreckschusswaffen, Prepper-Vorräte und Tausende Euro Bargeld gefunden. Ein Putsch mit einer scharfen Waffe und Schreckschusswaffen? Mein Bauchgefühl sagte mir damals sofort: Da stimmt etwas nicht. Und mit aller gebotenen Vorsicht habe ich die Nachrichtenlage sofort auseinandergenommen.
Dass sich die Gruppe aus dem Reichsbürger-Milieu um den in Thüringen bekannten, 71-jährigen Heinrich XIII. Prinz Reuss ebenso absurden wie unappetitlichen Umsturz-Plänen hingegeben haben mag, mag sein. Und Beispiele von Verwirrten, die viel Schaden anrichten, gibt es leider genug. Aber dennoch ist hier auf Otto Schilys Einschätzung der Reichsbürger-Razzien zu verweisen: Er sah „eine skurrile Spinner-Truppe, keine reale Bedrohung für Staat und Gesellschaft“.
Trotzdem: Gegen rund 60 Beschuldigte wird ermittelt, 23 Tatverdächtige sitzen bis heute in Untersuchungshaft.
Jetzt verdichten sich die Hinweise, dass die Skeptiker Recht hatten – und es sich um eine beispiellose Posse handelt. Die frühere Kieler SPD-Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke zerlegt das Narrativ auf geradezu abenteuerliche Weise in einem Beitrag, der in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen ist – aber leider nur für registrierte Leser. Dass diese Aufklärung ausgerechnet in dem Schweizer Blatt geschieht und nicht in einem Deutschen, also am Ort des Geschehens, spricht bereits Bände.
Den Beschuldigten wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129a des deutschen Strafgesetzbuchs vorgeworfen, wie Gaschke ausführt: „Dieser Paragraf stammt aus den Zeiten, als die linksextremistische Rote-Armee-Fraktion (RAF) in den 1970er Jahren das Land mit kaltblütigen Morden in Angst und Schrecken versetzte. Die Strafprozessordnung erlaubt in solchen Fällen Massnahmen wie Isolation, Besuchsbeschränkungen und die Kontrolle der Anwaltspost. Diese Verschärfung findet offenbar auch im Falle der derzeit Tatverdächtigen Anwendung.“
„Ist das gerechtfertigt? Ging und geht von den Tatverdächtigen eine derartige Gefahr aus?“, fragte die frühere Sozialdemokratin. Und da weder das Bundeskriminalamt (BKA) noch der Generalbundesanwalt Antwort auf entsprechende Fragen geben, machte sie sich selbst auf Spurensuche. Mit verblüffendem Ergebnis.
Zum einen verweist Gaschke noch einmal darauf, dass die Umstände der Zugriffe für einen vermeintlichen Anti-Terror-Einsatz geradezu absurd waren: „Am 7. Dezember, dem Tag des ersten grossen Zugriffs, warteten frühmorgens erstaunlich viele Journalisten und Fernsehteams an den unterschiedlichen Orten, an denen Hausdurchsuchungen stattfanden. Ein hochrangiger Beamter der Bundespolizei sagte der NZZ, es könne schon einmal vorkommen, dass die Staatsanwaltschaft der Presse einen Tipp gebe. Aber dass sich seine Leute einen Weg durch die Menge der Berichterstatter bahnen müssten, sei doch eher ungewöhnlich.“
Mehr noch: „Rechtsanwälte wurden damals am frühen Morgen offenbar auf gut Glück von Journalisten angerufen, die herausfinden wollten, ob sie die Terrorverdächtigen verteidigen würden – die zu jenem Zeitpunkt allerdings noch gar nicht verhaftet waren. Bereits gegen 7 Uhr 30 erschienen Onlineartikel von ‚Spiegel‘ und ‚Zeit‘, die so lang und detailliert waren, dass sie ohne Vorabinformationen schwerlich hätten zustande kommen können.“
Das allein beweist, dass etwas faul ist an der Geschichte. Bei wirklich gefährlichen Verdächtigen greifen die Behörden ohne Vorwarnung und ohne riesige Presse-Bühne zu – allein schon aus Sicherheitsgründen.
Merkwürdige Stille
Weiter schreibt Gaschke: „Angesichts der Erregungswellen, welche die Reichsbürger-Razzia vor Weihnachten ausgelöst hatte, wirkt es merkwürdig, dass das mediale Interesse sehr bald nach dem Zugriff nahezu vollständig abflaute. So gut wie manche Zeitungen und Sender offenbar rechtzeitig über die Aktion Bescheid wussten, hätte man erwarten können, dass danach kontinuierlich belastende Erkenntnisse aus den Ermittlungen an die Öffentlichkeit dringen würden – über paramilitärische Strukturen, Waffenlager oder konkrete Planungen, wie der grosse Umsturz hätte ins Werk gesetzt werden sollen. Doch ausser den zunächst sichergestellten Waffen (die Mehrzahl davon stammte aus dem Besitz eines zugelassenen Waffenhändlers), ausser konspirativen ‚Verschwiegenheitserklärungen‘ und Massen von Chatprotokollen scheint bis anhin wenig belastendes Material aufgetaucht zu sein.“
Warum das so ist, legen ihre weiteren Ausführungen nahe. Weil die Geschichte in sich zusammenzufallen droht: „Ein hochrangiger Polizeivertreter räumt im Gespräch mit der NZZ ein, dass die ‚Auffunde‘ der Razzia im Dezember ein wenig ‚enttäuschend‘ gewesen seien. Mit dem Wissen von heute hätte man vielleicht einen ‚anderen Kräfteansatz‘ gewählt. Aber hinterher sei man ja immer schlauer.“
Ich finde: Angesichts dessen, was bekannt ist, hätte man auch vorher schon schlauer sein können. Oder, um es noch weiterzudrehen: Man wollte offenbar nicht schlauer sein, weil man das Spektakel wollte – die vermeintliche riesige „rechte Bedrohung“.
Treffen mit Außerirdischen
Was Gaschke weiter ausführt, lässt einen nur noch den Kopf schütteln: „Aus Kreisen der Strafverteidiger ist zu hören, dass die verhafteten Terrorverdächtigen vor der Razzia zutiefst zerstritten gewesen seien. Einige hätten angeblich andere um Geld betrogen. Einzelne Beschuldigte hätten allen Ernstes behauptet, sich mit Ausserirdischen getroffen zu haben. Andere hätten darauf gewartet, dass eine internationale Geheimorganisation namens ‚Allianz‘ in Deutschland die Macht übernehme. Erst dann hätten sie Funktionen in einem neuen Staatsgebilde antreten wollen.
Und ja, am Telefon sei von einigen Beteiligten wohl tatsächlich über eine Besetzung des Reichstagsgebäudes in Berlin gesprochen worden – ‚allerdings eher im Stile besoffenen Stammtischgeredes‘. Morgens um neun Uhr vor Gericht höre sich so etwas dann natürlich nicht so gut an. ‚Ganz normal sind diese Leute alle nicht‘, sagt der Anwalt beim Gespräch in Berlin, ‚aber nicht jeder, der bekloppt ist, ist ein Verbrecher.‘“
Zur Erinnerung: Mehrere Tausend Beamte waren deutschlandweit im Einsatz – in einem Land, in dem wegen Überforderung der Justiz selbst Kinderschänder schon mal auf freien Fuß kommen.
Weiter heißt es in dem Text: „Falls es sich bei dem Gros der Tatverdächtigen tatsächlich um relativ harmlose Spinner handeln sollte, dann müsste man die Frage nach der Verhältnismässigkeit einer derart langen Untersuchungshaft stellen. Ein hochrangiger deutscher Nachrichtendienstexperte räumt im Gespräch ein, dass es einen ‚blöden politischen Druck‘ gebe, mit aller Härte gegen ‚Rechte‘ vorzugehen, auch dann, wenn die Faktenlage dürftig sei.“
Der Bundesgerichtshof spricht freilich von „konkreten Vorbereitungshandlungen“ für einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag. Ein Kommando von bis zu 16 Personen habe demnach Regierungsmitglieder und Abgeordnete in Handschellen abführen sollen, heißt es da. Was nicht sehr überzeugend klingt. Auch der Hinweis des Gerichts, ein Verdächtiger habe bereits Örtlichkeiten in Berlin ausgekundschaftet, Fotos gemacht und eine Namensliste von Politikern, Journalisten und anderen Personen des öffentlichen Lebens erstellt, klingt nicht gerade wie ein handfester Beweis – sondern eher wie eine weitere Episode in einem Stück aus dem Tollhaus.
Womit sich der Kreis schließt
In ihrem Text wirft Gaschke auch die Frage auf, inwieweit V-Leute des Verfassungsschutzes aktiv waren: „Haben die inhaftierten Reichsbürger ihren Irrsinn allein entwickelt – oder wurden sie angestachelt? Die Gruppe jedenfalls wurde monatelang beschattet, ihre Telefone wurden abgehört. Unbekannt ist, wie viele V-Leute des Verfassungsschutzes aktiv waren und sich an den ‚Umsturzplänen‘ aktiv beteiligten.“
Tatsächlich musste die Bundesregierung auf Anfrage der „Linken“ vom Februar eine «Anzahl von potenziell vorliegenden Quellenmeldungen» in der Sache einräumen. Sie weigerte sich aber, diese offenzulegen, weil das „Rückschlüsse auf den Einsatz von V-Personen im Umfeld der Gruppierung“ erlaube und „die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste zur Folge haben könnte, die das Staatswohl gefährden könnte“, so Gaschke.
Die Bundesregierung hat damit zwischen den Zeilen explizit bestätigt, dass unter den vermeintlichen „Putschisten“ Geheimdienstler waren, die sich als Mittäter ausgaben.
Ganz neu ist so etwas nicht. Spätestens, seit bekannt wurde, dass etwa der Verfassungsschutz rechtsextreme Fake-Accounts in sozialen Medien betreibt (siehe hier). Oder dass die Dichte von V-Männern des Verfassungsschutzes bei der NPD so dicht ist, dass daran ein Verbot der Partei in Karlsruhe scheiterte.
Einige Medienfront
Fakt ist: Der vermeintliche „Staatsstreich“ kam wie gerufen. Die Bundesinnenministerin nutzte ihn, um einen Gesetzesentwurf vorzulegen, demzufolge Beamte künftig schon allein wegen des Verdachts (!) auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung entlassen werden können – ohne Gerichtsentscheid. Diese faktische Beweislastumkehr tritt rechtsstaatliche Prinzipien mit Füßen. Kritik in den Medien? Kaum zu finden. Schließlich geht es um den „Kampf gegen Rechts“ und vermeintliche „Umstürzler“.
Auch „das öffentliche Interesse an den Haftbedingungen und der Dauer der Untersuchungshaft“ der vermeintlichen „Putschisten“ ist gering, wie Gaschke betont. Man vergleiche es einmal mit der Welle an Sympathie und Mitgefühl, auch in vielen Medien, die den Mördern der RAF einst entgegenschlug. Nicht einmal ansatzweise ist hier etwas davon zu spüren.
Der vermeintliche „Rollator-Putsch“ wäre bei einer noch halbwegs funktionierenden Medienlandschaft, die ihre Aufgabe ernst nimmt und sich nicht als verlängerter Arm der Regierung im „Kampf gegen Rechts“ – also Andersdenkende – sieht, längst zu einer Staatsaffäre geworden – das Bundeskriminalamt, der Verfassungsschutz und die Bundesinnenministerin stünden im Kreuzfeuer der Kritik.
Ausschreibung zur Fahndung durch die Polizei, Kontenkündigungen, Ausschluss aus der Bundespressekonferenz: Wer in Deutschland kritisch berichtet, sieht sich Psychoterror ausgesetzt. Und braucht für den Spott der rot-grünen Kultur-Krieger nicht zu sorgen. Ich mache trotzdem weiter. Auch, weil ich glaube, dass ich Ihnen das schuldig bin. Entscheidend fürs Weitermachen ist Ihre Unterstützung! Sie ist auch moralisch sehr, sehr wichtig für mich – sie zeigt mir, ich bin nicht allein und gibt mir die Kraft, trotz der ganzen Schikanen weiterzumachen! Ganz, ganz herzlichen Dank im Voraus für Ihre Unterstützung, und sei es nur eine symbolische!
Aktuell sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – trotz der Paypal-Sperre: über diesen Link. Alternativ via Banküberweisung, IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71. Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut.
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